Mörderehrung

Protest gegen ein „Ehrenmal“ in Speyer, das seit 1932 zwei faschistische Auftragsmörder zu „Helden“ verklärt

| Peter Kühn

Am 9. Januar 1924 trifft eine Gruppe von etwa 20 bis 25 bewaffneten Männern, ausgestattet mit Mauser-Pistolen im Nebenzimmer des Deutschen Hofes in Speyer zusammen. Alle sind Mitglieder von – teilweise nach dem Hitler-Putsch verbotenen – rechtsradikalen Kampfverbänden: Wiking-Bund, SA und Bund Oberland. Ihr Ziel ist die Ermordung des Vorstandes der „Pfälzischen Separatisten“, der sich im Wittelsbacher Hof regelmäßig ohne Bewachung zum abendlichen Essen niederlässt. Die Auftragsmörder handeln mit Billigung der Bayrischen Landesregierung und im Auftrag des Pfalzkommissariats in München.

Gegen 21.30 Uhr peitschen dann Schüsse im Speisesaal des Wittelsbacher Hofes, abgegeben von vier oder fünf Schützen. Heinz-Orbis und Nikolaus Fußhöller werden aus nächster Nähe erschossen, ebenso der vollkommen Unbeteiligte Matthias Sand. Weitere Menschen werden verletzt. Gleich danach fallen auch vor dem Hoteleingang Schüsse und die herbei geeilten Polizisten finden drei Schwerverwundete, darunter die Attentäter Wiesmann und Hellinger, die bald ihren Verletzungen erliegen. Die anderen Mordgesellen ziehen sich in Kleingruppen über den Rhein zurück nach Heidelberg, Mannheim und München. Das Bayrische Finanzministerium lässt den Attentätern 1923 hohe Geldbeträge über das Pfalzkommissariat unter dem Decknamen „Aufwendungen aus Anlass des Vollzugs des Friedensvertrages“ zukommen. In verschiedenen Publikationen prahlen einige der Attentäter noch 1934 und 1938 mit ihrer Heldentat. (1)(2) Die katholische Kirche hat 1924 dem ermordeten Franz Josef Heinz ein christliches Begräbnis in seinem Heimatort Orbis verweigert. Viele Trauergäste nahmen an der Beerdigung teil. (3)
Acht Jahre danach, am 10. Januar 1932 versammeln sich Teilnehmer des Attentats mit politischen Freunden vor dem Historischen Museum der Pfalz in Speyer zum „Foto-Shooting“. Unter den Teilnehmern in der Mitte steht der Speyerer Oberbürgermeister Karl Leiling. Reichspräsident Hindenburg, Kanzler Brüning und der bayrische Ministerpräsident lassen Grußadressen verlesen. Es gibt auch einen Anlass: An diesem Tag wird auf dem Speyerer Friedhof ein Ehrenmal für die Mörder Ferdinand Wiesmann und Franz Hellinger feierlich eingeweiht. Hellinger hatte schließlich schon an Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle teilgenommen. Während auf der Vorderseite des massiven Steins, der durch zwei große christliche Kreuze geziert wird, die Namen der Toten genannt werden, steht auf der Rückseite der Gedenkspruch „Für die Freiheitskämpfer vom 9. Januar 1924“.

Für das „Ehrenmal“ hat die Stadt Speyer bis heute die Pflege übernommen.

