Lichtaspirin gegen Verkopfungsschmerzen

Nacht, wie Druckerschwärze auf unserer Haut*

| R@lf G. Landmesser, LPA Berlin

Ralf Burnicki: Lichtaspirin – Anarcho Poetry, Verlag Edition AV, Rastede 2022, 112 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-86841-274-1

Bei Ralf Burnickis „Lichtaspirin“ riecht es nach Gasolin, nach einem abgebrannten Jahrhundert und einem angebrannten Jahrtausend auf den Felgen. Die Wörter tanzen Plastik-Be-Bop und springen ins Auge, denn sie sind im Großtastenformat gesetzt. Mit einer Hand auf Hafis’ Grab mäandert Burnicki durch die Schluchten der Großstadt und die abseitigen Gehirnwindungen, folgt den Turbulenzen der Veränderung, ja richtet genau sie an den besten Stellen seiner Poetry an. Un- und Unterbewusstes hebt er in grelle Lichtblitze oder flackerndes Erkennen.
Ganz Kind seiner Zeit destilliert der 1962 in Bielefeld geborene Anarcho-Poet deren Erscheinungen in Wortgeflechte und Funktionsabläufe, mit dem hellwachen Auge des inständig Außenstehenden. Seine Assoziationen überraschen mit der Verschlingung des Unverschlungenen. Manchmal bohrt sich sein Wort wie ein Crash in nichtsahnenden Verkehrslärm und hinterlässt unentwirrbar verbogene Gestänge, Blech und Metaphern: sozialphilosophische Verdichtung im Dicklicht der Städte. Der Hunger nach Wahndämmung klingt aus jeder Zeile. Landschaften beginnen zu leben und vitalisierte Gegenstände entwickeln ein Eigenleben gegenüber den mechanisierten Menschen. Der letzte Satz der Poetry lässt an Alfred Andersch denken: „Empört euch, der Himmel ist blau.“
Im „Supplement“ folgen Reden und Aufsätze des anarchistischen Aktivisten Burnicki, die den Kompost bilden, auf dem seine Anarcho-Poetry üppig wuchert. Denn Burnicki ist kein libertärer Saison- und Schönschwätzer, sondern praktisch handelnder Anarchosyndikalist in der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter*innen Union (FAU) und auch theoretisch solide verankert. Darum ist der zweite Teil des Buches kaum weniger mächtig und wichtig als der empathische erste Teil. Der promovierte, u.a. an Adorno und Horkheimer geschulte, politische Philosoph Burnicki präsentiert hier einen kleinen Querschnitt seines aktivistischen und theoretischen Schaffens der ersten Jahrzehnte des angeschossenen 3. Jahrtausends, eine luzide Fanfare im ohrenbetäubenden Getöse und Ge(t)witter der Zeit. „Lichtaspirin“ ist Medizin in einer Welt, die uns zunehmend Kopfschmerzen bereitet und die dringend einiger Erleuchtung bedarf.
Illustriert ist das Werk mit eigenen, schattenrissartig bearbeiteten Photos des Autors, die die Verlorenheit in unseren trostlosen Städten schwarz-weiß umreißen.

* Zitiert nach S. 59

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