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„Solidarität ist die Grundlage jeder linken Politik“

Interview mit Yannik U., Angeklagter im Rondenbarg-Prozess

| Gaston Kirsche (Interview)

In Reih und Glied: Die hochmilitarisierte Hamburger Polizei während G20 2017 - Foto: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Zu besonders vielen Festnahmen während der Proteste gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg kam es, als zwei Hundertschaften der Polizei eine kleine Demonstration in der abgelegenen Straße Rondenbarg überrannten. Von 200 Protestierenden, darunter zahlreiche Minderjährige, wurde jede/r Dritte verhaftet: „Vor Ort wurden etwas über 70 Personen festgesetzt, von denen dann 14 im Krankenhaus gelandet sind, die Restlichen bis zu den 83 Angeklagten kamen aus der Öffentlichkeitsfahndung“, so der Angeklagte Yannik U. Mit Fotos wurde über Medien und im Internet ebenso wie polizeiintern gefahndet, als ob es sich um Schwerkriminelle handeln würde. Vor der großen Jugendstrafkammer 27 am Hamburger Landgericht begann am 3. Dezember das Pilotverfahren im so genannten Rondenbarg-Komplex (siehe GWR 455). Die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Georg Halbach brach den Prozess nach sechswöchiger Unterbrechung am 27. Januar 2021 komplett ab und begründete den Abbruch mit der Entwicklung der Covid-19-Pandemie und dem verschärften Lockdown. Vor Gericht standen fünf mittlerweile 19 bis 21-Jährige aus Stuttgart, Mannheim, Halle und Bonn, die bei ihrer Festnahme am 7. Juli 2017 entweder 16 oder 17 Jahre alt waren. Insgesamt sollen in diesem Zusammenhang 83 Personen angeklagt werden. Ihnen wird gefährliche Körperverletzung, Widerstand und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamt*innen sowie die Bildung bewaffneter Gruppen und Landfriedensbruch vorgeworfen. Allerdings werden ihnen keine individuellen Straftaten zugeordnet, sondern pauschal alle Aktivitäten angelastet, die aus dem Protestzug heraus ausgeübt worden seien. Einer der fünf im Dezember Angeklagten ist Yannik U., 20 Jahre, aus Stuttgart. Yannik macht eine betriebliche Ausbildung und ist in Stuttgart auch politisch aktiv. Das Interview mit Yannik U. hat für die Graswurzelrevolution Gaston Kirsche geführt.

GWR: Warum warst du bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg dabei?

Yannik U.: Die G20, also der Zusammenschluss der 19 mächtigsten Industrienationen und der EU treffen sich jährlich, um ihre unterschiedlichen Interessen kontrovers zu diskutieren und diplomatische Lösungen zu finden.

Was macht das für einen Unterschied, wie einen die Staatsanwaltschaft bezeichnet? Sie sind Teil einer Justiz, die in ihrer Entstehung, ihrer Geschichte und den Gesetzen, nach denen sie handeln, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die Teilung der Gesellschaft in sich gegenüberstehende Klassen sichern und verteidigen sollen.

Das ist aber immer nur eine Seite der Medaille, da die gleichen Nationen in unterschiedlichen Konstellationen bewaffnete Konflikte anfeuern und Stellvertreterkriege führen. Immer geht es darum, die eigenen Interessen an Rohstoffen, sonstigen Ressourcen oder Absatzmärkten für die nationale Wirtschaft zu sichern. Somit sind die G20 Ausdruck imperialistischer Interessen und der Konkurrenz der einzelnen Staaten untereinander, die versuchen, die Welt unter sich aufzuteilen beziehungsweise sie neu zu verteilen. Von daher sind die G20 auch die Hauptgewinner des Kapitalismus und verantwortlich für dessen Folgen für Mensch und Umwelt. Sie sind Hauptverursacher von Umweltzerstörungen und Kriegen, sind Verursacher von Ausbeutung und Unterdrückung weltweit.

Der G20-Gipfel war aber auch ein innenpolitisches Thema?

Ja, gleichzeitig ist das Gipfeltreffen der G20 immer auch ein Kristallisationspunkt für neueste Überwachungs- und Sicherheitskonzepte. Einerseits wurden im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg Gesetze verschärft, die Polizei weiter aufgerüstet und militarisiert und quasi die komplette Stadt mit Sicherheitszonen und tausenden Polizist*innen unter Kontrolle gebracht.
Andererseits war aber auch klar, dass der Gipfel Kristallisationspunkt einer antikapitalistischen Gegenmobilisierung über die Grenzen Deutschlands hinaus sein würde.

Ein wichtiges Ereignis für Linke?

Es ist wichtig, neben der alltäglichen Aufbauarbeit in der Arbeiterklasse und im politischen Widerstand auch solche Anlässe zu nutzen, um sich zu vernetzen, Erfahrungen auf der Straße zu sammeln und Organisierung auch auf der Straße sichtbar zu machen.

Wie haben dein Umfeld und deine Familie auf deine Verhaftung am 7. Juli 2017 reagiert?

Wie sollen sie reagiert haben? Natürlich waren meine Eltern nicht begeistert, aber klar ist doch auch, dass ich nicht der Einzige war, der in Hamburg festgenommen wurde. Ich hatte auch mehr Glück als andere, die teilweise noch Monate in U-Haft saßen. Die ganze Repression wurde in Stuttgart danach kollektiv aufgefangen, um nicht in Passivität zu verfallen.

