die waffen nieder

Belarus vor der Beteiligung am Ukraine-Krieg?

Alle Kriegsdienstverweigerer brauchen Solidarität

| Franz Nadler, Connection e.V.

Seit einem Jahr führt das russische Militär einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Putin-Regime drängt seitdem auf eine direkte Kriegsbeteiligung des verbündeten Belarus. Für die GWR-LeserInnen analysiert Franz Nadler die Entwicklungen in Belarus und die Situation der dortigen Kriegsdienstverweigerer. (GWR-Red.)

Der Angriff Russlands auf die Ukraine war und ist nicht nur eine flagrante Verletzung internationalen Rechts, er war auch offensichtlich stümperhaft vorbereitet. Die erhoffte Eroberung war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Viele Soldaten sahen keinen Sinn darin, meuterten, sabotierten, verlangten ihre Rückverlegung – oder desertierten. Nachdem auch die ukrainische Bevölkerung sich einhellig mit allen Kräften dagegen stemmte, und auch die Armee dagegen hielt, war an ein Durchkommen nicht mehr zu denken. Die russische Armee musste sich zurückziehen und sich erstmals auf jene Gebiete konzentrieren, in denen die Bevölkerung traditionell pro-russisch eingestellt ist.

Wie in jedem Krieg sucht sich jede Partei Verstärkung und Verbündete. Auf russischer Seite ist das eindeutig Belarus.

Gleich nach der Auflösung der Sowjetunion wurde mit Belarus und anderen Ex-Sowjetrepubliken eine gemeinsame Union in einem Vertrag vereinbart. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wurde am 8. Dezember 1991 gegründet und hat ihren Sitz in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Ja, es war sogar so, dass der gerade in Belarus zum Präsidenten gewählte Alexander Lukaschenko, sich Hoffnungen machte, der Nachfolger des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Russlands, Boris Jelzin, zu werden. Dieser entschied sich dann aber Ende 1999, nach acht Jahren Amtszeit, für Putin. Lukaschenko zog den Kürzeren – und so dümpelte die Union so vor sich hin. Nachdem Russlands Hoffnung auf einen NATO-Beitritt abgewiesen wurde, ebenso wie die Vision eines „Gemeinsamen europäischen Hauses“ und stattdessen die NATO, durch den Beitritt von Polen und anderen, ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts, immer näher kam, wurde Belarus für Russland wieder wichtiger.
Aber Lukaschenko entzog sich diesen Begehrlichkeiten, so gut er konnte. Als Russland 2014 die Krim besetzte und die Aufständischen im Donezk-Becken unterstützte, war dies für Lukaschenko nicht akzeptabel. Er erkannte das alles nicht an und holte sich Unterstützung bei der EU, besonders bei Deutschland und Frankreich, wo man die Chance sah, Belarus (ebenso wie die Ukraine) aus dem russischen Einfluss herauszulösen. Es floss über die „Östliche Partnerschaft“ viel Geld. Dafür ließ Lukaschenko auch immer wieder mal einige Gefangene frei und er vermittelte im Ukraine-Konflikt, der ihm ein Dorn im Auge war. Dabei war er durchaus erfolgreich, wie die Abkommen Minsk I und II zeigen, benannt nach der belarussischen Hauptstadt, in der die Gespräche stattfanden.
Allerdings zeigte sich dann die ukrainische Regierung doch unzufrieden mit den Ergebnissen, unterstützt von der EU und den USA. Es kam zu keiner Umsetzung der Vereinbarungen.
In dieser „Tauwetter-Periode“ (2014–2020) haben sich in Belarus verschiedenste, weitgehend staatsunabhängige Initiativen gebildet, die auf bessere, demokratischere Verhältnisse hinarbeiteten. Sie hofften, Lukaschenko bei den anstehenden Wahlen im Jahr 2020 loszuwerden. Aber da wurde der Autokrat zum Tyrann. Er ließ oppositionelle Kandidaten einsperren, worauf sich deren Frauen bewarben. Die Wahlen kamen und Lukaschenko zeigte, wer Herr im Haus ist. 80,1 Prozent will er bekommen haben. Das Ergebnis war offensichtlich gefälscht und Hunderttausende gingen auf die Straße.

