antirassismus

Mauerfall Do-it-Yourself

| Pierre Michel

Am 9. November 2014 wurde unter pompöser Inszenierung offiziell des Mauerfalls gedacht. Philipp Ruch vom "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS) hat damit ein Problem: "Gedenken wir nicht der Vergangenheit, gedenken wir der Gegenwart - und reißen die EU-Außenmauern ein. Nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern!"

Die Künstler_innengruppe lädt anlässlich des Gedenktages dazu ein, die neuen EU-Außengrenzen zum 25. Jahrestag des Mauerfalls “kurzerhand wieder abzureißen”. Dafür organisierte sie Busse, die 120 Freiwillige an die “Eindämmungsanlagen” an der bulgarischen EU-Außengreze zu fahren, um diese zu demontieren. Der neue hunderte Kilometer lange Zaun wird bewacht von 2000 Polizist_innen, unzähligen (Wärmebild)kameras, 141 Jeeps, 170 “Experten” der Grenzschutzagentur Frontex.

“Damit sich dieses Unrecht nicht festsetzt, ist es wichtig, es jetzt wieder abzureißen!”, stellt das ZSP in seiner Erklärung fest und fährt fort: “Nicht durch die Politik, sondern durch den Druck einer mutigen Zivilgesellschaft wurde die innerdeutsche Mauer porös, die 28 Jahre lang als unüberwindlich galt.”

Wenige Tage vor der Ankündigung dieser Aktion verkündete Philip Ruch, dass die weißen Kreuze zum Gedenken an die Toten der Berliner Mauer “kollektiv die Flucht aus dem Regierungsviertel in Berlin vor den Gedenkfeierlichkeiten zu ‚25 Jahren Mauerfall’ ergriffen.” Was zunächst über eine Woche niemandem aufgefallen war, sorgte dann doch für Empörung. Klaus Wowereit (SPD) ließ ausrichten: “Diese sogenannte Kunstaktion ist in Wahrheit absolut geschmacklos”.

Der eigentliche Aufreger lag in dem Ort, an den die Kreuze (oder zumindest sehr ähnliche Attrappen) gebracht wurden: in das Flüchtlingscamp der spanischen Exklave Melilla.

“Die Mauertoten sind in einem Akt der Solidarität zu ihren Brüdern und Schwestern über die Außengrenzen der Europäischen Union geflüchtet”, verkündet das ZPS. Dort sollen sie auf die neuen Mauertoten aufmerksam machen: die mindestens 30.000 Menschen, die an den europäischen Außengrenzen zu Tode kamen, oder konkreter: durch Grenzschutzanlagen und Beamte getötet wurden.

Viele dürften das Zentrum für Politische Schönheit von anderen Medienwirksamen Aktionen in Erinnerung behalten haben. So hatte die Gruppe bereits im Mai 2014 mit ihrer Aktion “1 aus 100” für Furore gesorgt, indem sie im Namen des Familienministeriums angekündigt hatte, 55.000 Kinder aus Syrien (1% der laut UNICEF akut hilfsbedürftigen Kinder) in Deutschland aufzunehmen. Das Dementi war naturgemäß äußerst peinlich für das Ministerium.

2012 hatte das ZSP mit riesigen Plakaten, Fahndungspostern und Flugblättern in ganz Deutschland 25.000 Euro Belohnung für alle Hinweise ausgelobt, welche die Eigentümer des Panzerkonzerns Krauss-Maffei Wegmann hinter Gitter brächten – egal für welches Delikt.

Der Konzern, dessen Geschäft es ist, unter anderem Leopard II Panzer zur “Aufstandsbekämpfung” in die ganze Welt zu verkaufen, ließ ausrichten, er sei “moralisch entsetzt!” und reichte eine Klage ein.

Auch mit der Schusswaffenfirma Heckler & Koch hat sich das ZPS bereits angelegt, als sie ein Video veröffentlichte, in dem ein “Beton-Sarkophag” über die Firma gebaut wird.

“Die Waffenfirma ‚Heckler & Koch’ hat in den letzten 25 Jahren abseits von allen Schlagzeilen 375 x so viele Menschenleben gefordert wie die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Wir werden denselben Sarkophag, der die Strahlung in Tschernobyl zurückhält, über die Waffenfabrik in Oberndorf bauen, damit ihr keine tödlichen ‚Produkte’ mehr entweichen können.”

Im Gegensatz zu diesen älteren Aktionen, darf bei der Demontage der “Eindämmungsanlagen” an der EU-Außengrenze mitmachen wer will, auch wenn sie bereits durchchoreografiert ist. So bestiegen am 7. November 100 Freiwillige die Busse, die sie an die Grenze bringen sollte. Am Ort der Abreise vor dem Gorki-Theater sind große weiße Schilder angebracht, auf denen zu lesen ist: “Verhalten Sie sich beim Abbau der EU-Außengrenzen friedlich aber bestimmt.”

Bevor der Bus betreten werden darf, gibt es allerdings Taschenkontrollen durch die Polizei. Der ein oder andere Bolzenschneider musste deshalb in Berlin bleiben. Ab der serbischen Grenze wurden die Busse von mehreren Einsatzfahrzeugen der serbischen Polizei bis nach Bulgarien eskortiert. Auf der anderen Seite warten Repräsentant_innen des bulgarischen Innenministeriums. Ein Vertreter des Ministeriums droht den Freiwilligen freundlich mit mehreren Jahren Haft und informiert über gewaltbereite bulgarische Nationalisten, die planten die Aktion anzugreifen. Vor diesen würden die Freiwilligen jedoch von der bulgarischen Polizei beschützt – so lange es nicht zu illegalen Handlungen käme. Später verkündet der bulgarische Innenminister im Staatsfernsehen, er würde sein politisches Schicksal daran knüpfen, dass die EU-Außengrenze zur Türkei unangetastet bleibe. Tatsächlich verhindern Beamte in Kampfmontur, dass sich die Freiwilligen dem Grenzzaun nähern.

Auch in Griechenland werden die Busse des ZPS von der Aufstandsbekämpfungspolizei empfangen. Wieder werden die Busse durchsucht und wieder ist kein Durchkommen zum Grenzzaun.

Dass es nicht wirklich gelingen würde, den Grenzzaun zu sabotieren, war aufgrund der großen Medieninszenierung und der gemeinsamen Anreise, die den jeweiligen Staatsapparaten stets die volle Kontrolle über die Situation überließ, bereits abzusehen.

Das ZPS bewertete die Aktion trotzdem als Erfolg, womit es noch einmal unterstreicht, dass es eben keine direkte Aktion, sondern ein Medienspektakel durchführen wollte. Und dieses soll möglichst auch noch in alle Richtungen anschlussfähig bleiben. Deshalb betonen die Organisator_innen auch, dass sie “Künstler” und nicht etwa “Aktivisten” seien.

In der Tat handelt es sich beim ZPS um eine hierarchische Organisation mit Philip Ruch als “künstlerischem Leiter”, bei der sich bewerben muss, wer mitmachen will – und zwar “grundsätzlich mit einem kurzen Lebenslauf und Worten dazu, wo Sie sich bei uns sehen”.

Das kratzt die “Schönheit” der Politik des ZPS doch ein wenig an. Aber welches freiheitsliebende Herz schlägt nicht höher, wenn unter weitgehend positiver Beachtung der Medien zur Sabotage der Grenzanlagen aufgerufen wird?