#StandWithObjectors

Unterstützt Verweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine!

| Rudi Friedrich, Connection e. V.

Am 21. September 2022 startete Connection e. V. gemeinsam mit dem Internationalen Versöhnungsbund, dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung, der War Resistersʼ International und anderen internationalen Organisationen eine Unterschriftenkampagne zur Unterstützung der Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine. Rudi Friedrich von Connection e. V. berichtet über den aktuellen Stand der Kampagne.

Gerade erhielten wir die Nachricht, dass die Ukraine das ohnehin sehr restriktive Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt hat, genau genommen schon seit dem 24. Februar 2022, also mit Verkündung des Kriegsrechts. Die Ukrainische Pazifistische Bewegung hatte erfahren, dass im Mai und Juni Kriegsdienstverweigerer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, und fragte beim Verteidigungsministerium an. Das schrieb, dass nach dem Gesetz der alternative Dienst einen Ersatz für den befristet abzuleistenden Militärdienst darstelle. Und weiter: „Aufgrund des Kriegsrechts wird seit dem 24.02.2022 der befristete Militärdienst in der Ukraine nicht mehr durchgeführt. Daher ist die Umsetzung des alternativen Dienstes nicht anwendbar.“

Abstimmung mit den Füßen: Massenhafte Kriegsdienstflucht

Das zeigt, wie wichtig eine Unterstützung all derjenigen ist, die sich, auf welcher Seite auch immer, dem Kriegsdienst entziehen. Wir müssen davon ausgehen, dass sich mehrere Zehntausend Militärdienstpflichtige aus Russland wie auch aus der Ukraine dem Kriegsdienst entzogen haben und ins Ausland flüchteten. Aus Belarus sind nach Angaben der belarussischen Organisation Nash Dom bereits 25.000 ins Ausland geflüchtet, weil sie befürchten, für einen Kriegseinsatz in der Ukraine rekrutiert zu werden. Das zeigt, dass es eine Abstimmung mit den Füßen gibt: Gegen eine Beteiligung am Krieg.
Wir hatten die Möglichkeiten, mit einigen der Verweigerer zu sprechen, z. B. mit Mark und Maksim aus Russland. Mark Romankov hatte in den letzten Jahren in Deutschland studiert. Kurz vor Beginn des Krieges kam er erneut nach Deutschland und beantragte einige Wochen später Asyl: „Meine Partnerin kommt aus der Ukraine, wie auch ihre Eltern. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es ist, in einer Armee zu dienen und gegen ihre Familie zu kämpfen. Das ist völlig unvorstellbar.“
Maksim Gaidukov reiste wenige Tage nach Kriegsbeginn nach Deutschland: „Die Entscheidung fiel, nachdem der Krieg mit der Ukraine begonnen hatte. Ich sah, was dort passierte, und fühlte mich verraten. Da werden junge russische Männer in die Ukraine geschickt, um Menschen zu ermorden und dafür zu sterben. Sie sind verraten und werden missbraucht. Ich will nicht einer von ihnen sein. Ich darf nicht zulassen, dass Menschen durch meine Hand sterben. Deshalb musste ich gehen. Einen anderen Ausweg sehe ich nicht.“
Es kristallisiert sich heraus, dass viele verweigern, weil sie Kontakte, Freund*innen oder Verwandte haben, die sich nun auf der anderen Seite der Front befinden. Aber auch die Ablehnung der Politik der Regierung unter Putin ist ein wichtiges Motiv.

„Das Leben der Menschen ist wichtiger“

Wie sieht es auf der Seite der Ukraine aus? Ilja Owtscharenko, der sich jetzt in Ungarn befindet, nahm ein Video auf und veröffentlichte es zu Beginn des Krieges auf TikTok: „Wir müssen verstehen, welche Gefahr ein Krieg für die Zivilbevölkerung darstellt, gerade auch angesichts der Atomkraftwerke, die im Kriegsgebiet liegen. Die Regierung zeigte sich fest entschlossen, das gesamte ukrainische Territorium, einschließlich der Krim, zurückzuerobern. Es ist also die Frage, ob wir die Krim und Donezk einfach aufgeben? Und für mich liegt die Antwort auf der Hand: Das Leben der Menschen ist wichtiger, ganz gleich, welche Flagge über der Krim oder Donezk hängen wird.“
Es sind nur einzelne Stimmen, die ein vielschichtiges Bild ergeben und unterschiedlichste Motive zeigen. Insgesamt sind Desertion, Militärdienstentziehung und Kriegsdienstverweigerung ein bedeutsamer Teil des Widerstandes gegen den Krieg. Es kann Sand im Getriebe des Militärs sein. Es ist ein Akt der Selbstbestimmung und Humanität. Es ist ein Zeichen auch für alle anderen, dass es Alternativen zum Einsatz im Krieg gibt, auch wenn Strafverfolgung droht. Die Unterstützung für Deserteur*innen und Ver-weiger*innen ist somit ein Mittel, um gegen den Krieg aktiv zu werden.