In den Jahren der Hitler-Diktatur wurde unter den Klängen von Marschmusik am Volkstrauertag der „Helden“ Hellinger und Wiesmann am Ehrenmal gedacht, auch wenn das Attentat nur teilweise geglückt war, da nicht alle Regierungsmitglieder der Separatisten umgebracht werden konnten. Wer nun glaubt, dass mit Entstehung der Bundesrepublik Deutschland die Ehrungen aufgehört hätten, sieht sich getäuscht. Erst 2002 wurde die jährliche Kranzniederlegung nach Protesten aus der Speyerer Bevölkerung eingestellt. (4)
Im Jahr 2003 wurde am Gebäude des Wittelsbacher Hofes von der Stadt Speyer eine neue Gedenktafel angebracht, die nach wie vor die „Freiheitskämpfer“ würdigt: „Hier wurde am 9. Januar 1924 der Separatistenführer Franz Josef Heinz erschossen – Für die Freiheit der Pfalz fielen auf Seiten der Attentäter Franz Hellinger und Ferdinand Wiesmann“. Bemerkenswert, dass nur Heinz und nicht der anderen Opfer gedacht wird.
Im Sommer 2019 schrieb ich die Fraktionen im Speyerer Stadtrat an (ausgenommen eine rechtslastige Wählergruppe): „Auf dem Speyerer Friedhof liegen zwei dieser Auftragsmörder: Franz Hellinger und Ferdinand Wiesmann, geehrt durch einen großen Gedenkstein. Ich wende mich an Sie, weil ich meine, hier besteht ein dringender Handlungsbedarf gerade in diesen Tagen der Popularisierung faschistischen Gedankenguts und Verächtlichmachung unserer Demokratie. Am liebsten wäre es mir natürlich, die Inschriften samt Stein könnten abgebaut werden, denn das Denkmal ist weder ästhetisch schön noch ist die darauf verewigte Inschrift in einem demokratischen Land haltbar. Es gäbe aber auch die Möglichkeit, eine transparente Gedenktafel anzubringen …“ Ich erwähne auch, dass andernfalls eine öffentliche Kampagne „nicht unbedingt dem demokratischen Ruf der Stadt Speyer diene, falls diese Peinlichkeit auf dem Friedhof weiterhin geduldet werde“.
Die Reaktionen der Stadtratsfraktionen sind unterschiedlich, manche vertröstend (es sind demnächst Sommerferien) andere ganz klar zustimmend. So schreiben die Grünen: „(…) dass die Grünen das Thema mehrfach bei der Stadtverwaltung Speyer eingebracht haben: a) über die AG Friedhofsentwicklung b) über die Oberbürgermeisterin Seiler und Herrn Dr. Nowack.“
Die Linke: „Ihre bereits erwähnten Punkte zu den faschistischen Mördern Hellinger/Wiesmann und dem damaligen Anführer der Aktion Edgar Julius Jung teilen wir. Es ist ein Unding, dass im Jahr 2019 dieses widerliche faschistische Machwerk noch immer unkommentiert auf dem Friedhof steht. Ich habe auch schon ein wenig Recherche zu dem Denkmal und der in den 2000er angebrachten Gedenktafel am Wittelsbacher Hof betrieben. Der aktuelle Zustand muss auf jeden Fall geändert werden. Ziel sollte ein Abbau oder eine Umwidmung sein. Wir werden hierzu auch demnächst an die Öffentlichkeit gehen. Es geht uns nicht darum die Beweggründe der Separatisten zu glorifizieren, sondern heutigen Faschisten einen Anlaufpunkt und Gedenkort zu nehmen und endlich mal ein Bewusstsein in Speyer zu schaffen. Im Anhang sende ich Ihnen einen Screenshot der neurechten Wählergruppe Schneider zu, die im Januar 2019 ein Gedenken zu Ehren von Hellinger/Wiesmann auf dem Friedhof in Speyer veranstalteten. Der ‚Führer‘ Matthias Schneider (auf dem Photo mit U-Bootfahrerjacke aus dem WK2) war auch maßgeblich an der unsäglichen Gedenktafel am Wittelsbacher Hof beteiligt.“
Die Stadt Speyer bringt im Auftrag der Oberbürgermeisterin Seiler durch Herrn Dr. Nowak im Kulturausschuss am 5. November 2019 folgende Beschlussempfehlung ein: (Auszug) „Der Kulturausschuss beschließt die Kommentierung des Gedenksteins (…) auf dem Speyerer Friedhof mit nachfolgendem Text, der auf einer Erläuterungstafel platziert werden soll: „Franz Hellinger und Ferdinand Wiesmann zählten zu den Akteuren eines gezielten Mordanschlags von Rechtsextremisten, (…) bei dem sie auch selbst ums Leben kamen. In der Folgezeit wurden die beiden Attentäter von der völkischen Rechten in Deutschland zu ‚Märtyrern der nationalen Sache‘ verklärt, denen 1932 dieses Denkmal errichtet wurde. Die Stadt Speyer distanziert sich heute von der damaligen Ehrung. Sie will allerdings die dunklen Kapitel der Geschichte nicht einfach tilgen, sondern zur Auseinandersetzung mit ihnen aufrufen, nicht zuletzt als Mahnung für die Zukunft.“
Die Partei Die Linke schreibt am Tag danach: „Die temporäre Lösung mit einem kommentierenden Text, die am Stein angebracht wird, ist beschlossen. Der Ausschuss hat des Weiteren zugestimmt diesen monströsen Stein in ein Denkmal für Speyerer WiderständlerInnen umzuwidmen. Die Idee war den Stein mit hohen Glasplatten oder ähnliches zu umbauen und darauf die Namen und die Lebensgeschichte von MärtyrerInnen gegen den Nationalsozialismus zu versehen. Der Stein ist so groß, dass eine kleine Platte daneben einfach verschwindet. Die Stadtverwaltung wurde des Weiteren damit beauftragt die rechtliche Situation zu prüfen die unsägliche Gedenkplatte am Wittelsbacher Hof zu entfernen und abzuändern.“
Rheinpfalz-Redakteur Karl Georg Berg berichtet über besagte Sitzung: „Nicht ob, sondern wie aus dem massiven Stein ein Mahnmal werden könne, sei Gegenstand der Diskussion, sagte OB Seiler“. Und in der Rubrik Einwurf spricht er von einem längst überfälligen Schritt und nennt als Beispiel den Landauer Löwen („Der Deutschen Wehr zu Ehr“), an dem vor wenigen Jahren eine aufklärende Tafel angebracht worden sei.

