Wie rechts bleibt die Polizei?

Die Aufdeckung ihrer Skandale bietet Chancen für Veränderungen

| Horst Blume

Die aktuelle Debatte über rechtsradikale Tendenzen bei der Polizei sollte dazu genutzt werden, die Handlungsspielräume der sozialen Bewegungen auszuweiten. Konservative PolitikerInnen hingegen wollen eine geforderte umfassende Polizeistudie in ihr Gegenteil verkehren.

Wer in den letzten Monaten in kritischen Medien darauf geachtet hatte, musste alle paar Tage Berichte über aktuelle rechtsradikale und rassistische Vorfälle bei der Polizei lesen. Doch diese Ereignisse sind nichts Neues, sondern haben eine lange Geschichte. Nach 1945 fand kein Neuanfang statt, sondern frühere PolizistInnen aus der Zeit des Faschismus und ehemalige NSDAP-FunktionärInnen, Wehrmachtsoffiziere sowie Mitglieder der SS machten in den folgenden Jahrzehnten im Polizeidienst Karriere und prägten mit ihrer rechten Gesinnung die Polizeiarbeit.
Als nach der Wiedervereinigung verstärkt ausländerfeindliche Übergriffe stattfanden und die „Republikaner“ Wahlerfolge einfuhren, konnte beobachtet werden, dass die Polizei oft bei rassistischen Übergriffen wegschaute und etliche von ihnen offen ihre Sympathien für diese rechte Partei zeigten. Bodo Pfalzgraf, heute der Landesvorsitzende der „Deutschen Polizeigewerkschaft“ (DpolG) Berlin, war beispielsweise in den 90er Jahren nicht nur Mitglied der „Republikaner“, sondern intensiv mit offen rechtsradikalen Gruppen vernetzt. (1)

Es ging auch mal anders!

Neben harten Auseinandersetzungen mit der Polizei gab es während der letzten Jahrzehnte unter bestimmten Bedingungen aber auch Situationen, in denen sich die Lage weniger konfrontativ darstellte und sich hieraus wichtige Handlungspielräume für gewaltfreie AkteurInnen ergeben konnten. Als wir von den Bürgerinitiativen gegen den Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm 1976 für einen Tag den Platz an den Kühltürmen gewaltfrei besetzten und für eine Informationsveranstaltung nutzen, blieb die Polizei nach anfänglicher Verwunderung gelassen und mehrere Polizisten kauften für eine Mark an unserem aufgebauten Stand Würstchen und diskutierten mit uns.
Zehn Jahre später nach der Katastrophe in Tschernobyl und dem Störfall im THTR blockierten wir mit Treckern die Zufahrten zum Reaktor. Zu dieser Zeit beugten sich BlockiererInnen und örtliche PolizistInnen gemeinsam besorgt über unseren tickenden Geigerzähler und waren sehr beunruhigt. Erst als nach längerer Zeit von weither angereiste Polizeihundertschaften anrückten, traten wir den geordneten Rückzug an, um nach ein oder zwei Wochen wiederzukommen.
Ich denke, es ist für soziale Bewegungen sehr wichtig, dass ihre Entwicklungsmöglichkeiten nicht zu sehr durch brutale Polizeirepression eingeengt werden. Hierdurch eröffnen sich Möglichkeiten, längerfristige Kampagnen durchzuführen und auf niedrigschwelliger Ebene möglichst viele Menschen in die Proteste einzubeziehen und unserer Marginalisierung vorzubeugen. Aber genau das wird durch die zunehmend aufgeheizte, politische Stimmung und den seit Jahren stattfindenden Rechtstrend erschwert.

