Film-Review

Einladung in die Hölle

„Morgen ist auch noch ein Tag“ läuft am 4. April in den deutschen Kinos an

| Nicolai Hagedorn

Paola Cortellesi (Delia), Valerio Mastandrea (Ivano) - Foto: Tobis

Der Film „C'è ancora domani“ überflügelte 2023 in Italien Blockbuster wie „Barbie“ und „Oppenheimer“ und wurde mit über fünf Millionen verkauften Kinotickets der besucherstärkste Film des Jahres.

Der Film wird als Komödie oder Tragikomödie angekündigt. Lustig ist die Filmhandlung allerdings eigentlich ganz und gar nicht. Der in schwarz-weiß gedrehte Film zeigt das überaus unangenehme Leben der Familienmutter Delia, die sich im Rom des Jahres 1946 nicht nur um die drei Kinder kümmern und mit allerlei Hilfstätigkeiten zum Haushaltseinkommen beitragen muss, sie ist auch regelmäßig den körperlichen und seelischen Misshandlungen ihres Ehemanns Ivano (Valerio Mastandrea) ausgesetzt. Außerdem muss sie Ivanos maladen Vater versorgen, der ebenfalls in der kargen Kellerwohnung wohnt und seinem Sohn einmal rät, Delia nicht unentwegt zu verprügeln: „Glaub deinem alten Vater. Ständig Prügel, das geht nicht. Sie gewöhnt sich sonst dran. Eine richtige Tracht Prügel ab und an, dann kapiert sie´s. So machte ich es mit deiner Mama. Hast du uns je streiten sehen? Nein? Und warum? Weil sie meine Cousine war und weil Familie wichtig ist!“ Die gewalttätigen Männer und ihr tumbes chauvinistisches Selbstverständnis sind in „Morgen ist auch noch ein Tag“ meist Ziel des Spottes. Ihre weiblichen Figuren präsentiert Regisseurin Paola Cortellesi, die auch die Hauptrolle der Delia spielt, als zwar körperlich unterlegen und gesellschaftlich inferior, aber zugleich als mutig, gewitzt und letztlich auch wehrhaft. Ein anschauliches Besipiel für den erzielten Kontrast ist eine Sequenz, in der Delia mit ihrer jugendlichen Tochter Marcella ein gemeinsames Essen mit der Familie von Marcellas Verlobten in spe, Giulio, vorbereitet. Die Chance, Marcella in eine wohlhabende Familie einheiraten zu lassen, will Delia sich nicht entgehen lassen, wie jedoch können Giulios Eltern bei dem gemeinsamen Abendessen zumindest nicht vollends verschreckt werden durch die Anwesenheit der vier männlichen Neandertaler im Haushalt?

Die beiden kleinen Jungs, Marcellas Brüder, das ist noch der einfachste Teil des Plans, sollen mit jeweils 5 Lire bestochen werden, damit sie sich nicht gegenseitig dauernd als „Hurensohn“ beschimpfen. Den „Papa“ wollen Delia und Marcella zumindest vom Alkohol fernhalten, das größte Problem ist jedoch der unentwegt aus seinem Zimmer pöbelnde, die Faschisten vermissende Opa. „Er rülpst und flucht auf den Herrn“, gibt Marcella zu bedenken, doch Delia beruhigt: „Um den kümmere ich mich, er kriegt früher essen und wir sperren ihn ein.“

Überhaupt spielen Kontraste in Cortellesis Ästhetik eine große Rolle. Wir sehen in „Morgen ist auch noch ein Tag“ einerseits nackte Brutalität gegenüber Frauen, das wird aber im Score kontrastiert von schmalzigen italienischen Schlagern, Gewaltexzesse werden wie in einem Musical als Tanz inszeniert, ebenso eine scheinbare Versöhnungsszene von Delia und Ivano. Nach der Betrachtung des Films bleibt das ungute Gefühl, man habe einen Feel-Good-Film gesehen, in dem aber eine Frau misshandelt wird.

Wenn er sie nicht gerade zusammenschlägt, erniedrigt Ivano Delia und diese Erniedrigungen wirken oft fast noch schmerzhafter als die Schläge, die sie ertragen muss. Die gezielt kitschige, komödiantische Feel-Good-Ästhetisierung führt aber keineswegs zu einer Verharmlosung der Geschehnisse, im Gegenteil, die gezeigte Gewalt ist eben als Kontrast zu der suggerierten Lebens- und Abenteuerlust der Frau noch schmerzhafter anzusehen. Die ästhetischen Einladungen, sich gut zu fühlen beim Konsum des Kunstwerks, sich zurückzulehnen, eine Komödie, ein Musical zu genießen, wird von der Gewalt und der immer lauernden Gefahr, die der Protagonistin droht, drastisch konterkariert. Das Besondere an dem Film ist, dass er die Zuschauenden mit offen Armen und fröhlich in die reale Hölle häuslicher Gewalt gegen Frauen einlädt.

Cortellesi führt den Diskurs also sowohl erzählerisch, als auch ästhetisch. Sie betreibt gewissermaßen filmische Ideologiekritik. Denn toxische Männlichkeit wird auch heute noch in vielen Produkten der Kulturindustrie romantisiert, als liebenswürdiges Macho-Gehabe inszeniert, harte Männer zarten Frauen gegenüber und als Schutzmacht zur Seite gestellt. „Morgen ist auch noch ein Tag“ schaut dagegen gewissermaßen hinter die Kulissen und zeigt, dass Romantisierung von Männlichkeit und patriarchaler Kitsch einerseits und brutale Gewalt gegen Frauen und Misogynie andererseits sich keineswegs ausschließen, sondern in der Kulturgeschichte oft nur unterschiedliche Auswüchse von gewaltförmigen Herrschaftsstrukturen sind.

