so viele farben

Friedhof der Rettungswesten

Die Situation der Geflüchteten auf Lesbos und in Athen

| Peter Oehler

Beitragfriedhof
Parea Club für Spiele, Musik und Tischfußball - Foto: Peter Oehler

Der Frankfurter Bewegungs-Aktivist Peter Oehler bereist seit vielen Jahren immer wieder Griechenland, wo er ehrenamtlich u.a. in einer Klinik der Solidarität gearbeitet hat und sich in der Geflüchteten-Solidaritätsbewegung engagiert. Seit acht Jahren berichtet er in der GWR regelmäßig über seine Erlebnisse und die Situation der Geflüchteten in Griechenland. Im August/September 2023 ist er wieder nach Griechenland gereist. (GWR-Red.)

Drei Wochen war ich auf Lesbos sowie auf der Rückreise noch eine Woche in Athen und Piräus. Ich bin bereits mehrmals auf Lesbos (diesmal mein vierter Besuch) und in Athen (diesmal zum X. Mal) auf den Spuren von Geflüchteten gewesen, und habe darüber berichtet (1). Diesmal habe ich wieder zahlreiche Gespräche mit Einheimischen, Zugereisten, Mitarbeiter:innen und Volunteers von NGOs geführt, aber auch mit Geflüchteten selbst.

Flüchtlinge scheinen bei den Einheimischen auf Lesbos kein Thema mehr zu sein. Viel wichtiger ist ihnen der boomende Tourismus. Gerade touristische Hochburgen wie Molivos oder Petra an der Nordküste quellen quasi über vor Touristenmassen. In Mytilini, der Haupt- und Hafenstadt ist es anders. Auch hier gibt es viele Tourist:innen. Das sind überwiegend Kurzgäste aus der Türkei, die die preiswerten und nach Corona wieder regelmäßig verkehrenden Fähren von Ayvalik bzw. Izmir nutzen. Geflüchtete sieht man auf Lesbos nur in der Gegend von Mytilini. Unterwegs vom Camp Mavrovouni nach Mytilini, entweder zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Bus. In Mytilini selbst fallen sie kaum auf. Auffällig sind die bettelnden Menschen, überwiegend Kinder. Aber das sind keine Geflüchteten, sondern Roma, die hier zur Hälfte in Häusern, zur anderen Hälfte im Camp Pagini leben.

Pushbacks

Jeder, mit dem ich auf Lesbos über Pushbacks gesprochen habe, weiß, dass es sie nach wie vor gibt, auch wenn der griechische Staat das leugnet. Seit dem Schiffsunglück bei Pylos (Peloponnes) im Juni 2023 und der Androhung von Frontex, sich aus Griechenland zurückzuziehen, haben sie aber abgenommen. Die Aussagen dazu variieren. Einerseits sollen Geflüchtete, die Lesbos erreicht haben, nicht mehr so häufig auf Boote o.ä. ausgesetzt und zur Rückkehr gezwungen werden. Andererseits würden nur Boote, die außerhalb griechischer Gewässer aufgegriffen werden, zur Umkehr gezwungen. Alle anderen würden von der griechischen Küstenwache gerettet werden.

Rettungswestenfriedhof

Auch dem sogenannten Friedhof der Rettungswesten habe ich wieder einen Besuch abgestattet: Die ehemalige Müllkippe von Molivos, abseits in den kargen Bergen gelegen. Ab 2015 und noch bei meinem letzten Besuch im Sommer 2021 lagerten hier Zigtausende von Rettungswesten im Freien. Mit meinem Mietwagen fahre ich also das letzte Stück Schotterpiste in die Berge hoch. Bevor es zur Müllkippe etwas hinunter geht, sitzt ein Typ mit blauem T-Shirt und weiter Hose unter einem Baum. Er kommt mir seltsam vor, ich schaue ihn mir aber nicht so genau an. Ich gehe zur Müllhalde hinunter. Es liegt nur noch vereinzelt Müll hier herum, aber zahlreicher Bauschutt, und auch nur noch eine Handvoll Rettungswesten sind zu sehen. Die Wiesen und Büsche drum herum sind zu einem größeren Teil verbrannt. Eine Bekannte aus Molivos erzählt mir später, dass es hier tagelang intensiv gebrannt hätte.
Am Rande der Müllkippe finde ich auch das Olivenbäumchen wieder, das ich vor zwei Jahren hier in der kargen Gegend eingepflanzt und geschmückt als blühendes Zeichen der Hoffnung empfunden hatte. Mittlerweile ist es eingegangen. Davor steht nun eine große Tafel, die auf ein EU-Projekt hinweist. Auf Griechisch steht darauf:

„Griechische Republik
Einwanderungs- und Asylamt
Verantwortlich für die Um
setzung: Gemeinde West-Lesbos
Projektname: Service für die endgültige Entsorgung von Schiffsausrüstungsabfällen aus den Flüchtlingsströmen der Gemeinde West-Lesbos
Förderfähiges Budget: 210.873,95 Euro
Solidaritätsfonds“

Wegen einer Erhebung kann mich der seltsame Typ unter dem Baum eigentlich nicht sehen. Ich mache hier ein paar Fotos, packe aber, bevor ich wieder hoch zum Auto gehe, vorsichtshalber meine Kamera ein. Oben angekommen meint er auch gleich zu mir: „Give me your camera“. Jetzt erkenne ich an seinem T-Shirt, dass er Polizist ist. Ich erwidere zu ihm: „Why?“ und „This is an open place“. Daraufhin telefoniert er, wahrscheinlich mit seiner Dienststation. Danach winkt er mich mit einer wischenden Handbewegung weg und meint: „Please go“. Die Bekannte erzählt mir später, dass das wohl kein echter Polizist gewesen sei. Es gäbe hier viele „selbsternannte“ Polizisten. Nur der Dienstausweis legitimiere einen echten Polizisten.

Camp Vastria

In Franziska Grillmeiers Buch „Die Insel“ (2) hatte ich gelesen, dass das neu geplante und sich im Bau befindliche Flüchtlingscamp Vastria sich in der Nähe von Mandamados befinden soll. In Mandamados frage ich deshalb den Wirt eines Kafenions danach. Zehn bis zwölf Kilometer soll ich die Landstraße in Richtung Mytilini fahren, dann rechts ab. Am nächsten Tag probiere ich es aus, finde aber keinen passenden Abzweig. Ich frage nochmal jemanden in einer Strandtaverne, und so führt mein Weg in die kleine Stadt Nees Kidonies. Dort im Kafenion am Platz an der Kirche kann mir einer der Gäste weiterhelfen. Von hier aus sind es noch zehn Kilometer über Schotterstraßen, zunächst durch eine karge Gegend, später durch dichten Wald im „Nature Preserve Island Municipality Lesvos“. Das letzte Stück gehe ich zu Fuß. Ich erreiche eine Stichstraße, an der ein Wachhäuschen steht. Ein Mann und ein Transporter mit der Aufschrift „Security“ stehen dort. Ich gehe daran vorbei, mache beim Rückweg vorsichtig ein paar Fotos. Das ist der Zugang zu dem neuen Camp Vastria. Abseits gelegen, auch ein Mobilfunk ist hier kaum möglich. Also der ideale Ort, um Geflüchtete möglichst abzuschotten und wegzusperren. Denn auch in den anderen Richtungen sind es mindestens zehn Kilometer bis zur nächsten Ortschaft. Viel zu sehen gibt es nicht.

Das Camp Mavrovouni von Parea Lesvos aus gesehen – Foto: Peter Oehler

Die Aussagen zu diesem Camp, das schon längst in Betrieb sein sollte, gehen auseinander. Manche sagen, der Bau sei gestoppt, da es ein neues Gerichtsurteil aus Umweltschutzgründen dagegen gibt (3). Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass der griechische Staat dem Gerichtsurteil zum Trotz einfach weiterbauen lässt. Mehrere Personen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind, haben mir gegenüber die Vermutung geäußert, dass das Camp Vastria trotzdem nie in Betrieb gehen wird.