Kein Freund, kein Helfer

Die schon immer bestehende einseitige staatliche Parteinahme gegen emanzipatorische soziale Bewegungen wird unter diesen Bedingungen verstärkt. Nicht die rechten MarschiererInnen werden in die Schranken verwiesen, sondern die protestierenden AntifaschistInnen von der Polizei drangsaliert, verprügelt und kriminalisiert. Davon bekommt ein größerer Teil der Bevölkerung allerdings kaum etwas mit, da nur wenige hegemoniale Zeitungen oder Fernsehformate hierüber kontinuierlich berichten.
Viele Menschen glauben noch immer, dass die Polizei ihr Freund und Helfer in der Not sei und können unsere Kritik nicht nachvollziehen. Sie bekommen allenfalls Probleme mit der Polizei bei diversen Straßenverkehrsdelikten. Demgegenüber haben unzählige MigrantInnen, People of Colour, Arme, Ausgegrenzte und natürlich auch linke DemonstrantInnen sehr oft ihre ganz besonderen Schwierigkeiten mit der Polizei, weil sie von einer konstruierten Normalität abweichen, unter besonderer Polizeibeobachtung stehen und von ihr diskriminierend behandelt werden. Die Einen haben in ihrer Alltagserfahrung fast jeden Tag mit Polizeigewalt zu tun, die Anderen bemerken sie in ihrer selektiven Wahrnehmung nicht einmal. Letztere sind besonders empfänglich für Heldenerzählungen in den Medien der Polizeipresse, insbesondere auf Twitter.
Die in Teilen der Öffentlichkeit begonnene Debatte über rechte Tendenzen bei der Polizei ist eine Chance, möglichst viele Menschen auf die Realität hinzuweisen und der bisherigen Entwicklung Widerstand entgegenzusetzen. Als der Skandal um die rechtsterroristische Gruppe S. und den Hammer Polizeimitarbeiter Thorsten Wollschläger bekannt wurde, beeilte sich NRW-Innenminister Reul, dies zu einem Einzelfall zu erklären. Eine neue, umfassende und breit angelegte Studie zu rechtsradikalen und rassistischen Tendenzen bei der Polizei lehnte er ab, weil er der Meinung war, dass 99 Prozent der PolizistInnen damit nichts zu tun hätten. Doch woher will er dies so genau wissen ohne so eine Studie?

Polizeiopfer werden nicht gefragt

Ein weiterer Schwachpunkt in der Studien-Debatte ist, dass die betroffenen Opfer von polizeilichen Handlungen aus Sichtweise der staatlichen Akteure bisher keine Rolle spielen und nicht befragt werden. Eine lobenswerte Initiative stellt hingegen die Studie von Professor Tobias Singelnstein an der Universität Bochum dar. Nach dieser nicht repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2020 gaben 62 Prozent der nichtweißen Menschen an, bei Begegnungen mit PolizistInnen Diskriminierung erfahren zu haben. Ein Jahr zuvor veröffentlichte Singelnstein, dass jährlich mindestens von 10.000 Fällen ungerechtfertigter Polizeigewalt auszugehen ist, von denen die meisten nicht zur Anzeige gebracht werden. (2)
In dem Lagebericht „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ vom September 2020 legt der Verfassungsschutz umfangreiches statistisches Zahlenmaterial zu diesem Thema vor und verspricht für das Land NRW: „Beim Vorliegen von Anhaltspunkten für (rechts-) extremistische Einstellungen wird diesen konsequent nachgegangen. Die erforderlichen dienst- und arbeitsrechtlichen Schritte werden ergriffen“. (3) Das darf bezweifelt werden. Woher nimmt der Verfassungsschutz die Sicherheit, dass alle Fälle von rechtsradikal motivierten Vergehen von den zuständigen Stellen entdeckt und gemeldet werden? Der bisherige polizeiinterne Umgang mit dem Sachverhalt zeigt überdeutlich, dass viele PolizistInnen nicht nur nicht ausreichend für das Erkennen von rechtsradikalen Äußerungen und Handlungen sensibilisiert sind, sondern ein grundsätzliches Problem besteht, das die Zeitschrift „Cilip. Bürgerrechte & Polizei“ wie folgt beschreibt:
„Dass Vorgesetzte und Kolleg*innen wegsehen und rassistische und diffamierende Äußerungen bagatellisiert werden, hat nicht nur mit Korpsgeist zu tun, sondern ist auch Ausdruck eines politischen Klimas in der Polizei. Dass eine Ständeorganisation wie die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) einen Jahreskalender herausgab, der eindeutig rassistische Karikaturen enthält, ist an sich schon skandalös. Der eigentliche Skandal aber ist, dass die DPolG erstens davon ausgehen konnte, dass sich viele ihrer Mitglieder diesen Kalender in ihre Dienststelle hängen, und dass es zweitens auch polizeiintern keine nennenswerten Gegenreaktionen gab – zum Beispiel klare Dienstanweisungen, dass so etwas in einer Polizeiwache nichts zu suchen hat. Daher ist naheliegend, dass Forderungen nach einer Einstellungsuntersuchung bei der Polizei erhoben werden“.(4)

