Rezension

Leihmutterschaft für alle!

| Antje Schrupp

Sophie A. Lewis: Full Surrogacy Now. Feminism against Family. Verso Books, New York/London 2019, 208 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 9781786637291

Die Lage auf dem globalen Markt für bezahlte Schwangerschaften ist inzwischen maximal unübersichtlich. Die Rechtslage wandelt sich genauso permanent wie die Praxis. Aber obwohl sich das Thema direkt an der Schnittstelle zwischen Geschlechterdiskursen, sozialen Ungleichheiten, Rassismus und Globalisierung bewegt, spielt es bislang keine große Rolle, weder in der Linken noch im Feminismus.

Für Deutschland stimmt das noch einmal ganz besonders, weil hier die Gesetzeslage im internationalen Vergleich sehr restriktiv ist: Leihmutterschaft ist verboten, technologisch assistierte Befruchtung außerhalb des Körpers nur mit „eigenen“ Eizellen und Spermien des Paares erlaubt, was faktisch bedeutet, dass diese Art der Zeugung nur für heterosexuelle Paare möglich ist.

Alle anderen können aber im Ausland Hilfe finden, denn in vielen anderen Ländern ist die Gesetzeslage weniger restriktiv: In den USA ist Leihmutterschaft in manchen Bundesstaaten erlaubt und in anderen verboten, und viele Prominente gehen inzwischen offen damit um, dass sie Schwangerschaften gegen Bezahlung „outsourcen“. Wenn der Familienzuwachs dann da ist, wird in den glücklichen Instagram-Posts immer auch ausdrücklich der „Surrogate“, der Tragemutter, gedankt.

Manche Länder wie Indien, Thailand oder Mexiko hatten sich zu einem regelrechten Eldorado für reproduktionstechnologische Dienstleistungen entwickelt, inzwischen rudern die Regierungen allerding wieder zurück. Ausländische Auftraggeber*innen werden entweder gar nicht mehr bedient, oder die Regeln werden wieder normativer, zum Beispiel indem homosexuelle Kunden ausgeschlossen werden.

In den 1980er und 1990er Jahren, als das Thema der künstlichen Befruchtung noch neu war, positionierte sich die Frauenbewegung größtenteils kritisch. Die meisten Feministinnen sahen darin eine Ausbeutung von Frauen, zumal damals die gesundheitlichen Risiken einer Eizellentnahme auch noch deutlich gravierender waren als heute.

Inzwischen ist die Haltung nicht mehr so eindeutig. Analog zu Debatten um Sexarbeit wird auch beim Thema bezahlter Schwangerschaften die Tatsache berücksichtigt, dass Frauen, die die Dienstleistung „Schwangersein und Gebären“ verkaufen, rationale Akteurinnen sind, für die diese Art, zu Geld zu kommen, auch Vorteile hat. Zumal In-Vitro-Fertilisationen heute weit verbreitet sind. Zehntausende Kinder werden in Deutschland jedes Jahr auf diese Weise gezeugt. Gleichzeitig bleibt natürlich die Kritik an der kapitalistischen Verwertung der Gebärfähigkeit bestehen, wird auf die Gefahren einer zunehmenden Kommodifizierung von (weiblichen) Körpern verwiesen.

In dieses Patt stoßen seit einiger Zeit materialistische Feministinnen mit einem neuen Vorschlag vor: Sie wollen bezahlte Schwangerschaften als Arbeit verstehen und anerkannt wissen, damit die betreffenden Dienstleisterinnen sich organisieren und für ihre Rechte streiten können. Erst wenn über das Thema offen gesprochen und es auch in seiner ökonomischen Bedeutung erkannt ist, so ihr Argument, können die Fakten auf den Tisch kommen und feministische und linke Forderungen erhoben und durchgesetzt werden.

Vor einigen Jahren hat das Kollektiv „Kitchen Politics“ dazu den Sammelband „Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit. Biotechnologie, Reproduktion und Familie im 21. Jahrhundert“ herausgegeben (Edition Nautilus), jetzt geht die marxistisch-queerfeministische Autorin Sophie Lewis noch einen Schritt weiter. In ihrem aktuellen gleichnamigen Buch fordert sie: „Full Surrogacy Now“, also Leihmutterschaft für alle.