Melinda, Amena und Medin aus Molivos

An einem Samstag fahre ich nach Molivos und gehe hinunter zum Hafen. Hier betreibt Melinda McRostie seit vielen Jahren mit ihrer Küchenmannschaft zusammen das Restaurant Captain’s Table. Ich hatte sie das letzte Mal vor fünf Jahren gesprochen. Sie ist seit vielen Jahren engagiert in der Flüchtlingshilfe. 2015 hat sie zusammen mit anderen Ortsansässigen die NGO Starfish gegründet, die sie seitdem koordiniert (4). Ihr Engagement zeigt sich auch darin, dass sie mittlerweile zwei Geflüchtete eingestellt hat. Ich habe die Gelegenheit, mit Amena und Medin zu sprechen. Beide sind Anfang zwanzig und kommen aus dem arabischsprachigen Raum. Beide arbeiten in der Sommer-Saison bei Captain’s Table als Bedienung bzw. in der Küche. Im Winterhalbjahr lebt Amena in Mytilini. Sie war für vier Monate im Camp Moria, danach für vier Jahre in Athen. Dort hat es ihr aber nicht gefallen, weswegen sie zurück nach Lesbos gekommen ist. Medin ist seit sechs Jahren auf Lesbos. Auch er war anfangs im Camp Moria. Er war danach zum Arbeiten bereits in Eresos und Vatoussi. Hier bei Captain’s Table ist sein erster Sommer. Im Winterhalbjahr lebt er in der Nähe von Sigri und melkt Schafe. Beide kommen hier in Molivos gut zurecht. Sie sprechen gut Englisch und Griechisch. Für Medin war es anfangs – ohne Griechischkenntnisse – schwierig gewesen, hier Fuß zu fassen. Nun hat er zahlreiche Kontakte.
Andere Gastronomen in Molivos klagen über Personalmangel. Melinda geht da andere Wege, wobei es viel Papierkram und Bürokratie bedarf, um einen Geflüchteten einstellen zu können.

Paréa Lesvos

Vor zwei Jahren hatte ich das letzte Mal das Gemeinschaftszentrum für Geflüchtete One Happy Family (OHF) der gleichnamigen Schweizer Nichtregierungsorganisation (NGO) besucht, und mich damals länger mit Apostolos (genannt Akis) unterhalten, einem der Koordinatoren des Zentrums. Akis erzählte mir, dass OHF plant, seine Aktivitäten nach Athen zu verlagern. Als ich nun wieder dorthin gehe, also in Fußnähe vom Camp Mavrovouni, erfahre ich, dass das passiert ist: OHF ist im April 2022 nach Athen gezogen, hat aber das Gemeinschaftszentrum im März 2022 an die NGO Europe Cares (5) übergeben. Sie betreibt nun federführend das Paréa Lesvos (6), bietet Einiges selber an (das Café, die Ausgabe von Mittagessen, einen geschützten Bereich für Frauen, den Paréa Club, eine Bücherei und sportliche Aktivitäten), bindet aber verschiedene NGOs mit ein. Diese bieten weitere Angebote für Geflüchtete an: Foto- und Film/Video-Workshops (Refokus), Reparatur von Fahrrädern, Elektronik, Tischlerei, Nähen und Schneiderei (Makerspace), Deutsch- und Englischunterricht (Refugee Relief Doro Blancke), einen Garten (Sporos Ecohub Garden), einen Shop mit Kleiderausgabe und kostenlosen Hygieneartikeln sowie Duschen, eine Wäscherei (Leave No One Behind) und Unterstützung bei der psychischen Gesundheit (Intersos + Boat Refugee Foundation + Fenix Humanitarian Legal Aid).
Am Eingang bekomme ich, auch als offensichtlich Nicht-Geflüchteter, einen Bon für einen kostenlosen Kaffee. Ich unterhalte mich mit Annalisa, einer jungen Frau, auf Englisch und mit Julian dann auf Deutsch. Er wohnt in Deutschland, ist bei Europe Cares in Frankfurt aktiv und hier zu Besuch. Von den beiden erfahre ich auch, dass das Konzept des Gemeinschaftszentrums beibehalten worden ist: Es ist offen und bunt, bietet auch Platz zum Relaxen. Während vor zwei Jahren nur wenige Geflüchtete gekommen sind (wegen Corona und den restriktiven Ausgangsbeschränkungen), kommen nun wieder 400 bis 450 Geflüchtete pro Tag. Einige Geflüchtete kommen jeden Morgen vom Camp Mavrovouni zum Paréa Lesvos, um hier zu helfen. Sie nehmen an der allgemeinen Lagebesprechung um 9:30 Uhr teil, bevor das Zentrum offiziell um 10 Uhr öffnet. Ich sehe im Gemeinschaftszentrum auch Schwarze, die gelbe Warnwesten tragen und Ordner-Funktionen übernehmen.

