es wird ein lächeln

Die Landrechtebewegung in Indien

Corona stoppt Fußmarsch von Ekta Parishad

| Horst Blume

Foto: Herbert Sauerwein

Am 2. Oktober 2019, dem 150. Geburtstag von Mahatma Gandhi, begann der für zwölf Monate geplante Fußmarsch Jai Jagat 2020 (1) der indischen Landrechtebewegung Ekta Parishad („Gemeinsamer Rat“) von Delhi nach Genf zum Sitz der UNO. Dort sollten im Rahmen verschiedener Veranstaltungen die Forderungen übermittelt werden: Unter anderem sind das Landrechte und existenzsichernde Lebensgrundlagen für alle, ökologische Nachhaltigkeit und stärkere Förderung gewaltfreier Konfliktlösungen.

Der Fußmarsch von Ekta Parishad musste leider am 17. März in Armenien wegen der Corona-Pandemie vorläufig unterbrochen werden. Nach siebenjähriger intensiver Vorbereitungszeit ist das ein harter Schlag und die Enttäuschung bei den AktivistInnen groß.

Während der ersten einhundert Tage in Indien fanden zahlreiche Veranstaltungen statt, die viele Menschen erreichten. Durch Pakistan und Iran konnte aus politischen Gründen kein Marsch durchgeführt werden. Ein kurzer Besuch von Rajagopal, einem Sprecher der Landrechtebewegung, wurde dennoch in Teheran absolviert.

Der Fußmarsch fand in einer Zeit statt, in der durch die neuen, Muslime diskriminierende Einwanderungsgesetze der hindunationalistischen Regierung soziale Ungleichheit, Landraub und ökologische Themen im öffentlichen Diskurs in den Hintergrund gedrängt wurden. Umso wichtiger war es, mit dem Marsch ein Gegengewicht zu schaffen. Er begann in Delhi und führte über Bophal in Richtung Süden zum Ashram Lewagram in Wandha, wo Gandhi die letzten zwölf Jahre seines Lebens verbracht hatte.

In Indien legten die 50 MarschiererInnen etwa 1.900 Kilometer durch insgesamt sieben Bundesstaaten zurück. Es fanden täglich viele Begegnungen, Diskussionen und Veranstaltungen mit Adivasis (Ureinwohner
Innen), SchülerInnen-Gruppen und anderen Menschen in den Dörfern und Städten statt.

In Bhopal gedachten die TeilnehmerInnen der Umweltkatastrophe im Jahre 1984, die von dem US-Chemiekonzern Union Carbide Corporation verursacht wurde und führten Versammlungen und Vorträge in dem Hahnemann Homoepathic Medical College and Hospital durch, das sich in der Nähe befindet.

Schlusspunkt des indischen Fussmarsches war Wandha, wo die dortige Universität zusammen mit anderen Organisationen eine Friedenskonferenz mit 250 TeilnehmerInnen abhielt. Sie hatte zum Thema, wie Gandhis Gewaltfreiheit in Regierungshandeln in den Bereichen Wirtschaft und Bildung implementiert werden kann.

Der Fotograf Herbert Sauerwein hat im Jahr 2012 an dem von Ekta Parishad organisierten Marsch (Jan Satyagraha) von zehntausenden Landlosen teilgenommen und konnte aus nächster Nähe hervorragende Fotos von den beteiligten Menschen machen. Eine Auswahl davon ist in einer umfangreichen chronologisch aufgebauten Überblend-AV mit einigen kurzen Erläuterungen einsehbar: youtube.com/watch?v=t46PWjljK0U

 

Armenien

 

Als die 16 MarschteilnehmerInnen aus verschiedenen Ländern und ihr Unterstützungsteam auf dem Flughafen von Armeniens Hauptstadt Eriwan begeistert von einheimischen FriedensfreundInnen mit angelegtem Mundschutz empfangen wurden, zeigte sich, dass auch dieses Land von der Corona-Pandemie nicht verschont wurde. Bevor es zum Ausgangspunkt des Fussmarsches in der Nähe der iranischen Grenze ging, wurde das Denkmal, das an den Völkermord an den ArmenierInnen erinnert, in der Hauptstadt besucht

Anschließend führte der Fußmarsch der kleinen Gruppe teilweise durch verschneite Gebirgslandschaften in der Nähe des Berges Ararat und an der stark militarisierten Grenze zu Aserbaidschan vorbei. In den Dörfern fanden viele Begegnungen und Diskussionen im kleinen Kreis mit politischen EntscheidungsträgerInnen und der Bevölkerung statt. Durch das Aufkommen der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Kontrollen und Probleme bei der Suche nach Unterkunft wurde eine Weiterreise immer schwieriger, so dass die TeilnehmerInnen schweren Herzens den Marsch abbrechen und die Heimreise antreten mussten.

Foto: Herbert Sauerwein

Wie der Faden von Jai Jagat 2020 im Herbst wieder aufgenommen werden kann, ist im Moment noch offen. Zur Zeit ist von der Organisation „Gandhi-Preis für Zivilcourage und Gewaltfreie Veränderung“ eine Fahrradtour zusammen mit verschiedenen Schulen vom 14. September bis 18. September zwischen den Städten Dortmund, Essen, Düsseldorf, Wuppertal und Köln geplant (2).

Der Fussmarsch in Indien eröffnete einige Perspektiven für die Zukunft und war erfolgreich. Der Wunsch von Ekta Parishad  nach internationaler Vernetzung und Solidarität ist selbstverständlich nachvollziehbar. In meinem Beitrag in dem 2019 erschienenen Buch Gandhi: Ich selbst bin Anarchist, aber von einer anderen Art bezeichnete ich vier Monate vor Beginn des Fußmarsches Jai Jagat 2020 jedoch vorsichtig als „sehr ambitioniert“ (3).
Denn ob der immense Aufwand mit seiner siebenjährigen Vorbereitungszeit und Reisetätigkeit um den ganzen Globus für den internationalen Teil des Fußmarsches wirklich gerechtfertigt war und die UNO in Genf als Ansprechpartner der naheliegendste Ansatz bei der Überwindung von Ungerechtigkeiten und Landraub bei den Adivasis und Dalits (sog. Unberührbare) im ländlichen Indien ist, möchte ich allerdings mit einem Fragezeichen versehen. Es wäre wirklich bedauerlich, wenn die gute Arbeit von Ekta Parishad vor Ort wegen der kräftezehrenden internationalen Ambitionen vernachlässigt würde.

 

 

Anmerkungen:

(1) Infos zu Jai Jagat 2020: https://jaijagat2020.eu/de/startseite/

(2) Weitere Infos: https://gandhi-preis.de/gandhi-preis/

(3) Lou Marin, Horst Blume: „Gandhi: ,Ich selbst bin Anarchist, aber von einer anderen Art‘“, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2019, S. 137.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.