biopolitik

Ein klarer Fall von Klassenjustiz

Tönnies verklagt Tierbefreiungsaktivist*innen

| Tear Down Tönnies

Foto: Tear Down Tönnies

Zivilrechtliche Verfahren als Mittel der Einschüchterung und Zermürbung gegen Aktivist*innen und unliebsame Kri-tiker*innen haben beim Tönnies-Konzern Methode. Die Aktionsgruppe „Tear Down Tönnies“ (TDT) ist nach einer Aktion des zivilen Ungehorsams besonders betroffen. Über ihre Gerichtsprozesse berichten für die Graswurzelrevolution die TDT-Aktivist*innen. (GWR-Red.)

Wir (TDT) blockierten am 21. Oktober 2019 den Tönnies-Schlachthof der Thomsen GmbH in Kellinghusen. Durch die Besetzung von zwei Laderampen sowie des Dachs der Schlachtfabrik wurde für knapp elf Stunden der reguläre Betrieb gestört und das Töten von mehreren Tausend Individuen verhindert. Ziel der Aktion war es, auf die prekären Arbeitsbedingungen, das endlose Tierleid und die starke Klima- und Umweltbelastung durch die Tierindustrie aufmerksam zu machen sowie die politischen Kämpfe darum zusammenzuführen. (1)
Im August 2020 erhielten einige Aktivist*innen in Folge der Blockadeaktion einen Brief der internationalen Wirtschaftskanzlei Eversheds Sutherland mit einer Schadensersatzforderung über 37.354,32 Euro. (2) Auf die absurden Forderungen des Konzerns wurde nicht eingegangen. Schließlich wurde die Schadenssumme vom Fleischriesen auf 15.626,20 Euro reduziert. Wohl auch, um vor Gericht keine Bilanzen offenlegen zu müssen. Die Schadensersatzklage wurde zudem um eine Unterlassungsforderung erweitert.
Mit der Unterlassungserklärung will Tönnies erreichen, dass die betroffenen Aktivist*innen 250.000 Euro zahlen müssen oder zu einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten verurteilt werden, wenn sie das Gelände des Schlachthofs erneut betreten, die Zufahrt zum Schlachthof oder den Zugang zu den Rampen beeinträchtigen oder Dritte dazu veranlassen beziehungsweise dabei unterstützen.

Zivilprozesse gegen TDT-Aktivist*innen

Einem Konzern, der seinen Gewinn mit der Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt macht, Schadensersatz zahlen? Sollte nicht vielmehr von Konzernen, die für Klimawandel, Artensterben, Landraub und die Zerstörung unserer Lebensgrundlage verantwortlich sind, Schadensersatz gefordert werden? Daher haben wir uns juristisch gegen diese Forderung zur Wehr gesetzt.
Tönnies hat in diesem zivilrechtlichen Verfahren veranlasst, dass die Prozesse aufgesplittet und an den Landgerichten der jeweiligen Wohnorte der Aktivist*innen verhandelt wurden. Durch die Aufsplittung der Verfahren wurden die Gerichtskosten für uns erheblich gesteigert. Während der Milliardenkonzern mit einer einzigen Verurteilung seine Schadensersatzforderung durchsetzen kann, müssten wir jedes einzelne Verfahren gewinnen, um die Forderungen abzuwenden.
Bisher fanden Prozesse in Kiel, Braunschweig, Aachen, Ingolstadt und Itzehoe statt. Die Richter*innen zeigten leider kein Interesse daran, das krude Firmengeflecht von Tönnies zu durchleuchten und die Rechnungen zu überprüfen. Lediglich das Landgericht (LG) Braunschweig folgte unserer Argumentation, dass die Aufsplittung der Verfahren einen Missbrauch der Prozessordnung darstellt, und hat das Verfahren an das LG Itzehoe (zuständig nach Tatort) verwiesen. Alle Gerichte entschieden, dass der von Tönnies angegebene Schaden zu zahlen sei, schränkten aber die Unterlassungserklärung auf ein Betretungsverbot des Schlachtfabrikgeländes ein.
Zusätzlich zur Schadensersatzsumme sind bislang Gerichtskosten in Höhe von 30.000 Euro entstanden. Um gegen die bisherigen Urteile in Berufung zu gehen, müsste eine Sicherheitsleistung von jeweils 20.000 Euro hinterlegt werden. Aufgrund der hohen Kosten war es für uns Aktivist*innen nicht möglich, in Berufung zu gehen. De facto können Menschen und Gruppen, die nicht die entsprechenden finanziellen Mittel haben, sich vor Gericht nicht verteidigen. Ein klarer Fall von Klassenjustiz.

Solidarität
Ein wenig Rauch um viel – Foto: Tear Down Tönnies

Die Verfahren wurden solidarisch begleitet. Zu den Kundgebungen vor den Gerichten kamen immer 20 bis 50 Unterstützer*innen. Auch erregten die Prozesse Medieninteresse. (3) Damit boten sie eine gute Gelegenheit, unseren Forderungen nach einer Agrarwende hin zu einer solidarischen und biologischen Landwirtschaft, nach einem Ausstieg aus der Tierindustrie und nach dem Ende der Ausbeutung von Tieren, Menschen und Umwelt Nachdruck zu verleihen. Ebenso kritisiert und problematisiert wurden die Versuche von Konzernen, mit Zivilklagen gegen Aktivist*innen und Kritiker*innen deren Proteste und kritische Berichterstattung zu unterbinden. Viele zeigten sich solidarisch mit uns und unterstützten uns mit Solidaritätsspenden und -aktionen.

