Buchbesprechung

Von Bäumen und Menschen

Foto-Dokumentation der Waldbesetzung im „Danni“

| Gerald Grüneklee

Buchcover

Björn Kietzmann: Kein Baum ist egal. Ein Bildband über die Klimaschutzproteste im Dannenröder Wald, Selbstverlag, Berlin 2021, 116 Seiten, 35,00 Euro (gebunden)/16,99 Euro (Paperback), ISBN: 978-3-9822912-0-8

Kein Baum ist egal – so lässt sich ein „den Deutschen“ zugesprochener Nationalcharakter auf den Punkt bringen, nach dem die Bäume geradezu mystifiziert werden und der Wald zur Sehnsuchtslandschaft idealisiert wird. Unzählige Lieder und Gedichte zumal der Romantik zeugen von dieser Verklärung. Diese Sehnsucht ist nicht unproblematisch, ist die Baum- und Waldliebe doch eine rechtsoffene Veranstaltung.
Insbesondere die Eichen, von hoher kulturgeschichtlicher Bedeutung für Hausbau, Ernährung und Landwirtschaft, wurden zum deutschen Symbolbaum. Der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock inszenierte bereits vor 250 Jahren in seinem Bühnenstück „Hermanns Schlacht“ die „höchste, älteste, heiligste Eiche“ als Analogie des deutschen „Vaterlandes“.
Der Eichenkranz wurde zum Hoheitszeichen des nationalsozialistischen Regimes, das die Waldliebe politisch instrumentalisierte und eine regelrechte Waldideologie erschuf (und die Bäume doch nicht zuletzt kriegswirtschaftlich nutzte). Im Niedersachsenlied heißt es: „Fest wie unsere Eichen halten alle Zeit wir stand, wenn Stürme brausen übers Deutsche Vaterland“, die Bundeswehr trägt noch heute Eichenlaub in den Dienstgradabzeichen, und auch unzählige Schützenvereine bedienen sich dieser Symbolik. Noch völkische Siedlungsgemeinschaften der Gegenwart übersetzen Umweltschutz mit Heimatschutz, wobei auch die „germanische“ Mythologie wieder aufgegriffen und der Wald identitätspolitisch in eine Projektionsfläche rassistischer und biologistischer Versatzstücke umgemünzt wird.

Linke Waldbesetzung statt rechter Eichenmystik

Nachdem insbesondere in linken Milieus die Waldliebe für rund zwei Jahrzehnte aufgrund solcher Traditionslinien deutlich abkühlte, hat spätestens das Waldsterben Anfang der 1980er-Jahre im Kontext neuerer, aus der Alternativbewegung entstandener Umweltschutz-Gruppen eine abermalige Gegenbewegung in Gang gesetzt. Darin zeigte sich, dass Bäume – jeder einzelne von ihnen – nach wie vor eine hochgradig emotional besetzte Angelegenheit sind.
In Deutschland fand eine erste Waldbesetzung bereits 1975 im Zuge der Proteste gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl im äußersten Südwesten des Landes statt; es folgten Anfang der 1980er-Jahre Besetzungen u. a. gegen das Atommüll-Lager im wendländischen Gorleben sowie im Flörsheimer Wald bei Frankfurt gegen die Erweiterung des Flughafens. Die weiteren 1980er, die 1990er sowie das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends waren diesbezüglich relativ ereignislos, bevor ab 2012 sehr öffentlichkeitswirksam Besetzungen im Hambacher Forst, der „Hambi“, im Rahmen der Proteste gegen den Abbau der Braunkohle stattfanden – offenbar ein Fanal, denn seither vergeht kaum ein Jahr ohne Waldbesetzungen. 2019 gab es dann die ersten Besetzungen im Dannenröder Wald.

Generation Waldbesetzung gegen Generation Auto

Der Vogelsbergkreis, in dem das Waldstück liegt, ist eine ländliche, recht dünn besiedelte Region, deren Bevölkerung seit Jahrzehnten stagniert, bestenfalls. Es ist vermutlich ironiefrei gemeint, wenn der Kreis auf seiner Homepage verkündet: „Der Vogelsberg ist eine offene Einladung. Ziel ist das Erreichen des Sehnsuchtsorts“. Von Landlust, attraktiver Idylle und nachhaltiger Natur ist auf der Startseite die Rede. Tatsächlich liegt der Waldanteil noch bei ansehnlichen rund 40 %, dominierend sind hier übrigens die Laubwälder, und hier wiederum insbesondere die Buchen, denen gegenüber Eichen erst an zweiter Stelle stehen. Nun muss ein Stück Wald dem Autobahnprojekt der A 49 weichen, das auf Planungsprognosen der individualverkehrsfixierten 1970er-Jahre zurückgeht – wo doch inzwischen jeder Mensch weiß, dass mehr Straßen vor allem eines bedeuten: mehr Verkehr; denn das Angebot schafft die Nachfrage.

Die intensivsten Bilder sind jene von den Baumhäusern, von den kreativen Protesten, vom gemeinsamen Blockadenbau, der „Red Rebel-Performance“, vom Alltag im Wald, dem kollektiven Musizieren dort, wo demnächst lärmender Verkehr branden soll.