Auf der Erzählebene zeigt der Film zunächst, wie verfestigt solche Herrschaftsstrukturen sind, wie selbstverständlich sie als gegeben angenommen werden und wie schwierig es ist, sie zu überwinden. Einmal fragt Delia einen ihrer Auftraggeber für Hilfstätigkeiten, warum der völlig unfähige neue Mitarbeiter mehr Lohn bekomme als sie, worauf dieser wie selbstverständlich antwortet, der Neue sei eben ein Mann. Ihre beiden jungen Söhne benehmen sich bereits genauso unflätig und chauvinistisch wie ihre männlichen Familienvorbilder.

Neben den beiden toxisch bzw. faschistisch konnotierten Männerfiguren Ivano und dessen Vater Ottorino präsentiert der Film indes drei weitere, deutlich ambivalentere „Männer-Typen“. Und mit ihnen nähert er sich diskursiv der Frage, welche Auswege Frauen haben, wie sie sich aus den patriarchalen Strukturen befreien, bzw. sie sogar überwinden können.

„Morgen ist auch noch ein Tag“ schaut gewissermaßen hinter die Kulissen und zeigt, dass Romantisierung von Männlichkeit und patriarchaler Kitsch und brutale Gewalt gegen Frauen und Misogynie sich keineswegs ausschließen, sondern in der Kulturgeschichte oft nur unterschiedliche Auswüchse von gewaltförmigen Herrschaftsstrukturen sind.

Und auch hier arbeitet Cortellesi sehr geschickt mit den Seherwartungen des Publikums. Zunächst bietet sich Delia eine klassische Fluchtoption. Eine alte Jugendliebe taucht auf, Nino, auch ein Mann, auch bei seiner Vorstellung und der Inszenierung der erneuten Annäherung der beiden spart Cortellesi nicht mit Romantik- und Liebesfilmkitsch, aber jetzt sind wir schon gewarnt und skeptisch. Die Flucht in eine neue Liebe, zu einem anderen, ebenfalls patriarchal sozialisierten, anderen Mann (Nino arbeitet in einer Autowerkstatt und will sie in eine andere Stadt mitnehmen) wird letztlich verworfen. Mit Nino in den Sonnenuntergang zu reiten wäre nichts weiter als eben eine Flucht innerhalb der gegebenen Verhältnisse: Wieder wäre die Frau abhängig von den Launen des Mannes, angewiesen auf dessen Gutartigkeit und Freundlichkeit. Delia will aber nicht flüchten, sie will sich befreien.

Ähnlich verhält es sich mit Giulio. Er ist der Freund bzw. Verlobte von Delias Tochter Marcella. Giulios Familie wird als wohlhabend, liberal, aber auch etwas undurchsichtig vorgestellt, der Junge ist verliebt und wirkt freundlich. Doch auch hier trügt der Schein, offenbar ist seine moderne, aufgeklärte Attitüde reine Fassade.

Eine weitere Männer-Figur ist ein amerikanischer Soldat, der als Teil der US-Besatzungsarmee im Nachkriegs-Rom stationiert ist. William (Yonv Joseph) ist Schwarzer, Amerikaner, aufmerksam (er erkennt die Spuren der Gewalt an Delias Körper), gewissermaßen eine Art Alien, ein Mann von außen, aus einer anderen, liberaleren Welt und als Schwarzer ebenfalls strukturell von Diskriminierung betroffen (auch Delia benutzt ihm gegenüber das N-Wort). William will Delia nicht mitnehmen, er bietet ihr keine Flucht, keinen männlichen Schutz an, sondern Hilfe, Unterstützung. Sie wird das in Anspruch nehmen, aber wir wollen nicht zu viel verraten.

Mit dem Partner von Delias bester Freundin wird eine weitere Männer-Figur eingeführt. Er ist offenbar tatsächlich ein liberaler, liebender, gewaltfreier Mann, er kommt aber nur als ferne Möglichkeit vor, spielt im Verlauf der Geschehnisse nur eine Rolle als Beweis dafür, dass nicht jeder Mann ein gewalttätiger Frauenhasser werden muss, nur weil er keine Konsequenzen zu fürchten hat.

Blick in die Hölle häuslicher Gewalt – Foto: Tobis

Innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen ist Befreiung also nicht ohne weiteres zu haben, diese ist nur durch eigene (auch politische) Initiative zu erlangen. Bei aller Klugheit und inszenatorischer Präzision werden die Handlungsoptionen von Cortellesi etwas zu sehr ins Private verlagert: das unterdrückte Individuum wird zum einsamen Handeln aufgefordert. Zwar wird letztlich so etwas wie eine politische Lösung nahegelegt, diese wird aber nicht solidarisch erkämpft, sondern fällt gewissermaßen vom Himmel. Die Solidarität, die Delia von anderen Frauen erfährt, führt indes mehr oder minder ins Leere. Erst im Schlussakt kommt es zu einer vagen politischen Einordnung, die aber dem Furor der vorangegangenen Inszenierung kaum angemessen ist.

So verweigert sich der Film letztlich einer eindeutigen politischen Positionierung und bekommt den Zusammenhang zwischen den Anforderungen von kapitalistischer Mehrwertproduktion und den dargestellten brutalen patriarchalen Herrschaftsstrukturen, die zumindest zum Teil als Ausformungen jener verstanden werden müssen, nicht scharf genug in den Blick.

Trotzdem ist „Morgen ist auch noch ein Tag“ ein Film, den man gesehen haben sollte und dem hierzulande eine ähnliche Aufmerksamkeit zu wünschen ist wie in Italien.

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos der Druckausgabe zum Kennenlernen gibt es hier.

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