Zivilrechtliche Verfahren als Mittel der Repression und Zermürbungstaktik

Menschen, die das ausbeuterische System der Fleischindustrie kritisieren, mit Schadensersatz- und Unterlassungserklärungen einschüchtern zu wollen, hat bei Tönnies Methode. So gab es bereits Schadensersatz- und Unterlassungsforderungen gegen die Gewerkschaftslinke Hamburg, die IG WerkFAIRträge, das Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung sowie den SPD-Politiker Ralf Stegner und die Aktion gegen Arbeitsunrecht e. V. Tönnies will damit eine Berichterstattung über die systematische Ausbeutung in seinen Betrieben verhindern. (4)
Welche Problematik ergibt sich aus zivilrechtlichen Klagen? Immer mehr Konzerne versuchen, Proteste durch den Einsatz von Zivilklagen zu unterbinden. So ist das Vorgehen unter anderem auch durch RWE mehrfach eingesetzt worden. (5) Mit Schadensersatz- und Unterlassungsforderungen sollen Aktivist*innen eingeschüchtert werden. Aufgrund der hohen Gerichtskosten, die in einem Zivilverfahren entstehen können, sind diese ebenso repressiv wie ein strafrechtliches Verfahren.
Somit ist ein Vorgehen gegen die Forderungen mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden. Darüber hinaus gibt es keine Regelung, wie der Streitwert eines Unterlassungsanspruchs zu bestimmen ist – der Wert kann somit von den Gerichten willkürlich festgesetzt werden. Das hat zur Folge, dass die rechtlichen Möglichkeiten der finanziell schwächeren Partei durch Festsetzung eines hohen Streitwertes erheblich eingeschränkt oder gar vollständig unterbunden werden. (6) Ungleiche gesellschaftliche Machtverhältnisse werden damit weiter zementiert.
Es ist ein Skandal, dass auf diese Weise letztlich mit juristischen Tricks legitimer Protest unterdrückt werden soll. Wir lassen uns von diesen Einschüchterungsversuchen nicht beeindrucken. Unser Widerstand ist richtig und notwendig. Wir können nicht zulassen, dass dieses System weiter die Lebensgrundlage unseres Planeten vernichtet. Daher müssen und werden wir weiter Widerstand leisten. Kriminell ist das System – nicht der Widerstand dagegen!

Das System Tönnies

Tönnies ist der größte Fleischkonzern in Deutschland mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 7 Mrd. Euro – den geforderten Schadensersatz erwirtschaftet Tönnies in weniger als 90 Sekunden! Seinen Profit macht der Konzern mit der Tötung von mehr als 20 Mio. Schweinen und 420.000 Rindern pro Jahr – die Tiere werden dabei maximal ausgebeutet und erfahren enormes Leid. Auch für die extreme Ausbeutung der Arbeiter*innen ist der Konzern bekannt. 2020 führte deren miserable Unterbringung am Tönnies-Firmensitz zu einem Corona-Ausbruch mit über 1.750 Infizierten. Durch die enormen Mengen an Futtermitteln ist Tönnies außerdem verantwortlich für Regenwaldzerstörung, Treibhausgasemissionen und Umweltschäden sowie für die Vertreibung von indigenen Menschen.
Diese allgegenwärtige gnadenlose Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur sowie die nicht enden wollende Gewalt an ihnen sind untrennbar mit einer kapitalistischen Wirtschaftsweise verbunden, die tagtäglich Elend produziert und nur auf Verwertung und Profit für einige wenige ausgerichtet ist. Tiere sowie die Natur sind für Tönnies sowie die kapitalistische Wirtschaft allgemein lediglich Waren, Produktionsmittel oder Ressourcen, die es auszubeuten gilt.
Mehr Infos unter: https://teardowntoennies.noblogs.org/das-system-tonnies/

Tear Down Tönnies
Tear Down Tönnies (TDT) ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und Aktivist*innen, die sich gegen die Tierindustrie einsetzen. Konkret will das Bündnis ein Ende der Ausbeutung und des Tötens von Tieren, der Umweltzerstörung sowie der Unterdrückung von Menschen erreichen und für eine befreite Gesellschaft jenseits des kapitalistischen Ausbeutungssystems eintreten.
Mehr Informationen unter:
teardowntoennies.noblogs.org/
Kontakt zu uns aufnehmen:
teardowntoennies@riseup.net

Spendenkonto:
Konto: Spenden und Aktionen
IBAN:
DE29 5139 0000 0092 8818 06
BIC: VBMHDE5F
Bank: Volksbank Mittelhessen
Betreff: Tear Down Tönnies [Wichtig, bitte unbedingt angeben]
Spendenkampagne auf Betterplace: https://www.betterplace.me/solidaritaet-mit-tear-down-toennies