Rechte PolitikerInnen engagieren sich nicht gegen Rechte

Aber auch bei dem politischen Personal können wir keineswegs davon ausgehen, dass sie Willens sind, Rassismus und rechtsradikale Einstellungen zu benennen, gesetzgeberisch zu sanktionieren und in der Praxis zu unterbinden. Sie sind selbst Teil des Problems.
Im Jahr 2018 hat Bundesinnenminister Seehofer auf einer Pressekonferenz erfreut betont, dass an seinem 69. Geburtstag zufällig auch 69 AfghanInnen in ihr Heimatland abgeschoben worden sind. (5) Kann man von solchen Leuten Sensibilität, Willen und Kompetenz erwarten, etwas gegen rassistische und rechtsradikale Einstellungen zu tun? Die Antwort gibt Seehofer selber, indem er die geforderte umfassende Studie zu rechten PolizistInnen in ihrer Ausrichtung ins Gegenteil verkehrt: Jetzt soll es um die vielen Erschwernisse gehen, denen die PolizistInnen im Alltag und in Stresssituationen ausgesetzt sind und die damit als Entschuldigung dafür herhalten müssen, dass die Polizei so ist wie sie ist! (6) Die von Seehofer geforderte Einbeziehung von Rechtstendenzen in der Gesamtgesellschaft dient dazu, das offensichtlich sehr spezielle Polizeiproblem zu relativieren, indem die Polizei zum vielzitierten Spiegelbild der Gesellschaft erklärt wird. Und damit bei dieser Studie im Sinne von Seehofer nicht die falschen Ergebnisse herauskommen, wird sie nicht bei einer unabhängigen Stelle in Auftrag gegeben, sondern ausgerechnet bei der Deutschen Polizeifachhochschule.
Und was macht NRW-Innenminister Reul, in dessen Bundesland offiziell 200 Fälle – der Dunkelbereich wird erheblich höher liegen – von rechtsradikalen PolizistInnen zu vermelden sind? – Er entschuldigt sich. Aber nicht bei den Opfern rechter Gewalt und Diskriminierung, sondern bei denjenigen PolizistInnen, die zwar in diversen Chatgruppen rechte Nachrichten bekommen, aber dummerweise diese nicht bemerkt haben wollen und angeblich ungerechtfertigterweise unter Verdacht gerieten! (7)

Erste Alibi-Veranstaltungen

In Hamm, wo das Polizeipräsidium nach der Festnahme des rechtsterroristischen Mitarbeiters Wollschläger, der Entdeckung anderer rechter PolizistInnen und der Zusammenarbeit mit dubiosen rechtsaffinen Security-Firmen unter verschärfter Beobachtung steht, muss die Polizeiführung zumindest symbolisch guten Willen zeigen, damit hier keine weitergehenden personellen Konsequenzen drohen.
In Zusammenarbeit mit dem Multikulturellen Forum Dortmund soll in Hamm jetzt die „transkulturelle Kompetenz“ ausgebaut werden. Ein halbjährliches Veranstaltungsprogramm für die Führungskräfte der Polizei ist geplant. Angesichts der haarsträubenden bisherigen Vorfälle sind das bemerkenswert wenig Konsequenzen. Dem mit viel wohlgefälligen Wortgeklingel garnierten PR-Artikel über diese Kooperation in der Lokalzeitung „Westfälischer Anzeiger“ (WA) ist ein Foto beigestellt mit dem Untertext: „Wie begegnet man anderen Meinungen?“ (8) Zu sehen ist ein Polizist in voller Kampfmontur mit Polizeihund, der wie selbstverständlich demonstrierenden AntifaschistInnen gegenübersteht!