Und dann: Nichts geschah!

Öfters besuchte ich den Friedhof, auf dem größere Wegebaumaßnahmen stattfanden und dachte bei mir: In Deutschland braucht die Bürokratie eben ihre Zeit. Im Sommer 2022 schrieb ich die Grünen und Die Linke an: „Ich bin entsetzt und empört! Gibt es mehr Informationen über die Untätigkeit?“ Antwort: KEINE.
Im Januar 2024 jährt sich das Verbrechen zum 100. Mal. Ob die Stadt Speyer dann auch wieder stillschweigend wegschaut, wenn Rechtsextreme am 9. Januar ihre „Freiheitskämpfer“ diesmal machtvoll feiern? Da dies nicht ausgeschlossen werden kann, soll dieser Artikel nur ein Auftakt sein, eine breite Kampagne mit kreativem Protestmaßnahmen zu beginnen.

 

Historischer Exkurs: Die Autonome Pfalz

Die Pfalz war in der Napoleonischen Besatzungszeit annektiert und zum Département Mont-Tonnere (Donnersberg) umgewandelt worden. Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel die Pfalz an das Königreich Bayern. Die restriktive Zoll- und Steuerpolitik des Bayrischen Königreiches führte zu einer Verarmung der Landbevölkerung. Bei der Besetzung der höheren Verwaltungsämter wurden stets bayrische Beamte vorgezogen. Nach dem Hambacher Fest 1832 sorgte der von Bayern eingesetzte General von Wrede mit seinen Truppen für eine massive Verfolgung aller demokratischen Bestrebungen.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstanden in der Pfalz (ebenso im Rheinland) separatistische Bestrebungen mit dem Ziel, sich vom Deutschen Reich zu lösen und eine Rheinische Republik mit französischer Schutzgarantie zu errichten. So gründete 1918 der Chemiker Eberhard Haaß den „Bund freie Pfalz“. Das französische Militär mit General Gérard unterstützte aus nationalem Interesse diese Bestrebungen. Die Bewegung scheiterte. Ende 1923 war es dann Pfälzer Separatisten gelungen vorübergehend (12. November 1923 – 17. Februar 1924) eine Regierung für die Autonome Pfalz zu bilden. An deren Spitze stand der Landwirt Franz Josef Heinz aus Orbis. (Anmerkung des Autors: Der Begriff „autonom“ hat nicht die heutige Bedeutung, sondern meint schlicht Eigenstaatlichkeit.)

(1). Gräber, Gerhard und Spindler, Matthias: Revolverrepublik am Rhein – Die Pfalz und ihre Separatisten, Band 1 November 1918 – November 1923, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau 1992
((2.)) Gräber, Gerhard und Spindler, Matthias: Die Pfalzbefreier – Volkes Zorn und Staatsgewalt im bewaffneten Kampf gegen den pfälzischen Separatismus 1923/24, pro Message oHG, Ludwigshafen 2005
((3.)) Busch, Egon: Ein politischer Mord, seine Hintergründe und Folgen, In: Die Rheinpfalz (Speyer) vom 13. September 2017
((4.)) ebenda
((5.)) Vgl. Berg, Karl Georg „Antrag für Projektförderung“ und „Einwurf“ in Die Rheinpfalz (Speyer), vom 6. November 2019

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