Aufstand der Spargelritter

Der „wilde“ Streik der Erntearbeiter*innen (1)

| Rudolf Mühland

Vom 15-25. Mai 2020 erregten einige hundert Erntarbeiter*innen in Bornheim bei Bonn europaweites Aufsehen. (2) Rudolf Mühland berichtet über den erfolgreichen Arbeitskamp der Erntearbeiter*innen und die Unterstützung durch die Freie-Arbeiterinnen und Arbeiter-Union (GWR-Red.)

Was war passiert? Eigentlich nicht viel. Die Landarbeiter*innen, die zur Spargel- und Erdbeerernte aus Rumänien gekommen waren, hatten ihren versprochenen Lohn nur unvollständig bekommen, die Unterbringung war miserabel, ohne warmes Wasser oder Heizung (3) und die Verpflegung schlecht. Doch dieses Mal wollten einige der Arbeiter*innen das nicht hinnehmen. Sie verweigerten die Arbeit, stellten Forderungen nach Lohn und Würde und wurden dabei nicht alleine gelassen.

Zur Situation der Erntearbeiter*innen

Spargel wird in der Regel von Mitte April bis Mitte Juni geerntet. Erdbeeren von Mitte Mai bis Ende Juli. Einige Arbeiter*innen werden vom Beginn der Spargelernte bis zum Ende der Erdbeerernte angeheuert. Viele arbeiten aber nur für weniger als drei Monate. Für diese können verkürzte Kündigungsfristen im Vertrag festgeschrieben werden. Möglich ist eine Frist von einem (!) Tag. So können die Bosse unliebsame Arbeiter*innen schnell los werden. Der Lohn ist ein Mischlohn aus Mindestlohn nach Mindestlohngesetz (4) und einem Akkordlohn. Diese Mischung soll die Arbeiter*innen dazu verleiten, möglichst schnell zu arbeiten. In der Regel stellen die Landwirte auch Kost und Logis – allerdings wird beides den Arbeiter*innen in Rechnung gestellt. Die streikenden Arbeiter*innen in Bornheim kamen überwiegend aus Rumänien. Generell bringen vor allem Arbeiter*innen aus Osteuropa auf den Feldern die Ernte ein. Dieses Jahr versuchten die Landwirte (mit mäßigem Erfolg) wegen des pandemischen Ausnahmezustandes auch verstärkt Einheimische an zu stellen.

Bornheim – eine Chronologie

Die Spargel Ritter GbR musste aus vielen Gründen Anfang des Jahres Insolvenz anmelden. (5) Ab 1. März 2020 übernahm die Bonner Rechtsanwaltskanzlei Schulte-Beckhausen und Bühs, namentlich RA A. Schulte-Beckhausen, im Rahmen der Insolvenzverwaltung die Geschäfte. Auf zumeist gepachteten Äckern, wurden vorwiegend Spargel und Erdbeeren angebaut. Zuerst wurde die Spargelernte vom Insolvenzverwalter vorzeitig abgebrochen, weil der Markt für Spargel wegen der Corona-Pandemie weggebrochen sei. (6) Noch während des Arbeitskampfes wurde auch die Erdbeerernte eingestellt.

Am Freitag, dem 15. Mai gab es eine erste Meldung im Bonner Radio und später im General Anzeiger (7) wonach seit dem Morgen zahlreiche, vor allem aus Rumänien stammende Erntearbeiter*innen im Streik seien. Die FAU Bonn nahm sofort Kontakt auf und suchte über das Wochenende den Austausch mit den Arbeiter*innen. In den zahlreichen Gesprächen stellte sich heraus, dass die Arbeiter*innen nicht nur um Teile ihres Lohns geprellt wurden, sondern auch unter unhygienischen Bedingungen untergebracht waren, und dass kein der Corona-Pandemie angemessenes Hygienkonzept verfolgt wurde. Die Forderungen an den Insolvenzverwalter (8) waren klar: Auszahlung der Löhne in voller Höhe, Umsetzung hygienischer Standards, auch unter dem Aspekt der Pandemie, bessere Verpflegung und Zugang der Gewerkschaft zu dem Betriebsgelände sowie den Unterkünften.

