Rechter Terror

Antisemitismus in der DDR

| Harry Waibel

Der Historiker Harry Waibel forscht u.a. zu den Themen Neonazismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in der DDR und in der Bundesrepublik. Für die GWR schreibt er momentan eine dreiteilige Artikelserie zum Rechten Terror. Den ersten Teil zum Thema Antisemitismus in der DDR veröffentlichen wir in dieser Ausgabe. Der zweite Teil soll den Schwerpunkt Rassismus in der DDR haben und voraussichtlich in der GWR 477 erscheinen. Teil 3 thematisiert den Neonazismus in der DDR und ist für GWR 478 eingeplant. (GWR-Red.)

Antisemitismus war in der DDR sowohl auf einer gesellschaftlichen als auch auf einer staatlichen Ebene wirksam und wurde in der Innenpolitik sichtbar. Als alles dominierende Staatspartei trug die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Verantwortung für die Entwicklung antisemitischer Potentiale, nicht nur gegenüber dem Staat Israel, sondern auch gegenüber den Jüdinnen und Juden in der DDR. In der Gesellschaft wurden offiziell über 900 antisemitische Straftaten festgestellt, wovon etwa 145 Schändungen jüdische Friedhöfe und Gräber betreffen.

In Anbetracht der wenigen dort verbliebenen und offiziell gemeldeten Jüdinnen und Juden, es gab so gut wie keine jüdische Bevölkerung, kann man von einem Antisemitismus sprechen, der [fast] ohne Juden auskam.
Anfang der 1950er Jahre flüchteten über 500 Jüdinnen und Juden aus der DDR in den Westen. Dem waren massive staatliche Angriffe auf jüdische Personen vorausgegangen, denen vorgeworfen wurde, Kontakte zu westlichen Hilfsorganisationen aufgenommen zu haben. Bereits Verbindungen zur jüdischen Hilfsorganisation „Joint“ und der Empfang von „Care“-Paketen hatten zu repressiven politischen und polizeilichen Attacken auf Juden und ihre Organisationen geführt, wobei diese Hilfsorganisationen als „imperialistische Agentenorganisationen“ denunziert wurden. (1) Davor und danach wurden die jüdischen Gemeinden von der Geheimpolizei infiltriert und zersetzt. Julius Meyer, Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR wurde Ende 1952, Anfang 1953 massiven antisemitischen Repressionen unterzogen. Er flüchtete im Januar 1953 aus der DDR. Mit ihm flüchteten sechs von sieben Gemeindevorstehern sowie Fritz Grunsfeld, Mitglied des Vorstands der jüdischen Gemeinde Leipzig und Leo Eisenstadt, Vize-Präsident und der Generalsekretär des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Ebenso flüchteten Heinz Freund, Kammergerichtspräsident in Ost-Berlin und Heinz Fried, Direktor der Wasserwerke in Ost-Berlin sowie alle Insassen des Jüdischen Kinderheims in Berlin-Niederschönhausen, die zusammen mit den Erzieherinnen mit der Straßenbahn über die Sektorengrenze nach West-Berlin flüchteten. Auslöser dieser Fluchtbewegung war die Verhaftung von P. Merker, wobei Ende November 1952 bereits die Verhaftungen von Paul Baender, ehemaliger Staatssekretär und von Hans-Heinrich Schrecker, Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“ vorausgegangen waren. (2)
Inszeniert als „Selbstauflösung“ wurde Ende Februar 1953 die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) in der DDR, hier waren insbesondere ehemalige KZ-Häftlinge organisiert, von der SED aufgelöst und durch das lammfromme, staatsabhängige „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ ersetzt. (3) Es sollte der „Sozialismus“ aufgebaut werden, zusammen mit der Masse der kleinen und großen Nazis, und da war kein Platz mehr für eine authentische, weil vielfältige und unabhängige Gruppierung von jüdischen Verfolgten, Widerstandskämpferinnen und -kämpfern. Die Jüdischen Gemeinden wurden in ihren Aktivitäten auf die Ausübung des jüdischen Kultus reduziert und hatten ihre politische Bedeutung verloren. Durch die Ablehnung eines Gesetzes zur „Wiedergutmachung“ waren sie vollständig von staatlicher finanzieller Unterstützung abhängig. (4)