Reaktionen der Politik

Im April 2022 hatten wir gemeinsam mit 40 weiteren Organisationen einen Aufruf an den Bundestag gerichtet, um Schutz und Asyl für die Kriegs-dienstverweiger*innen und Deserteur*innen aller Seiten einzufordern. Die Bundesregierung sicherte daraufhin zu, dass russische Deserteure einen Flüchtlingsstatus erhalten sollen. Das ist ein erster, aber völlig unzureichender Schritt. Viele, die aus Russland geflohen sind, taten dies, bevor sie rekrutiert wurden. Sie sind also Militärdienstentzieher und keine Deserteure. Die von der Bundesregierung ausgesprochene Regelung soll für sie nicht gelten. Darüber hinaus sind nur wenige überhaupt in die Europäische Union gekommen. Hunderttausende gingen nach Armenien, Georgien oder in die Türkei, zum Teil mit sehr prekärem Status.
Auf der Ebene der Europäischen Union hatte sich vor allem der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, positioniert. Am 6. April 2022 appellierte er an die russischen Soldat*innen: „Ich habe eine Botschaft für die russischen Soldaten auf dem Schlachtfeld. Wenn Sie sich nicht an der Tötung Ihrer ukrainischen Brüder und Schwestern beteiligen wollen, wenn Sie keine Verbrecher sein wollen, lassen Sie die Waffen fallen, hören Sie auf zu kämpfen, verlassen Sie das Schlachtfeld.“ (1)
Charles Michel vertritt als Präsident des Europäischen Rates die Regierungschef*innen der Europäischen Union. Er verwies in seiner Stellungnahme auch darauf, dass einige Abgeordnete des Europaparlaments vorgeschlagen hätten, jenen Soldat*innen, die Befehle missachteten, Asyl zu gewähren: „Meiner Meinung nach ist dies eine wertvolle Idee, die verfolgt werden sollte.“
Festzustellen ist allerdings, dass die Ankündigung keinerlei Konsequenz hatte. Es gibt keine Regelung auf europäischer Ebene zur Aufnahme von Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland. Anträge auf Erteilung von Visa zum Beispiel von russischen Militärdienstflüchtigen in der Türkei werden abgewiesen.
Für ukrainische Militärdienstflüchtige, die schon vor dem Krieg nach Westeuropa kommen konnten oder trotz der Ausreisesperre eine Fluchtmöglichkeit fanden, gibt es derzeit einen humanitären Aufenthalt. Es ist allerdings unklar, wie lange dieser gilt und was danach passiert. In der Ukraine wurden im ersten Halbjahr 2022 bereits 5.000 Verfahren wegen Militärdienstentziehung und ähnlicher Straftaten eröffnet. Umso dringender ist die Solidaritäts- und Unterstützungsarbeit.

Unterstützungsnetzwerk und Aktionen

Weiter ist unsere Beratungshotline erreichbar unter +49 157 824 702 51 sowie per E-Mail unter get.out.2022@gmx.de.
Dort beantwortet eine Person die Fragen von betroffenen Kriegs-dienstverweiger*innen und De-serteur*innen auf Russisch, Englisch und Deutsch.
Ergänzend dazu haben wir auf unserer Website aktuelle Kurzinfos für unzufriedene Soldat*innen aus der Region zusammengestellt. Darin schreiben wir, wie in den jeweiligen Ländern das Recht auf Kriegsdienstverweigerung organisiert ist, welche Möglichkeiten es gibt, sich den Rekrutierungen zu entziehen, und geben Hinweise, was bei einer Asylantragstellung im westeuropäischen Ausland zu beachten ist.
Europäischer Appell: Im Juni 2022 hatten wir gemeinsam mit 60 Organisationen aus 20 Ländern einen Appell (2) an das Europäische Parlament gerichtet, mit dem wir den Schutz von Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus allen am Krieg beteiligten Ländern einfordern. Im Juli 2022 konnten wir in einer Arbeitsgruppe von EU-Abgeordneten unser Anliegen direkt vorstellen.
Internationale Vernetzung: Mit der russischen Organisation Movement for Conscientious Objection und der belarussischen Organisation Nash Dom waren wir im Juni im Deutschen Bundestag, um mit verschiedenen Abgeordneten zu sprechen und bessere Kontakte aufzubauen. Wir konnten auch Gespräche im Auswärtigen Amt führen. Am 10. September fand eine Tagung der War Resisters’ International (WRI) in Utrecht statt, auf der die Aktiven dieser beiden Gruppen gemeinsam mit der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung über ihre schwierige Arbeit, über ihre Erfahrungen und über die aktuelle Situation berichtet haben.
Unterschriftenkampagne: Um größeren Druck auf die Politik ausüben zu können, haben wir im Rahmen des Netzwerkes eine europaweite Unterschriftenkampagne an die EU initiiert. Mit der Unterschriftenkampagne wird Schutz und Asyl für verfolgte Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus den Ländern Ukraine, Belarus und Russland eingefordert sowie die Umsetzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine. Die Kampagne wird begleitet werden von einer Reihe von Aktionen und Veröffentlichungen. Eine Beteiligung ist ausdrücklich erwünscht.
Finanzielle Förderung im Netzwerk: Insbesondere die konkrete Arbeit für Kriegs-dienstverweiger*innen und Deserteur*innen konnten wir durch die zahlreichen Spenden mit größeren Beträgen finanziell unterstützen, so die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland, die belarussische Organisation Nash Dom mit ihrem Projekt „NO means NO“ und act4transformation mit einer Beratungsstelle in Georgien.

Wir bitten um Unterstützung der Kampagne unter
www.Connection-eV.org/StopWarCampaign.
Dort finden sich auch weitere aktuelle Informationen.