The Hope Project

An einem anderen Tag besuche ich das Hope Project (7). Es ist alles recht unverändert, wie ich es von 2018 und 2021 her kenne: Die Kleiderkammer, Lagerräume, ein Kunstraum, in dem Geflüchtete malen und musizieren können, die Küche sowie im hinteren Teil der Aufenthaltsbereich für die Mitarbeitenden und Volunteers. Eine ganze Reihe von Geflüchteten arbeitet hier als Volunteer. Mein Plan war, mit Philippa Kempson, die das Hope Project mit ihrem Mann leitet, ein Interview zu führen. Als ich dort bin, führt sie gerade eine Gruppe junger Frauen durch die Räume. Mit einer aus der Gruppe komme ich ins Gespräch. Sie kommt aus der Nähe von Stuttgart. Sie will eigentlich bei A Drop in the Ocean (8) als Freiwillige mitarbeiten. Diese norwegische NGO arbeitet zur Hälfte im Camp Mavrovouni und bietet den Geflüchteten dort Wäscherei-Dienste an. Die junge Frau wartet noch auf ihr Führungszeugnis, um dort mitarbeiten zu können. Deshalb arbeitet sie zwischenzeitlich als Volunteer im Hope Project. Mit ihr und einer anderen jungen Frau verabrede ich, dass sie für mich einen Interviewtermin mit Philippa ausmachen. Ich treffe aber Philippa kurz darauf und wechsele ein paar Worte mit ihr: Sie ist leider „too busy“ für ein Interview.

Camp Moria

Das Städtchen Moria liegt sechs Kilometer entfernt von Mytilini. An einem Tag gehe ich dorthin und dann darüber hinaus, zum nahegelegenen ehemaligen Camp Moria, das vor drei Jahren abgebrannt ist. In Google Maps ist es als „Historische Sehenswürdigkeit“ mit der Bezeichnung „Remains and ruins of the burnt Moria camp“ eingetragen. Das eigentliche, früher militärisch genutzte Lager steht unverändert offen als Ruine in der Landschaft. An seiner Außenmauer steht immer noch deutlich: „WELCOME TO EUROPE ** HUMAN RIGHTS GRAVEYARD“. An einem gemauerten Hintereingang zum Lager hängt ein Zettel, auf dem steht:

„Do you remember us?
Wherever you are …
Resist as they raped your ‘home’.
Do not go easy into that good night.
If you are here,
you are one of us.
– The Saviors.“

Der daran anschließende „wilde“ Bereich inmitten von Olivenbäumen ist jetzt weitgehend eingezäunt. Man kommt aber am unteren und am oberen Ende leicht hinein. Es wirkt nun ziemlich aufgeräumt, eine neue Steinmauer wurde angelegt. Ich war angeregt, noch einmal hierherzukommen, durch Franziska Grillmeiers Buch „Die Insel“, in dem es zu den von den Geflüchteten improvisiert errichteten Brotbacköfen heißt: „Die Brotöfen hatten tatsächlich [den Brand] überlebt.“ Ich finde hier tatsächlich einen aus Stein und Eisen improvisierten Ofen. Ansonsten sind nur noch zahlreiche schwarze Feuerstellen am Boden zu erkennen. Auch stehen hier verkohlte Olivenbäume, die aber an manchen Stellen munter weiterwachsen.