Der verkehrspolitische Anachronismus dürfte den Besetzer*innen auch eine Menge Sympathien beschert haben aus Kreisen, die solchen Aktionsformen sonst eher distanziert gegenüberstehen. Das, was Klimastress inklusive Dürreperioden nicht schaffen an Waldvernichtung, das soll also ein unsinniges, überholtes Straßenbauvorhaben nun dahinraffen. Es war zusätzliches Wasser auf die Mühlen viele Demonstrierender, dass dieses Projekt vom hessischen „grünen“ Verkehrsminister Tarek al-Wazir forciert wurde. Generation Waldbesetzung gegen Generation Auto.
Klimapolitisch jedenfalls gilt angesichts dahinschmelzender Klimaschutzziele: Kein Baum ist egal. Dass gerade auch der Individualverkehr zunehmend in den Fokus von Klima-Aktivist*innen gerät, ist insofern folgerichtig.

Parteiergreifende Fotos

Hochaktuell ist das in Björn Kietzmanns Bildband „Kein Baum ist egal“ dokumentierte Engagement der Aktivist*innen im Dannenröder Wald im Übrigen auch vor dem Hintergrund des Coronavirus. Immerhin dürfte sich herumgesprochen haben, dass die seit etwa zwanzig Jahren zunehmende Häufung von Zoonosen – wie auch Covid-19 eine ist – ursächlich das Resultat von ökologischem Raubbau, Waldvernichtung und Klimawandel ist.
„Klimaschutz ist kein Verbrechen“ ist auf dem Transparent eines Demonstrierenden zu lesen, und doch ist dies ein hilfloses Statement: Schließlich prägen nicht in erster Linie ethische Grundsätze die Rechtsprechung, sondern ökonomische Interessen – nicht zuletzt der Autolobby – und politische Machtkalküle. Einige Fotografien zeigen denn auch, wie die Demonstrierenden dem staatlichen Gewaltapparat ausgeliefert sind, der Baumschützer*innen kriminalisiert und auch vor Verletzten nicht zurückschreckt. Es sind parteiergreifende Fotografien, wie sie in einen solchen Band gehören, doch die intensivsten Bilder sind jene von den Baumhäusern, von den kreativen Protesten, vom gemeinsamen Blockadenbau, der „Red Rebel-Performance“, vom Alltag im Wald, dem kollektiven Musizieren dort, wo demnächst lärmender Verkehr branden soll. Die Druckqualität der durchgehend farbigen Fotos ist dabei hervorragend.
Es ist das Schicksal von Fotograf*innen, im Allgemeinen deutlich unbekannter zu sein als die Motive, die von ihnen in diversen Medien publiziert wurden. Das gilt auch für Björn Kietzmann, der in Rojava, Afghanistan, Mexiko und auf dem G20-Gipfel in Hamburg bereits einige Aufnahmen von durchaus ikonographischer Eindringlichkeit schuf, so etwa die weißen Tauben vor der Moschee im afghanischen Masar-e Scharif.
Vielleicht ist der vorliegende Bildband Kietzmanns persönlichste Veröffentlichung. Sie verdankt sich wohl auch dem Coronavirus, das Recherchereisen in andere Regionen verunmöglichte und Fotoaufträge von Magazinen zurückgehen ließ. Man spürt die Sympathien, die der Fotograf hier seinem Gegenstand entgegenbringt. Björn Kietzmann ist durch diesen Band als Fotograf sichtbar geworden – und er ist zweifellos ein Fotograf, der das Zeug hat zum Klassiker unter den sozial engagierten Dokumentarfotograf*innen. Auch wenn das dokumentierte Anliegen in diesem Genre wichtiger ist als die Person dahinter, so lohnt es, sich diesen Namen zu merken.

Auftakt zu Bewegungsdokumentation

Nicht nur aufgrund der deutschen Waldverklärung, sondern wohl vor allem auch aufgrund der umwelt- wie gesundheitspolitischen Brisanz der Waldvernichtung zur Umsetzung überkommener technologischer Groß- und wirtschaftlicher Prestigeprojekte (von Atomkraft über Flughäfen- und Autobahnbau bis zu Hafenerweiterungen, Hotelkomplexen und dem Bau von Luxuswohnanlagen, denen Stadtwaldflächen zum Opfer fallen) erfreut sich diese Aktionsform bis ins bürgerliche Spektrum hinein weit größerer Sympathien, als dies etwa die Hausbesetzungen vor ein paar Jahrzehnten taten. Die Bewegungsforschung hat das Thema bisher kaum entdeckt. So gesehen liegt mit diesem Bildband ein eindrucksvolles Dokument teilnehmender Beobachtung vor uns.
Mittlerweile wurden die Besetzungen im Dannenröder Wald – im „Danni“, wie die Protagonist*innen dieses Waldstück liebevoll nannten – geräumt. „Aber die Bewegung dahinter ist unräumbar. Ihr werdet noch von uns hören“ (S. 9), heißt es im Vorwort dieses Buches von einem Menschen aus der Besetzung.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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