Am darauf folgenden Montag organisierten 200 Arbeiter*innen eine Demonstration am Betriebsgelände der Firma Spargel Ritter. Dies und der Druck, der durch eine große mediale Öffentlichkeit aufgebaut werden konnte, führten dazu, dass den Arbeiter*innen weitere Teilbeträge ihrer Löhne von 5€ (!) bis 500€ ausgezahlt wurden. Allerdings sollten die Arbeiter*innen im Gegenzug Aufhebungsverträge und Verzichtserklärungen unterschreiben. Hier ist es den Syndikalist*innen, den Übersetzer*innen und dem Rechtsanwalt zu verdanken, dass die Arbeiter*innen über den Inhalt und die Tragweite der Dokumente unterrichtet werden konnten. Am Ende des Tages hat nicht eine Arbeiter*in auf ihre Ansprüche verzichtet! Noch am selben Abend wurde beschlossen den Protest vom Betrieb zum Büro des Insolvenzverwalters in Bonn zu verlagern, um so den öffentlichen Druck zu erhöhen.

Trotz dieser Etappensiege und der Perspektive den Kampf weiter bestimmen zu können, sollte dieser Tag nicht spurlos an den Arbeiter*innen vorbei gehen. Der nächste Morgen war geprägt von Verunsicherung, Hoffnungslosigkeit und auch Misstrauen gegenüber den Unterstützer*innen. Zum einen hatten die Arbeiter*innen ihre wichtigste Forderung, Auszahlung der vollen Löhne, noch nicht erreicht, zum anderen wurde ihnen im Laufe des Montags klar, dass der Insolvenzverwalter nicht gewillt war, ihren Forderungen nach zu geben.

Während am Dienstagmorgen ab 10 Uhr Unterstützer*innen in der Bonner Innenstadt ankamen, um vor der Kanzlei für die Forderungen der Arbeiter*innen zu demonstrieren, waren diese zuerst noch in Bornheim. Seit dem Morgen kursierten dort Gerüchte, sowohl dass wieder Löhne ausgezahlt würden, als auch dass die Unterkunft geräumt werden sollte. Insgesamt war die Situation unübersichtlich und es gab widersprüchliche Informationen. Schlussendlich hielt dies die Arbeiter*innen jedoch nicht ab nach Bonn zu fahren. In mehreren Gruppen trafen sie vor der Kanzlei ein. Auch der Zustrom der Unterstützer*Innen riss nicht ab – so dass sich später am Tag einige hundert Menschen in einem Demonstrationszug durch Bonn auf den Weg zum rumänischen Konsulat machten. Dort wurden eine Abordnung der Arbeiter*innen und ein Gewerkschaftvertreter der FAU Bonn vom Konsul empfangen. Die rumänische Arbeitsministerin befand sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin, um mit der Landwirtschaftsministerin und dem Wirtschaftsminister über die Behandlung rumänischer Arbeiter*innen zu reden. Die Arbeitsministerin versicherte am nächsten Tag in NRW zu sein und bei dieser Gelegenheit die Arbeiter*innen in Bornheim zu besuchen und sich für sie ein zu setzten.

Im Laufe des Mittwochs kam die Arbeitsministerin tatsächlich nach Bornheim – allerdings in Begleitung des Insolvenzverwalters. Nach Gesprächen mit einigen Arbeiter*innen, abgeschottet von der Gewerkschaft und ihrem Rechtsanwalt, bot die Ministerin dann diese Lösungen an:

  1. Das Konsulat würde die Rückreise für alle Rückreisewilligen organisieren
  2. In Absprache mit dem Deutschen Bauernverband würden alle, die weiter arbeiten wollten, auf andere Höfe verteilt werden
  3. Der Insolvenzverwalter würde alle Löhne vollständig auszahlen (allerdings nur die jeweils erfassten geleisteten Arbeitsstunden) (9)
  4. Bis dahin sollten alle in den Containerunterkünften bleiben können.