Geflüchtetenfriedhof bei Kato Tritos

Sowohl in Helge-Ulrike Hyams’ Buch „Denk ich an Moria. Ein Winter auf Lesbos“, als auch in Franziska Grillmeiers Buch hatte ich von einem Geflüchtetenfriedhof in der Nähe des Dorfes Kato Tritos gelesen. Auch in der Dokumentation „Das Massaker von Pylos. Eine weitere tödliche Reise in die Festung Europa“, im August 2023 herausgegeben von der Lesvos Open Assembly Against Border Violence, kann man über ihn lesen (9). Deswegen kam in mir der Wunsch auf, ihn zu besuchen.

Jeder, mit dem ich auf Lesbos über Pushbacks gesprochen habe, weiß, dass es sie nach wie vor gibt, auch wenn der griechische Staat das leugnet

Von Mytilini nach Kato Tritos sind es 15 Kilometer. Ich bin diese Strecke an einem Samstag Nachmittag zu Fuß gegangen. Wobei es mangels Alternative die meiste Zeit entlang der Hauptstraße 36 von Mytilini nach Kalloní geht, also keine schöne Wanderung. Die 36 geht nördlich um den Golf von Géra herum. Später nehme ich den Abzweig Richtung Plomari. Das letzte Stück geht es dann etwas hinauf zu dem Dorf Kato Tritos. Dort spricht keiner Englisch, so dass ich mir die griechischen Begriffe für Flüchtling und Friedhof heraussuche, um damit nach dem Weg zum Geflüchtetenfriedhof zu fragen. In einer Metzgerei versteht mich ein Mann, geleitet mich sofort zu seinem um die Ecke stehenden Pickup, und fährt mich zum unteren Ortsausgang, dann rechts ab auf eine schmale Straße, rechter Hand liegt der reguläre Friedhof. Kurz darauf lässt mich der Mann aussteigen, bei einem mit einen Vorhängeschloss abgeschlossenen Tor zu einem eingezäunten Feld, und fährt weiter. Das Tor ist nicht richtig verschlossen, also gelange ich hinein. Es sind etwa 200 meist unscheinbare Gräber zu erkennen. Die Grababmessungen sind kaum erkennbar, weil alles von zumeist vertrockneten Gräsern zugewuchert ist. Viele Gräber haben schlichte Marmorplatten als Grabstein, die Inschrift ist oftmals bereits verblasst. Den lesbaren Inschriften entnehme ich, dass das Alter der Begrabenen von zehn Monaten bis 77 Jahre reicht. Es gibt auch einige Gräber, die nur durch einen Holzstock an der Stirnseite markiert sind. Vier, fünf „luxuriöse“ Gräber gibt es hier ebenfalls. In Wahrheit sind es jedoch wesentlich mehr Gräber, da die meisten gar nicht gekennzeichnet sind.
Einen Tag später treffe ich wieder die deutsche Frau, die in dem Projekt „Volunteers for Lesvos“ des Berliner Vereins „Respekt für Griechenland“ auf Lesbos seit 2016 den Einsatz von Volunteers koordiniert. Sie erzählt mir unter anderem, dass sie auch bei Missing Migrants Lesvos mitarbeitet. Sie sind zu fünft, arbeiten mehr im Verborgenen. Sie organisieren hier bei Kato Tritos die Begräbnisse, suchen dazu Kontakt zu den Angehörigen. Diese müssen das jeweilige Grab selbst ausheben, werden aber mit Werkzeugen von Missing Migrants Lesvos dabei unterstützt. Keine schöne Tätigkeit, aber auch das muss von irgend jemandem gemacht werden.

