Warum ich das sicher nicht unterschreiben werde

Eine persönliche Kritik am Wagenknecht/Schwarzer-Manifest aus pazifistischer Sicht

| Martin Firgau

Warum ich als Pazifist das „Manifest für Frieden“ von Wagenknecht und Schwarzer sicher NICHT unterschreiben werde, möchte ich gerne begründen. Dies ist meine persönliche Ansicht und ich sehe und respektiere, dass andere von mir geschätzte Menschen zu anderen Entscheidungen kommen. Großen Respekt habe ich vor dem ehemaligen Erstunterzeichner Johannes Varwick, der seine Entscheidung öffentlich revidiert hat. (1)
Außer der Kriegsgefahr sehe ich in Deutschland, Europa und weltweit eine große Gefahr durch faschistische Bewegungen, die durch Rechtspopulismus eingeleitet werden. Es ist erschreckend, wie in der jüngsten Vergangenheit in Italien, Schweden, Ungarn, der USA, Brasilien (und fast in Frankreich, Chile …) Politiker*innen an die Macht kommen konnten, die rechte, menschenverachtende und Minderheiten ausgrenzende Ideologien aufleben lassen. Putin pflegt beste Beziehungen gerade mit diesen Gruppen und unterstützt sie. Den Antifaschismus und Kampf gegen Rechtspopulismus sehe ich deshalb als unabdingbaren Teil von Friedensarbeit an.
Die Forderung, endlich zu verhandeln anstatt Waffen zu liefern, teile ich aus tiefster Überzeugung. Der letzte Absatz des Aufrufs ist mir eher zu schwach formuliert, denn ich hätte gefordert, dass die Waffenlieferungen komplett gestoppt werden und nicht nur deren Eskalation.
Gravierender ist, dass im Aufruf die Forderung nach einem russischen Truppenabzug aus der Ukraine komplett fehlt. Mit der Formulierung „Frauen wurden vergewaltigt“ wird auffällig vermieden, Täter zu benennen. Sonderbar, dass Frau Schwarzer das durchgehen ließ.
All dies sind Anzeichen dafür, dass der Aufruf bewusst in konservative, rechte und putinfreundliche Kreise geöffnet werden sollte. Und so verwundert es nicht, dass sogar ein Peter Gauweiler (CSU) zu den Erstunterzeichner*innen gehört. Bei den Zweitunterzeichner*innen war dann wortstark Tino Chrupalla dabei, der als AfD-Bundesvorsitzender seine ganze Partei zum Unterschreiben aufrief. Einige weitere prominente Rechte haben sich bereits öffentlich angeschlossen.
Es ist also aus inhaltlicher Sicht kein Zufall, dass dieser Aufruf von Rechten gerne angenommen und beworben wird. Ein weiterer Grund dafür sind die Initiatorinnen. Sarah Wagenknecht hat bekanntlich in der AfD, Pegida und unter Quer“denkern“ eine nicht geringe Fangemeinde, die sie sich durch rechtspopulistische Äußerungen – z.B. zur Flüchtlingsthematik, Corona-Pandemie, Impfungen – konsequent erarbeitet hat. Auch Alice Schwarzer bekommt seit ein paar Jahren viel Applaus von rechts, da sie beim Thema „Islam“ rassistische Vorurteile bedient (Absicht möchte ich ihr dabei nicht unterstellen). Ihre Zusammenarbeit mit der BILD-Zeitung seit 2007 befördert eine rechtspopulistische Rezeption zusätzlich. (2)
Es ist durchaus möglich, einen Friedensaufruf so zu formulieren, dass Faschist*innen ihn nicht unterschreiben können. Einen Aufruf mit einem Text in diesem Sinne und initiiert von anderen der Unterzeichner*innen (Margot Käßmann, Jürgen Grässlin, Reinhard Mey) würde ich gerne unterzeichnen. Tatsächlich habe ich aber auch mit anderen Erstunterzeichner*innen (Rainer Braun, Eugen Drewermann, Peter Gauweiler, Oskar Lafontaine, Jürgen Todenhöfer, Erich Vad) arge Probleme. Der Brigade-General a.D. Erich Vad (…) ist für seine Verbindungen zur Neuen Rechten um Götz Kubitschek bekannt, er hat u.a. für die „Sezession“ (Zeitschrift der Neuen Rechten) geschrieben (…). Er war Referent bei der Hanns-Seidel-Stiftung, der neurechten Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ (…). Sein wichtigstes Buch behandelt „Perspektiven im Werk von Carl Schmitt“, dem Staatsrechtler und NSDAP-Mitglied, der als Staatsrat unter Hermann Göring die Nürnberger Rassegesetze als „Verfassung der Freiheit“ bezeichnete. Wer solche Personen als Zugpferd benutzt, wird das entsprechende Publikum ernten.
(…) Rechte Kreise (…) träumen im Zusammenhang mit dem „Manifest“ und der Kundgebung am 25.2. schon von einem Deutschland, das von Alice Weidel und Sarah Wagenknecht im Duo regiert wird. (3) Die jüngsten Äußerungen von Wagenknecht und Lafontaine geben klare Signale der Öffnung – auch nach rechts.

Am 18.2.2023 fanden in München anlässlich der Sicherheitskonferenz zahlreiche Kundgebungen statt. Den größten Zulauf gab es bei der von der Querdenker-Szene organisierten Kundgebung „Macht Frieden!“ mit den Rednern Jürgen Todenhöfer (Erstunterzeichner „Manifest“) und Dietmar Dehm (getreuer Wagenknecht-Unterstützer). Später fusionierte die AfD-Demo dazu und Jürgen Elsässer, Chefredakteur des extrem rechten Compact-Magazins, berichtete euphorisch „Mega München! Neue Querfront für Frieden“ (4). Wenn das der Testlauf für Berlin war, ist Schlimmes zum befürchten.
In der heutigen Zeit als Pazifist einen Weg zum Frieden zu finden und zu gehen, ist nicht einfach. Aus meiner Sicht gibt es auch viel „falsche“ Kritik an dem Manifest. Denn JA: Die Waffenlieferungen müssen gestoppt werden, die weitere Eskalation muss dringend verhindert werden, alle Möglichkeiten für Verhandlungen müssen ausgelotet werden, Vermittlungsangeboten (z.B. von Lula da Silva) muss Raum gegeben werden. Wer vor Eskalation warnt, ist nicht „feige“ oder „naiv“!
Aber klar ist für mich: „Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Faschismus!“ gehören zusammen. Konkreter: Wenn wir etwas aus unserer Geschichte gelernt haben, dann sollte es die Verpflichtung zur Deeskalation (Zitat Käßmann) UND zum Verhindern von faschistischen Tendenzen sein. Ein pazifistischer Aufruf, der das vereint, muss noch geschrieben werden.

Martin Firgau,
21. Februar 2023

Ergänzende Links:
– Münchenbericht der taz: https://taz.de/Proteste-bei-Sicherheitskonferenz/!5916885/
– Video vom Herbst 2022 mit J. Elsässer und „Sarah, Sarah“-Rufen: https://www.youtube.com/watch?v=JqJE6zXywWs
– Heribert Prantl verteidigt das Manifest inhaltlich: https://www.ndr.de/nachrichten/
info/sendungen/kommentare/Kommentar-Manifest-fuer-den-Frieden-ist-weder-naiv-noch-
unmoralisch,manifestfuerdenfrieden100.
html