Lewis sieht in den technologischen reproduktiven Fortschritten eine potenzielle Befreiung von Frauen – beziehungsweise von Menschen mit Uterus – aus der klassischen Familie mit ihren patriarchalen Engführungen. Wenn Schwangerschaften nicht mehr im Rahmen einer heteronormativen symbolischen Ordnung interpretiert werden, also als angeblich „natürliche“ Bestimmung bestimmter Menschen, dann könne Kinderkriegen, auch technologisch assistiert, zur Grundlage freier Gemeinschaften werden, argumentiert Lewis. Nicht nur würden Reproduktion und Sex voneinander getrennt, auch Reproduktion und Familiengründung müssten dann nicht mehr in eins fallen: Wer sagt eigentlich, dass jemand sich um Kinder kümmern muss, nur weil sie im eigenen Uterus herangewachsen sind?

Leihmutterschaft, so ihre These, könnte den Weg zur Zerstörung der bürgerlichen heteronormativen Familie ebnen, wenn sie der kapitalistischen Logik entzogen und die Rechte und Bedürfnisse der Tragemütter ins Zentrum politischer Auseinandersetzungen gestellt würde. Eine steile These, aber ein lesenswertes Buch, allein schon deshalb, weil Lewis ihren Aufschlag unterfüttert mit einem detaillierten Einblick in die aktuelle Praxis bezahlter Schwangerschaften und die Art und Weise ihrer Kommerzialisierung im globalen Markt.

Lewis setzt sich vor allem kritisch mit der prinzipiellen feministischen Ablehnung von Leihmutterschaften der Bewegung „Stop Surrogacy Now“, die derzeit vor allem in den USA sehr aktiv ist. Dann nimmt sie aber ebenso kritisch die andere Seite unter die Lupe. Am Beispiel der indischen Ärztin Nayna Patel, die ihre Klinik als feministisches Eldorado bewirbt (https://www.youtube.com/watch?v=tv9KnJIV_dU). Lewis zeigt, dass bezahlte Schwangerschaften unter kapitalistischen Bedingungen keineswegs ein Weg der Befreiung sind. Aber den Frauen, die auf diese Weise Geld verdienen, ist eben nicht mit moralischer Pauschalabwehr geholfen, sondern es müsste darum gehen, die Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit zu verbessern: Körperliche Autonomie auch während der Schwangerschaft, Bewegungsfreiheit und freie Wahl von ärztlicher Betreuung und Maßnahmen, und so weiter.

Schließlich geht es in dem Buch um die Frage, inwiefern „Kinder gebären für andere“ im Kontext einer queerfeministischen Utopie helfen kann, freie Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern zu befördern. Damit knüpft Lewis an alte feministische Theorien an, etwa an Shulamith Firestone, die sich schon 1970 in ihrem Buch „The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revolution“ (auf Deutsch: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution) von technologisch assistierten Reproduktion eine Befreiung von Frauen aus patriarchalen Verhältnissen erhofft hat.

Ihre Intervention ist wichtig, da die radikalfeministische Kritik an Reproduktionstechnologien häufig Gefahr läuft, das Schwangersein und Gebären zu etwas Weiblich-Sakralem zu verklären, das irgendwie kontaminiert wird, wenn es mit Profitinteressen oder auch nur rationalen, auch materiellen Abwägungen in Kontakt kommt. Andererseits hat aber bisher die Entwicklung von Reproduktionsdienstleistungen faktisch eher zur Bestärkung heteronormativer Familienbilder beigetragen: Sie hilft dabei, dass heute anders als früher fast jedes heterosexuelle Paar „eigene“ Kinder haben kann. Ob vom derzeitigen Boom der Leihmutterschaft noch etwas übrig bliebe, wenn man das Kommerzielle daraus abzieht, ist doch mehr als fraglich.

Was bleibt ist jedenfalls die Erkenntnis, dass eine Beurteilung von Reproduktionstechnologie nicht unabhängig von einer größeren Einbettung in ökonomische und soziale Verhältnisse möglich ist. Die Frage ist nicht, ob wir „dafür oder dagegen“ sind, sondern nach welchen Kategorien wir das beurteilen, unter welchen Voraussetzungen wir dafür und unter welchen wir dagegen sind. Die Beschäftigung mit Leihmutterschaft und der Versuch, sie anders und freiheitlicher als heute zu gestalten, könnte ein Weg zu neuen Vorstellungen von Elternschaft und einer kollektiven Verantwortlichkeit für Kinder zu kommen, anstatt wie heute Elternschaft an die genetische DNA zu binden.

Antje Schrupp