Kurz darauf konnten alle selbst erleben, wie diese Versprechungen umgesetzt wurden. Der Insolvenzverwalter hatte eine weitere Lohnzahlung organisiert. Dazu wurden die Arbeiter*innen in kleine Gruppen von 10 Leuten aufgeteilt und in mehrere Busse verfrachtet. Diese fuhren dann zu unterschiedlichen Orten, wo ihnen der Lohn ausgezahlt werden sollte. Wieder verweigerte der Insolvenzverwalter den Gewerkschafter*innen und ihren Übersetzer*innen den Zutritt. Immerhin konnte durchgesetzt werden, dass der Anwalt der Gewerkschaft bei den Lohnauszahlungen zu gegen war. So konnte abermals verhindert werden, dass die Arbeiter*innen Verzichtserklärungen unterschrieben. FAU‘istas, die versuchten die Busse bis zu ihren Zielen (oft Parkplätze oder gar „das freie Feld“) zu verfolgen, wurden teilweise durch die Polizei daran gehindert. Trotzdem gelang es bei der einen oder anderen Auszahlung vor Ort zu sein und diese zu beobachten. Im Anschluss an diese Auszahlung und am nächsten Tag kamen rund 180 Arbeiter*innen noch einmal zur FAU und erteilten den Anwälten eine Vollmacht, um ihre Ansprüche zu prüfen und vor dem Arbeitsgericht ein zu klagen.

Diejenigen Arbeiter*innen, die an andere Höfe vermittelt werden sollten, fragten nun gezielt nach den Bedingungen (Lohn, Unterkunft, Verpflegung). Einige bestanden auf Betriebsbesichtigungen bevor sie sich entscheiden wollten. So mancher Hof erhielt eine Absage… Damit war der öffentliche Arbeitskampf vorerst beendet. Am Donnerstag und Freitag wurden die Rückreisen organisiert und weitere Jobs vermittelt. Bei einer Pressekonferenz auf den Feldern erklärten die Militanten der FAU Bonn und zwei Anwälte noch einmal die Hintergründe und nächsten Schritte…

Spaltungslinien/Probleme

Schon zu Beginn des Konfliktes stellte sich die Sprache als eine der größten Barrieren heraus. Nur weil eine der rumänischen Arbeiter*Innen Deutsch sprach und besonders aktiv war, wurde die ganze Sache überhaupt publik. Gleichzeitig fehlte, unter anderem Aufgrund der Sprachbarriere, der Kontakt zu den nicht rumänischen Arbeiter*innen. In den wenigen Tagen und angesichts der zahlreichen Aufgaben, die es zu bewältigen galt, wurden die anderen Sprachgruppen sowie die „deutschen“ Arbeiter*innen (10) nur verspätet erreicht.

Auch das anfängliche Misstrauen der Arbeiter*innen gegenüber der Gewerkschaft und den „deutschen“ Unterstützer*innen hat einiges erschwert. Wie uns später einige Arbeiter*innen erzählten, haben Gewerkschaften in Rumänien aus vielen Gründen einen sehr schlechten Ruf. Außerdem leuchtete vielen Arbeiter*innen anfangs nicht ein, warum sich „Deutsche“ für ihre Lage interessieren sollten. Abgebaut werden konnte dieses Misstrauen durch konsequentes Ernstnehmen der Wünsche und Bedürfnisse der Arbeiter*innen. Auch die Welle der Solidarität hat einiges dazu beigetragen. So sind nicht nur Militante der FAU aus dem ganzen Bundesgebiet nach Bornheim gekommen, sondern auch Leute von der Basis-Gewerkschaft „unter_bau“ (Uni Frankfurt a.M.), Wildcat, Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen, der Plattform und zahlreichen anderen Gruppen! Zahlreiche Gruppen schickten Solidaritätsfotos. Am Wichtigsten war hier sicher der Austausch von solidarischen Grüßen zwischen den Kämpfenden in Bornheim und den migrantischen und zum Teil illegalisierten Landarbeiter*innen in Italien. Diese hatten am 23. Mai zu einem landesweiten Streik aufgerufen.

