Editorial

Liebe Leser:innen,

das Editorial schreibe ich in der Regel „auf Platz“ und kurz bevor die GWR gedruckt wird. Beim letzten Mal habe ich statt Editorial spontan einen Kommentar zum rassistischen Titelbild des Spiegel Nr. 39/2023 geschrieben. Diesen Kommentar schickte ich nach Veröffentlichung zur Kenntnisnahme an die Spiegel-Redaktion. Ich forderte eine redaktionelle Stellungnahme ein, warum der Spiegel ein rassistisches Cover veröffentlicht, das zudem extreme Ähnlichkeit mit einem bekannten antisemitischen Plakat hat (1): „Ich erwarte vom Spiegel eine Antwort auf die Frage wie es dazu kommen konnte, dass ein solches Titelbild veröffentlicht wurde.“
Der Spiegel kündigte mir eine Antwort an, dokumentierte meine Kritik aber nicht, auch nicht in Auszügen. Am 19.10.2023 schrieb mir Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit: „(…) Wir haben das Foto ausgewählt, weil es das Migrationsthema unserer Ansicht nach besonders zurückhaltend illustriert. Die Schlange bewegt sich vom Betrachter weg, es ist keine massive Menschenansammlung, sondern eine dünne Schlange. Die Zeile greift einen großen Satz der ehemaligen Bundeskanzlerin auf, und die Unterzeile ist neutral. Ich glaube nicht, dass dies ein Rechtsruck ist. Wir haben den ganz sicher nicht im Sinn (…).“
Aus meiner Antwort: „(…) herzlichen Dank für Ihre Antwort (…). Ich muss Ihnen aber widersprechen. Im Vergleich zum berüchtigten ‚Das Boot ist voll‘-Spiegel-Titelbild ist das Titelbild des Spiegel Nr. 39 vom 23.9.2023 auf den ersten Blick weniger menschenverachtend und rassistisch. Die Ähnlichkeit des Spiegel-Covers Nr. 39/2023 mit dem antisemitischen Karl-Lueger-Plakat von 1901 ist allerdings skandalös und erstaunlich. (…) Im Grunde wurde bei Beibehaltung der gelben Warn-Farbe die Schlange aus jüdischen Flüchtlings-Männern (mit Hakennase) ersetzt durch eine Schlange mit schwarzen (anonymen) Männern – und das Bild der Stadt Wien wurde durch ein Lampedusa-Schild ersetzt. Siehe Abbildungen in o. g. Artikel. Es macht den Eindruck als habe sich der Spiegel-Grafiker durch das antisemitische Plakat von 1901 inspirieren lassen. (…) solche Titelbilder schockieren mich und ich sehe sie als rassistisch an.“

Wie sehr sich der Spiegel weiterhin an der medialen Hetzkampagne gegen Geflüchtete beteiligt, zeigt das Titelbild des Spiegel Nr. 43 vom 21.10.2023, wo ein Foto des „eisernen Kanzlers“ Olaf Scholz mit der fetten Schlagzeile „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ abgebildet ist. Untertitel: „Olaf Scholz’ neue Härte in der Flüchtlingspolitik“. Empörend ist hier nicht nur, dass ein SPD-Kanzler sich menschenverachtende AfD-Parolen zu eigen macht, sondern auch, dass das „Sturmgeschütz der Demokratie“ diese Hetzpropaganda auf die Titelseite knallt.
Wir werden das Spiegel-43/
2023-Titelbild hier nicht reproduzieren. Stattdessen zeigen wir ein verfremdetes Cover, aus einer persiflierenden Bilderserie von Pro Asyl, mit einer der Not der fliehenden Menschen angepassten Forderung: „Wir müssen endlich im großen Stil Menschen aus Seenot retten.“

Zum Glück gibt es noch antirassistische Projekte und Medien!

Als Redaktion der Graswurzelrevolution versuchen wir der menschenfeindlichen Propaganda der Massenmedien unsere gewaltfrei-anarchistische Bewegungs-Sicht von unten entgegenzusetzen.

GWR 483-Schwerpunkte: Anti-AfD und Israel

Neben Themen wie z.B. gewaltfrei-anarchistische Ethik, Geflüchtete in Griechenland, Arbeitskämpfe, Repression und Klimagerechtigkeitsbewegung, hat die GWR 483 zwei Schwerpunkte.
Im antifaschistischen Schwerpunkt auf den Seiten 3 bis 11 beleuchten wir u.a. die menschenfeindliche Politik von AfD, FPÖ und Co.
Den zweiten Schwerpunkt bilden Beiträge über Israel/Palästina. Neben unserem Interview mit Meron Mendel (S. 1, 18ff.) und dem Statement der Pariser CNT-AIT (siehe oben), haben wir einen bewegenden Artikel aus der israelischen Zeitung Haaretz übersetzt, der zeigt, dass es Menschen auf beiden Seiten gibt, die sich gegenseitig helfen und die „Flammen eindämmen“: „Diese Partnerschaft ist unsere Hoffnung“ (S. 20f.). Das dürfte weder den Massenmördern der islamistischen Terrororganisation Hamas noch den Fans der extrem rechten Netanjahu-Regierung gefallen.
Zwischen allen Stühlen, da fühlen sich Anarchist:innen nicht unwohl.
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Anarchie und Glück,

Bernd Drücke

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

Wir freuen uns auch über Spenden auf unser Spendenkonto.

((1)) Menschenfeindliche Propaganda. Auch das „Sturmgeschütz der Demokratie“ beteiligt sich an der Hetzkampagne gegen Geflüchtete, GWR-482-Kommentar und Abbildungen siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2023/09/menschenfeindliche-propaganda/