Sabotieren, neutralisieren, vergesellschaften, umfunktionieren

Gavin Muellers Maschinenstürmer

| Jonathan Eibisch

Gavin Mueller: Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage, Edition Nautilus, Hamburg 2022, 232 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-96054-307-7.

Was wäre, wenn wir die digital gestützte Megamaschine – wie Lewis Mumford, die hierarchisch gegliederte und technokratisch organisierte Gesellschaftsform nannte – anhalten könnten? Wenn wir Techno-Kapitalist*innen aufhalten, uns endlich entschleunigen und besinnen würden? Was, wenn daraufhin proletarisierte, zur maschinisierten Lohnarbeit gezwungene Menschen sich organisieren und die Eigentumsfrage neu stellen könnten? Was, wenn dies die Ausgangsbasis dafür wäre, einen libertären Sozialismus zu verwirklichen, in welchem Technik den Menschen dient? Einer Gesellschaftsform, in welcher Menschen nicht zu Rädern an Maschinen degradiert werden, die sie kontrollieren und mit falschem Glücksversprechen passivieren?

Technisierung und Widerstand

Mit dem Buch „Maschinenstürmer“, das 2021 auf englisch unter dem Titel „Breaking things at work“ erschien und 2022 von Josefine Haubold ins Deutsche übersetzt wurde, widmet sich Gavin Mueller genau diesem Themenfeld zwischen maschinisiertem Tech-Kapitalismus und der Gesellschaftsform, welche ihn hervorbringt und die durch ihn geformt wird. Auf fesselnde Weise erzählt der an der Universität in Amsterdam angestellte Autor von den Problemen der Einführung mechanisierter Webstühle und von der Durchsetzung tayloristischer Arbeitsorganisation. Mueller beschreibt die Automatisierung und den Einsatz von Computern in Wirtschaft, staatlicher Bürokratie und Militärapparat, um schließlich den zeitgenössischen Hightech-Kapitalismus zu kritisieren.
Doch nicht nur dies, parallel zur Einführung neuer Technologien und der aus ihnen folgenden sozialen Probleme, stellt er die Geschichte des Widerstandes gegen diese dar. Zu lesen ist von der Ludditen-Bewegung, Anfang des 19. Jahrhunderts in England, von den Wobblies zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA und von Arbeiter*innen, die in der Sowjetunion gegen den Taylorismus vorgingen. Der Autor berichtet von Sabotageakten gegen die Automatisierung der Fabrikarbeit und den Beiträgen in der technik-kritischen Zeitschrift „Processed World“ in den 1970er und 80er Jahren. Im vierten Kapital schreibt er über Hacker und die Entwicklung und Verbreitung freier Software.
Mit dieser gleichermaßen pointierten und fundierten Flugschrift wird endlich mit dem Stigma des „Luddismus“ aufgeräumt, welcher technik-kritischen Linken unterstellt, sie wären „primitivistisch“, „konservativ“ oder „kulturpessimistisch“. Diese Unterstellungen wurden und werden ebenso von den Eigentümer*innen kapitalistischer Konzerne, wie von zahlreichen linken Intellektuellen vertreten. Unter Letzteren gibt es nach wie vor Anhänger*innen des „Akzelerationismus“ (von „Beschleunigung“), welche der Ansicht sind, die vorangetriebene technologische Entwicklung würde zu mehr Freizeit führen, das Leben insgesamt angenehmer machen und sogar die Voraussetzungen für einen zeitgenössischen Sozialismus schaffen. Wenngleich diese ebenfalls marxistisch argumentieren, räumt Mueller mit dieser Vorstellung auf und entlarvt sie als Mythos.

Eine emanzipatorische Kritik an der Technik der Herrschenden

Mit dem Vorurteil gegen den Luddismus wird Arbeiter*innen zudem abgesprochen, zielgerichtet autonome Kämpfe gegen ihre Arbeitsverhältnisse geführt zu haben und zu führen. Dabei ist der Kampf gegen die Einführung von Maschinen häufig von rationalen Überlegungen geleitet und durchaus im nachvollziehbaren Interesse der Arbeitenden. Überhaupt waren und sind die Motive der Saboteur*innen meistens gar keine dezidiert technik-feindlichen, sondern darin gegründet, dass Technik nicht als „neutral“ betrachtet werden kann, sondern die herrschende Ordnung in sie eingeschrieben ist. Dies gilt für den Webstuhl, welcher den Arbeiter*innen einen grausamen Rhythmus aufzwingt, ebenso wie bei der extrem durchgetakteten Fließbandarbeit, Computerprogrammen für die Büroarbeit oder die Nutzung zahlreicher Smartphone-Apps.
Mit dem Kampf gegen Maschinen, die im Besitz von Kapitalist*innen sind und ihren Zwecken dienen, wie auch gegen technokratische Regierungsmaschinen, sind demzufolge ebenso Klassenkämpfe, ökologische Kämpfe, das Aufbegehren gegen Entfremdung und Leistungsfetischismus verbunden. In seinem Buch wagt der Autor eine häretische marxistische Perspektive, mit welcher Walter Benjamins Herangehensweise ernst genommen wird: Die Lokomotive des kapitalistischen Fortschritts führt keineswegs zur Revolution, sondern jene besteht im Gegenteil darin, die Notbremse zu ziehen. Analog zu diesen Überlegungen könnte auch Gustav Landauers Geschichtsverständnis gesehen werden, das allerdings nicht in einer marxistischen Linie zu verorten ist. Damit richtet er sich auch gegen die Sozialdemokratie und den Kommunismus seinerzeit, die ironischerweise in Hinblick auf die Technisierung von Arbeit, Konsum und Freizeit häufig keine Antagonist*innen der herrschenden Klassen waren. Anarchist*innen sabotieren weltweit Baumaschinen, Fließbänder, Versuchsfelder für genmanipulierte Pflanzen, Funkmasten, Bahnstrecken, Fahrkartenautomaten, Software oder Pipelines. Wie strategisch sinnvoll derartige Handlungen im Detail sind, dazu gibt es sicher von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Ansichten. Mueller zeigt auf, dass sie durchaus in einer anhaltenden und begründbaren Tradition luddistischer Politiken stehen. Mit ihnen müssen keinesfalls prinzipielle Technikfeindlichkeit, menschenfeindlicher Primitivismus oder ein esoterischer Naturalismus einhergehen. Sabotage kann einfach das Naheliegende sein, was es zu tun gilt.