Ausblick

Der medienwirksame Teil der Auseinandersetzung ist seit Freitag, dem 22. Mai vorbei. Trotzdem geht es weiter. Noch immer sind nicht alle Arbeiter*innen, die nach Rumänien zurückfahren wollten, auf dem Weg. (11) Diejenigen, die sich entschlossen haben bis zum Saisonende in der Ernte zu arbeiten, stehen weiterhin im Kontakt und Austausch mit der FAU. Gut 180 Arbeiter*innen haben darüber hinaus den Anwalt der FAU Bonn beauftragt, ihre Ansprüche zu prüfen und vor Gericht ein zu klagen. Natürlich wird die FAU Bonn dies weiter verfolgen. (12)

Die Partei „Die Linke“, namentlich der Bundestagsabgeordnete Dr. Alexander Neu, hat es sich nicht nehmen lassen, Strafanzeige gegen den Insolvenzverwalter wegen des Verdachts des besonders schweren Betruges, der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt und der vorsätzlichen oder fahrlässigen Köperverletzung zu erstatten. (13)

Die FAU hat mehrere neue Kontakte (u.a. in Rumänien, Polen, Italien, Spanien…) und wird sich weiter mit der Situation der Erntearbeiter*innen beschäftigen. Ziel ist es ein Syndikat für Erntearbeiter*innen aufzubauen. Erster Schritt dahin wird der Austausch zwischen den verschiedenen Organisationen, Initiativen und Gruppen sein. Bis nächstes Jahr soll eine Broschüre für Erntearbeiter*innen erstellt werden, die ihnen ihre Rechte erklären und Kontaktadressen bereithalten soll. Das sind ambitionierte Ziele, aber wenn die Arbeiter*innen anfangen, sich gegen das System der Ausbeutung in der Landwirtschaft auf zu lehnen, werden die anarchosyndikalistischen Organisationen nicht abseits stehen.

Rudolf Mühland

Anmerkungen

(1) Durch die Beteiligung der FAU Bonn konnte der Streik direkt legalisiert werden.

(2) Hier zwei Beispiele: https://freedomnews.org.uk/germany-seasonal-workers-force-farm-bosses-to-pay-up/ und auf dieser Seite mit Suchbegriff Bonn findet man eine ganze Reihe Berichte: https://adevarul.ro/cauta/?terms=bonn

(3) Während der Eisheiligen gab es Nachts Temperaturen im einstelligen Bereich. In den Wohncontainern schlug die Kälte voll durch. Die Zimmerbelegung war mit drei und mehr Personen unerträglich.

(4) In der Landwirtschaft waren bis 2017 Ausnahmen im MiLoG vorgesehen. So konnten in Tarifverträgen (!) niedrigere Löhne vereinbart werden. Aktuell beträgt der Mindestlohn 9,35€/h

(5) https://www.general-anzeiger-bonn.de/region/voreifel-und-vorgebirge/bornheim/wie-spargel-ritter-in-seine-wirtschaftliche-lage-geriet_aid-51254167

(6) https://www.general-anzeiger-bonn.de/region/voreifel-und-vorgebirge/bornheim/spargel-ritter-in-bornheim-rumaenische-arbeitsministerin-unterstuetzt-erntehelfer_aid-51244373

(7) https://www.general-anzeiger-bonn.de/region/voreifel-und-vorgebirge/bornheim/erntehelfer-bei-spargel-ritter-protestieren-gegen-missstaende_aid-51157837

(8) Fast alle in den Streik getretenen Arbei-ter*innen wurden unter der Verantwortung des Insolvenzverwalters angestellt. Er trägt damit die alleinige finanzielle Verantwortung

(9) Die Forderung der Arbeiter*innen war, den vertraglich zugesicherten Lohn für die vollen drei Monate zu erhalten. Immerhin waren sie aufgrund dieses Lohnversprechens nach Bornheim gekommen, ohne zu ahnen, dass der Betrieb insolvent war.

(10) Menschen, die ihren Hauptwohnsitz in der BRD haben – unabhängig vom Pass.

(11) Stand 25. Mai.:

(12) Für Informationen rund um den #BornheimStreik lohnt sich ein Blick auf die Homepage www.bonn.fau.org

(13) http://www.scharf-links.de/92.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=73805&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=85000d07b2