Antimilitaristischer Protest von Aktivist*innen vor der Botschaft von Belarus – Foto: Wolfram Beyer

Aber für was hat der Machtmensch seinen Sicherheitsapparat? Er ließ die Einheiten los. Zehntausende wurden (vorübergehend) festgenommen, gefoltert – und die „RädelsführerInnen“ bekamen horrende Strafen. 1.450 politische Gefangene gibt es derzeit. Praktisch alle Nichtregierungsorganisationen wurden geschlossen. Wohl über 100.000 Menschen verließen das Land über die damals noch offenen Grenzen, vor allem nach Polen und Litauen, aber auch in die Ukraine.
Vom Westen war nichts mehr zu erhoffen: Die NATO steht an den Grenzen und verstärkt ihre Truppen. Lukaschenkos Versuch, Geflüchtete aus dem Nahen Osten, Afghanistan und Afrika nach Polen zu schicken, führte zum Bau einer Mauer. Als im Mai 2021 Belarus ein Flugzeug mit einem oppositionellen Aktivisten auf dem Flug nach Litauen zur Landung zwang, war das Urteil in den EU-Staaten über Lukaschenko eindeutig: Der „letzte Diktator Europas“ muss ausgegrenzt werden. Sanktionspakete wurden geschnürt: Flugverbote, Einreisesperren, Geld eingefroren …
Seitdem ist Belarus extrem diskreditiert und isoliert, was seinem Bündnispartner im Osten sehr gelegen kommt. Schließlich ist die Wirtschaft von Belarus stark auf Russland ausgerichtet. Zwei Drittel des Imports und über 40 % des Exports gehen nach Russland und China.
Die Einstellung der belarussischen Bevölkerung ist durchaus nicht so einhellig, wie es die Leute aus den Exilorganisationen gerne hätten, die sich – wie die Ukraine – eine Mitgliedschaft in der EU und der NATO erhoffen. Mit Lukaschenko ist ein großer Teil der Bevölkerung über viele Jahre weitgehend gut gefahren. Man liebt die Stabilität, es ging langsam aufwärts. Selbst die Oppositionellen waren mit der „Tauwetter-Periode“ durchaus zufrieden. Offen nach Ost und West, das war das, was man wollte. Damit fuhr man am besten – und Lukaschenko war über viele Jahre ein Garant dafür. Dafür nahmen viele die bürgerrechtlichen Einschränkungen durchaus in Kauf. 2020 machte das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien/ZOiS aus Berlin eine Umfrage unter jungen BelarussInnen: Demnach wollen 44 % „mehr EU“ und 37 % „mehr Russland“. Man fühlt sich also durchaus der „russischen Welt“ zugehörig, möchte aber mehr Kontakte in den Westen.

Bei Desertion sind derzeit bis zu sieben Jahre Haft möglich. Ob das ohnehin eingeschränkte Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Falle der Mobilmachung und einer direkten Kriegsbeteiligung Bestand hat, ist noch die Frage. Die Entwicklungen in der Ukraine und Russland sprechen dagegen.