In der Gesellschaft der DDR konnte sich ein breiter Antisemitismus weiter entwickeln, der durch Gesänge und durch mündliche und schriftliche Parolen von Neonazis, Skinheads und Hooligans in Schulen, in den bewaffneten Organen (MfS, VP, NVA) und in Fußballstadien sichtbar wurde. Dagegen konnten die Verantwortlichen im Staat und in der Gesellschaft, außer Repression, keine wirksamen Mittel einsetzen. Beim Kampf der SED gegen Israel waren die Redaktionen der Medien der DDR ein wichtiges Mittel.
So waren für Prof. A. Norden, Mitglied des Politbüros der SED, Zeitungsberichte über den Krieg im Nahen Osten zu wenig zugespitzt und er forderte deshalb im Juni 1967 den ihm untergebenen W. Lamberz auf, dafür Sorge zu tragen, dass die israelischen Militäroperationen in der Öffentlichkeit der DDR so dargestellt werden sollten, dass der Vergleich mit dem Überfall der Nazi-Wehrmacht auf die Sowjetunion naheliegend wäre. (5) Als Kandidat und später als Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der SED war Lamberz zuerst Leiter der Kommission für Agitation und Propaganda und später Leiter der Abteilung für Agitation im Zentralkomitee der SED. Er war zuständig für eine wöchentlich stattfindende „Argumentationssitzung“ mit den Chefredakteuren der Presse der DDR. Die Anweisung von A. Norden an W. Lamberz belegt zweierlei: Erstens zeigt sie, dass die autoritären Strukturen der marxistisch-leninistischen SED in einem erheblichen Maß Übereinstimmungen zeigt, mit denen in militärischen Verbänden, so dass hier von einer Ausschaltung dialektischer Vorgänge per se gesprochen werden muss, die diskursive Kommunikation von vornherein verunmöglichte. Zweitens ist hier eine, quasi zeitnahe, historische Quelle zu erkennen, mit der die Durchdringung großer Teile der linksradikalen und revolutionären Linken mit falschen Positionen begann. Mit der antizionistischen Argumentation verbindet sich eine unvollständige, Aufarbeitung des Nazi-Faschismus, sowohl in West- als auch in Ostdeutschland, d. h. dass die in diesem Vergleich vorgenommene, stillschweigende Verharmlosung den Versuch darstellt, die Deutschen und Deutschland von der psychischen Last der Nazi-Verbrechen zu entlasten. Diese Ideologie entfaltete ihre Suggestion in der Weise, dass die Israelis zu Tätern, ja zu faschistischen Verbrechern erklärt wurden, die entweder genauso geworden sein sollen wie es die Nazis waren oder sogar noch schlimmer. Diese propagandistische Offensive der SED zur neuen Beurteilung des Konflikts im Nahen Osten, fand bei vielen Linken im Westen erstaunlich schnell Resonanz und weist so auf die 
vielschichtigen kommunikativen 
Chancen der SED-Führung über den Rahmen der DDR hin, in die linke Szene Westdeutschlands einzuwirken.
Die an der kurzen Leine der SED geführten Redaktionskollektive in der DDR zeigten sich von ihrer unterwürfigen Seite und so veröffentlichte die SED-Bezirkszeitung „Das Volk“ im Februar 1967 einen Artikel, in dem von einer „Sonderform des hebräischen Sozialfaschismus“ gesprochen wurde. (6)
Die SED-Tageszeitung „Neues Deutschland“ veröffentlichte Mitte August 1968 die Schlagzeile: „In Prag regiert der Zionismus“. (7) Kurt Goldstein, Intendant des Hörfunkprogramms „Stimme der DDR“, behauptete im August 1973 Israel würde „in der ganzen Welt einen geheimen Krieg“ führen. (8) Ein Kommentator der „Stimme der DDR“ sprach im Oktober 1973 von der „Nazi-Luftwaffe Israels“. (9) Ende März 1978 beschrieb der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN), die Nachrichtenagenturur der DDR, die Situation im Nahen Osten: „Die Juden – einst Opfer – wurden zu Henkern, und es scheint als gingen die Zionisten jetzt auf die gleiche Weise