Wie wichtig war die Solidarität vor Prozessbeginn?

Solidarität ist die Grundlage jeder linken Politik. Es geht nicht ohne sie und es gibt eigentlich nichts Wichtigeres. Die Solidarität rund um dieses Verfahren war ja auch sehr unterschiedlich und breit getragen: Am dezentralen Aktionstag am Wochenende vor Prozessbeginn fanden in 19 Städten Aktionen statt. Wir Angeklagten wurden in Hamburg, zumindest von den dortigen Genoss*innen, mit offenen Armen empfangen und haben alles an Unterstützung erhalten, was wir brauchten. Vor dem Prozessstart gab es eine Kundgebung vor dem Gebäude der Strafjustiz und am Samstag danach demonstrierten über 3.000 Leute in Solidarität mit uns und gegen die G20 und ihre Klassenjustiz in Hamburg.

G20 Protest bei der Großdemo am 8.Juli – Foto: Gaston Kirsche

Wie groß war der Aufwand, zu den Prozesstagen nach Hamburg zu fahren?

Ich bin am Abend vor den Prozesstagen, es waren ja auch nur zwei bisher, mit dem Zug hoch und dann danach wieder runter. Im Betrieb war das abgesprochen und das war es dann auch. Also alles keine große Sache. Es bringt ja auch nichts, da groß Panik zu schieben und sich selbst einzuschränken. Das ist ungesund und macht nur alles schlimmer. An der Tatsache, hochfahren zu müssen gab es ja auch nichts mehr zu drehen, dementsprechend kann es ja nur darum gehen, sich möglichst gut damit zu arrangieren, die Zeit im Zug zu nutzen und so weiter.

Wie ist es im Gerichtssaal gelaufen?

Relativ wechselhaft. Der erste Prozesstag war ja bereits nach der Anklageverlesung wieder vorbei, weil einer der Anwälte krank war. Am zweiten Tag hat die juristische Auseinandersetzung begonnen, die Verteidigung hat verschiedene Erklärungen und Anträge vorgetragen. Das ist einerseits spannend, folgt andererseits auch in gewisser Weise einem vorgeschriebenen Skript und kann schnell erschöpfend sein.

Hast du etwas gesagt vor Gericht?

Nein, nichts.

Wie ist es, wenn einem vorgeworfen wird, sich wie ein Fußballhooligan benommen zu haben, obwohl du im Unterschied dazu demonstriert hast?

Was macht das für einen Unterschied, wie einen die Staatsanwaltschaft bezeichnet? Sie sind Teil einer Justiz, die in ihrer Entstehung, ihrer Geschichte und den Gesetzen, nach denen sie handeln, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die Teilung der Gesellschaft in sich gegenüberstehende Klassen sichern und verteidigen sollen. Dass diese Klassenjustiz nicht die unsere ist und dementsprechend auch immer gegen eine revolutionäre Bewegung vorgehen wird, uns vor Gericht zieht, in den Knast sperrt und auch politisch angreift, ist da wenig verwunderlich.
Wichtiger als eine diffamierende Bezeichnung ist doch, wie wir in der Öffentlichkeit auftreten und gesehen werden. Es geht nicht darum, auf Worte zu schauen, sondern auf unser Handeln, auf das, was wir praktisch auf die Straße tragen. Wenn wir für die Klassenjustiz dann Hooligans sind, ist das Teil der politischen Agenda dieses Verfahrens.

Wie findest du den Abbruch des Prozesses?

Diese Frage kann ich eigentlich nur falsch beantworten. Klar ist es erst einmal sinnvoll, das Verfahren wegen der Pandemie nicht weiterzuführen. Aber, warum wurde dann im Dezember überhaupt erst angefangen? Warum war das dem Gericht damals trotz aller Anträge der Verteidigung offensichtlich egal?
Der Abbruch ist unter anderen Gesichtspunkten für uns nicht unbedingt förderlich: er zögert das Ganze weiter hinaus, trägt die Gefahr einer Zermürbung sowohl von uns Angeklagten als auch der Solidaritätsbewegung, in sich und wird ja auch nichts daran ändern, dass diese Verfahren an sich schon rein politischer Natur sind. Die Staatsanwaltschaft dreht im sogenannten Rondenbarg-Komplex völlig am Rad, möchte rechtliche Grenzen verschieben und betreibt eine politische Agenda gegen Links. Das Gericht trägt das Ganze natürlich ohne das zu hinterfragen mit.
Den Abbruch zu unterstützen würde bedeuten, diese Machenschaften von Gericht und Staatsanwaltschaft zu unterstützen und damit zu legitimieren. Es kann für uns aber nur um eine Einstellung aller Verfahren gehen – ohne miese Tricks oder Deals.

Rechnest du mit einer baldigen Wiederaufnahme?

So bald sicher nicht. Nach aktuellem Pandemieverlauf scheint das sehr unrealistisch. Allerdings sind die Hamburger Behörden, das hat ja die Vergangenheit gezeigt, zu vielem Verrücktem bereit, so dass eine genauere Antwort hier auch nicht mehr als ein Blick in die Glaskugel ist.

Vielen Dank, Yannik!

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.