Nach gemeinsamen Manövern startete Russland am 24. Februar 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Belarus nahm daran nicht teil und selbst bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung stimmte Belarus der Verurteilung Russlands zu. Aber Lukaschenko ist extrem isoliert, und so ist die Frage, wie lange er den Offerten des Putin-Regimes noch ausweichen kann. Russland half bei der Niederschlagung der Proteste, half mit Geld gegen die Zahlungsunfähigkeit und so sah sich der belarussische Autokrat acht Jahre nach der Krim-Annektion 2014 durch Russland dann doch zu einem ersten Zugeständnis bereit: Er erkannte die Krim als russisches Territorium an.
Belarus ist isoliert und die Bedrohung des Landes ist objektiv vorhanden. Auf der einen Seite gibt es immer mehr NATO-Truppen in Polen, Litauen und Lettland und auch aus der Ukraine schlugen schon zweimal Raketen ein. Das nützt das Putin-Regime natürlich aus und forciert seine Anstrengungen, Belarus in die Kriegsanstrengungen einzubeziehen. Die Frühjahrsoffensive in der Ukraine steht an.
Seit Oktober 2022 wird nun eine erste gemeinsame Militäreinheit, mit 9.000 russischen Soldaten, aufgestellt. Flugzeuge, Hubschrauber, Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Missiles… kommen. Mit Hilfe der russischen Söldnergruppen „Wagner“ und „Liga“ wird nun auch in Belarus eine private Söldnereinheit aufgebaut: „GuardService“. Zudem sind gerade iranische Ausbilder der Revolutionsgarden im Land, die russische Soldaten an Shahed-136 Missiles ausbilden. Sie werden von Soldaten der russischen Nationalgarde bewacht. Man liefert Waffen und Munition in die Krim und die Region Rostow.
Die nach Litauen geflohene Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja sagt über die Situation: „Wir (sie meint damit die BelarussInnen) haben nur gute Gefühle für die Ukrainer. Viele unserer Soldaten würden nicht zu Lukaschenko stehen (wenn er sich aktiv am Krieg beteiligen würde) und sich weigern, gegen sie zu kämpfen.“ (Süddeutsche Zeitung – 23.7.22)
Während der „Tauwetter-Periode“ (2016) wurde auch in Belarus das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt. Aber nur für religiöse Pazifisten, die ihren Antrag vor der Einberufung stellen müssen. Wenn sie anerkannt werden, müssen sie einen 36monatigen Ersatzdienst ableisten. Wer abgelehnt wird, wird zum Militärdienst gezwungen. Bei Desertion sind derzeit bis zu sieben Jahre Haft möglich. Ob das ohnehin eingeschränkte Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Falle der Mobilmachung und einer direkten Kriegsbeteiligung Bestand hat, ist noch die Frage. Die Entwicklungen in der Ukraine und Russland sprechen dagegen.
Nicht nur die Opposition, auch die Regierenden möchten die Beteiligung am Krieg in der Ukraine möglichst vermeiden. Aber, was tun? Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist für die meisten unerreichbar. Trotzdem ist der Widerstand schon gegen die Einberufung enorm. Im Frühjahr sollten 43.000 neue Rekruten antreten, es kamen aber gerade mal 6.000. Der dafür zuständige General musste im Mai 2022 seinen Posten verlassen. Viele kamen der Einberufung einfach nicht nach, obwohl sie bis zu drei Mal aufgefordert wurden. Von ungefähr einem Dutzend sind die Verurteilungen inzwischen bekannt. Die Strafen (möglich sind zwei Jahre Haft) sind derzeit noch überschaubar: Zwei Monate Hausarrest, 240 Stunden gemeinnützige Arbeit, ein Monat Arrest, Geldbuße von 2.240 Rubel (820 €)…. Wer sicher gehen will, dass er nicht im Krieg landen will, der muss das Land verlassen und das haben wohl inzwischen Tausende geschafft. Die Grenzen gen Westen sind aber zu. So haben z.B. in Deutschland 2022 lediglich einige Hundert Asyl beantragt. Davon sind vermutlich nicht mal Hundert, die vor dem Militärdienst flohen.
So wie sich die Situation derzeit darstellt, wird sich der Krieg in der Ukraine ausweiten. Belarus steht im Fokus, sich zu beteiligen. Wenn der Politik hierzulande schon nichts einfällt, als immer mehr Waffen zu schicken, so wäre es doch mehr als nur gerecht, wenn man für jene, die darunter zu leiden haben, und die sich am Krieg nicht beteiligen wollen, die Grenzen öffnen und sie schützen würde.

Franz Nadler ist Vorsitzender von Connection e. V. Der Verein aus Offenbach unterstützt Deserteure aller Kriegsparteien und kämpft für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Connection e.V. bietet auch Veranstaltungen an, z.B. zum Thema: Sand im Getriebe - Der Widerstand gegen die Rekrutierung für den Ukraine-Krieg.
Kontakt/Infos:https://de.connection-ev.org

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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