vor wie einst die Nazis. Heute sind es die Juden, die unterdrücken und ausrotten und die Palästinenser sind die Opfer. […] Natürlich weichen die Verfahrensweisen voneinander ab, weil die Umstände andere sind. Die Zionisten verwenden keine Verbrennungsöfen […] ihnen genügen Napalm, Kriegsflugzeuge, Kriegsschiffe und Armee-Einheiten“. (10) Das „Neue Deutschland“ titelte 1982 nach den Kämpfen in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Beirut (Sabra und Schatila), als militärische Einheiten christlicher Milizen hunderte Kinder, Frauen und Männer töteten: „Israel betreibt die Endlösung der Palästina-Frage. (11) In der außenpolitischen Wochenzeitung „Horizont“ wurden 1982 nicht nur die Ereignisse in Beirut mit den rassistischen Nazi-Massakern von Lidice und Oradour gleichgesetzt, sondern es wurde behauptet, die Israelis führten dort einen „von langer Hand vorbereiteten Holocaust“ durch. (12) Die NVA-Zeitschrift „Volksarmee“ verglich 1982 das Vorgehen der israelischen Armee mit den Massenmorden der Nazis wie folgt: „Die am 6. Juni d. J. begonnene Aggression Israels gegen das palästinensische und libanesische Volk ist mit den Verbrechen deutscher Faschisten im Zweiten Weltkrieg und des US-Imperialismus in Vietnam zu vergleichen.“ (13)
Doch es blieb nicht bei der publizistischen Unterstützung der Feinde Israels, denn wie schon 1956, als in der SED Überlegungen angestellt wurden, ob bewaffnete Freiwillige nach Ungarn geschickt werden sollten, um den Sozialismus zu schützen, beschloss das SED-Politbüro am 7. Oktober 1969 die Vorbereitung eines Einsatzes von Freiwilligenverbänden gegen Israel. Der Anlass dafür war ein Schreiben des Generalsekretärs der KPdSU, L. Breschnew, vom Jahr 1969 an E. Honecker, E. Mielke, H. Hoffmann und W. Ulbricht, wo er die Notwendigkeit des Einsatzes von Verbänden von Freiwilligen als Flieger, Panzerführer und Kampfgruppen zur Unterstützung arabischer Truppen im Krieg gegen Israel forderte. (14) Wir wissen heute, dass es dazu nicht gekommen ist.
Ab 1967 lieferte die DDR Waffen und militärisches Know-how an Feinde Israels, wie z. B. an Ägypten und Syrien. (15) Ende 1973 wurden Waffen an Syrien geliefert, darunter befanden sich 12 Abfangjagdflugzeuge MiG-21, 62 mittlere Panzer vom Typ T-54 AM mit Munition, 300 Panzerbüchsen RPG- 7, 74.500 Granaten und 30.000 Panzerminen. (16) 1982 lieferte die DDR Waffen an die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). (17) Die Verbindungen der obersten politischen Führung der SED mit Yasser Arafat und den weiteren Kadern der PLO bestanden seit den 1960er Jahren und wurden kontinuierlich von Erich Honecker ab den 1970er Jahren ausgebaut und es wurden Vereinbarungen getroffen, die u. a. umfangreiche Waffenlieferungen zum Inhalt hatten. (18) Ab den 1970er Jahren war die Ideologie des antisemitischen Antizionismus in großen Teilen der Linken durchgesetzt und Israel wurde unisono mit dem Nazi-Faschismus und mit dem südafrikanischen Apartheidregime verglichen und gleichgesetzt. (19)
Im Februar 1990 bekannte sich die Regierung der DDR zur Verantwortung aller Deutschen für den Holocaust und H. Modrow, Vorsitzender des Staatsrats, erklärte die „Bereitschaft zur solidarischen materiellen Unterstützung ehemaliger Verfolgter des Naziregimes jüdischer Herkunft“. Im April 1990 erklärte die Volkskammer: „Wir bitten das Volk von Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Land“. Modrows persönliche Erklärung zu dieser Problematik ist äußerst aufschlussreich: „Dass wir überhaupt kein Verhältnis zu Israel hatten, reflektierte ich erst während meiner Amtszeit (als Staatsratsvorsitzender, H. W.). Für uns war das vorher nie ein Thema.“ (20)