Victoria Community Center Athens

In Athen besuche ich das Victoria Community Center (10), das in der Nähe des Viktoria-Platzes liegt (daher der Name. Wir erinnern uns: in 2015/16 war dieser Platz ein Treffpunkt der Geflüchteten, die ihn damals geradezu belagerten). Das Gemeinschaftszentrum ist in einem schmalen fünfstöckigen Gebäude untergebracht. Im Erdgeschoss befindet sich das Café, das auch einen kleinen Außenbereich hat. In den oberen Stockwerden zahlreiche Büros. Ganz oben das „Rooftop“, wo im Moment nur zahlreiche Pflanzen (Gemüse und Kräuter) in Töpfen wachsen. Später soll auch diese Dachterrasse den Geflüchteten verfügbar gemacht werden. Ich frage mich durch nach Akis, den ich dann in einem der oberen Büros finde. Er ist mit OHF und seiner Familie zusammen im April 2022 von Lesbos nach Athen gezogen. Er erzählt mir, dass sie froh sind, dass das Gemeinschaftszentrum in Mytilini in ihrem Sinne erfolgreich weitergeführt wird. Hier in Athen verfolgen sie das gleiche Konzept, nämlich ein offenes Haus zu sein und andere NGOs einzubinden. Auch wenn die Räumlichkeiten hier wesentlich beengter sind als auf Lesbos. Eingebunden sind etliche NGOs (11). In Athen leben zigtausende Geflüchtete, obwohl es nach der Schließung von Eleonas im Sommer 2022 kein Flüchtlingslager mehr in Athen gibt. Die Lager liegen weit entfernt von Athen, z.B. das Camp von Malakasa rund 45 Kilometer nördlich oder das in Korinth.
Das Gemeinschaftszentrum hat werktags von 10:30 bis 17:30 geöffnet. Es kommen 120 bis 170 Geflüchtete täglich. Auch ich bekomme, nachdem ich mich kurz habe registrieren lassen, einen kostenlosen Kaffee sowie einen frisch gepressten Orangensaft unten im Café.

Fazit

Obwohl es in Griechenland viele Geflüchtete gibt, sind sie in der Öffentlichkeit wenig präsent. Auf Lesbos werden 3.000 bis 4.000 Geflüchtete im Camp Mavrovouni konzentriert.
In Athen werden es wesentlich mehr sein, aber bei einem Ballungsraum mit vier bis fünf Millionen Einwohner:innen fallen sie kaum ins Gewicht. Wenn man genauer nachschaut, kann man sie finden. Ob ihre Zukunft in dem bewusst abseits gelegenen Camp Vastria liegen wird, darf bezweifelt werden.

(1) Siehe z.B.: GWR 405, GWR 413, GWR 435 und GWR 464
(2) Siehe meine Rezension in der GWR 481
(3) Siehe: www.protothema.gr/greece/
article/1400497/lesvos-bloko-tou-ste-stin-
kataskeui-domis-sti-vastria
(4) www.asterias-starfish.org
(5) mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, www.europecares.org
(6) Griechisch: Freundeskreis, Clique, Gesellschaft oder Umgang
(7) www.hopeprojectgreece.org
(8) www.dropintheocean.org
(9) borderviolencelesvos.noblogs.org
(10) ohf-lesvos.org/de/willkommen, www.victoriacc.gr
(11) European Lawyers in Lesvos (ELIL), Glocal Roots, Meaalofa Foundation, A Drop in the Ocean, Lighthouse Relief, Refocus, Yoga and Sport with Refugees, Doctors without Borders (MSF), International Rescue Committee (IRC), SAMS („SAMS Hellas offers medical services to vulnerable communities in Greece.“), „Saffron Kitchen Project is about people, food, building community and creating lasting opportunities for vulnerable people in Athens.“, Diotima Centre for Gender Rights & Equality („We are a women’s non-profit organization specialized in gender issues and equality, founded in 1989.“), Project Armonia („ We act in solidarity with displaced people to promote equal access to nutrition and education.“)

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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