(1) Goschler, Constantin: Paternalismus und Verweigerung, in Benz, Wolfgang: (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 2 (1993), S. 104.
(2) Goschler, S. 104, a. a. O.; Telegraf, 16.01.1953; Kurier vom 16.01.1953.
(3) Timm, Angelika: Hammer Zirkel Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997, S. 118ff; Hölscher, Christoph: NS-Verfolgte im „antifaschistischen Staat“. Vereinnahmung und Ausgrenzung in der ostdeutschen Wiedergutmachung, S. 162-182; Goschler, a.a.O., S. 103.
(4) Leo, Annette Leo, Annette: Die „Verschwörung der Weißen Kittel“. Antisemitismus in der Sowjetunion und in Osteuropa, in: Jan Foitzik/Werner Künzel/Annette Leo/Martina Weyrauch (Hg.): Das Jahr 1953. Ereignisse und Auswirkungen, Potsdam 2004, S. 21.
(5) Timm, a. a. O., S. 219; Wolffsohn, (1995), Wolffsohn, Michael: Die Deutschland Akte. Tatsachen und Legenden, München 1995, S. 202. Dort ist der Hinweis auf die Quelle: Albert Norden an Werner Lamberz, Genosse Ulbricht zur Kenntnis, SAPMO-BA DY 30 ZPA, NL 182/1339.
(6) A. Timm, a. a. O., S. 224.
(7) Siegler, Bernd: Auferstanden aus Ruinen ... Neofaschismus in der DDR. Berlin, 1991, S. 125.
(8) Siegler, a. a. O., S. 128.
(9) Ebd.
(10) Zit.: Michael Maier: Antisemitismus in den Medien der DDR. Stereotypen, Ideologie und die Täter von einst. Über Kontinuitäten im zweiten deutschen Staat, Humboldt-Universität Berlin, 2001 (unveröffentlicht).
(11) Siegler, a. a. O., S. 128.
(12) A. Timm, a. a. O., S. 284.
(13) A. Timm, a. a. O., S. 283 f.
(14) Neubert, Erhart: Politische Verbrechen in der DDR, in: Courtois, Stéphan et. al. (Hrsg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München Sonderausgabe 2004, S. 829-884., S. 838; A. Timm, a. a. O., S. 233f; Wolffsohn, a. a. O., S. 258.
(15) A. Timm, a. a. O., S. 210-217.
(16) Wolffsohn, a. a. O., S. 255.
(17) A. Timm, a. a. O., S. 279.
(18) Ebd.
(19) Vgl. Ullrich, Peter: Dem Volk nicht zugehörig, in: Jungle World Nr. 19, 8. Mai 2008.
(20) Waibel, Harry: Die braune Saat. Antisemitismus und Neonazismus in der DDR, Stuttgart 2017, S. 88; Der Tagesspiegel, 08.02.2000.