Editorial

Selbst in Zeiten wie diesen gibt es Lichtblicke: Am 9. Mai 2022 kam die Klimaaktivistin Ella endlich aus der Haft frei, nachdem sie fast eineinhalb Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Festgenommen worden war sie am 26. November 2020 bei der Räumung des Protestcamps im Dannenröder Wald unter dem Vorwurf, sie hätte eine abwehrende Beinbewegung in Richtung eines Polizeibeamten gemacht, als dieser sie in 15 Metern Höhe in Lebensgefahr brachte. Obwohl nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Beinbewegung den SEK-Beamten auch nur berührte, wurde Ella in zweiter Instanz zu 21 Monaten Haft verurteilt. Wir freuen uns riesig, dass Ella nun wieder frei ist und am 9. Mai von ihren Freund*innen und Unterstützer*innen begrüßt werden konnte.
Auch der antimilitaristische Aktivist Wilfried Porwol, dessen künstlerische Interventionen immer wieder Ziel staatlicher Verfolgung sind, konnte einen Erfolg verbuchen: Der Prozess vor dem Amtsgericht Kleve wegen Wilfrieds kreativer Umgestaltung des wehrmachtsverherrlichenden Kriegerdenkmals in Kalkar endete am 11. Mai mit einer Einstellung auf Staatskosten. Damit hat die Justiz zumindest in diesem Fall erkannt, dass entschiedenes Eintreten gegen Kriegspropaganda kein Verbrechen, sondern dringend notwendig ist!

Repression gegen Klimaaktivist*innen

Aber zugleich geht die Repression weiter: Beispielhaft dafür steht der Prozess gegen den Lebenslaute-Aktivisten Elu Iskenius, der zusammen mit hundert anderen Musiker*innen am 15. August 2021 mit einem Klassik-Konzert auf dem RWE-Gelände gegen die Klimazerstörung protestiert hatte. Das Amtsgericht Grevenbroich verurteilte ihn am 12. Mai wegen Hausfriedensbruchs zu 110 Tagessätzen, was einer Vorstrafe gleichkommt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn zuvor als „unbelehrbar“ bezeichnet. Und die GWR-Autorin und -Mitherausgeberin Cécile Lecomte, die 2017 bei einer Aktion gegen RWE Ziel brutaler ableistischer Polizeigewalt geworden war, ist nun absurderweise selbst wegen Körperverletzung angeklagt.
Dass exzessive Gewalt von den Polizeikräften aus-
geht und sogar mörderische Formen annehmen kann, zeigte sich jüngst wieder in Mannheim, wo am 2. Mai 2022 ein psychiatrisierter Mann bei einer Polizeikontrolle so massiv misshandelt wurde, dass er unmittelbar danach starb. Ein weiterer „Einzelfall“ in der Reihe hunderter „Einzelfälle“, in denen Menschen – oft People of Colour oder sozial Benachteiligte – in Festnahmesituationen oder im Polizeigewahrsam ums Leben kommen. Wie sehr das Klima in den Sicherheitsbehörden von menschenverachtendem Denken bestimmt ist, wird in den zahllosen rechten Netzwerken erkennbar, die in so kurzen Abständen enttarnt werden, dass wohl keine*r mehr so recht den Überblick behalten kann. Es ist zu befürchten, dass der jetzige Militarisierungsschub diese Tendenzen noch verstärkt.

Dem Klima des Krieges entgegentreten!

Der öffentliche Diskurs ist weiterhin von Kriegstreiberei und Säbelrasseln bestimmt, und antimilitaristische Positionen gehen zwischen all den Schlachtrufen unter. Wir brauchen ein ganz anderes Klima!
Und tatsächlich melden sich lautstarke Proteste aus verschiedenen sozialen Bewegungen zu Wort, die ihre jeweiligen Schwerpunkte mit der Kritik am Krieg in der Ukraine, allen Kriegen weltweit und der globalen Aufrüstung verbinden: Seien es antirassistische Gruppen, die Kriege als Fluchtursache thematisieren und gegen die Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus verschiedenen Ländern auf die Straße gehen, sei es die Klimagerechtigkeitsbewegung, die Rüstung und Krieg als zentrale Faktoren der Klimazerstörung begreift, seien es feministische Strukturen, die den patriarchalen Backlash und geschlechtsspezifische Kriegsfolgen im Blick haben. Diesen Perspektiven wollen wir in der Sommerausgabe Raum geben: Im Interview schildert das Roma Antidiscrimination Network die Situation von Rom*nja aus der Ukraine, die im Herkunftsland und auf der Flucht systematisch Diskriminierung erfahren. Anne S. Respondek schreibt über sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen und Vergewaltigung als Kriegsstrategie, und Elisabeth Voß skizziert eine feministische Perspektive auf den Ukraine-Krieg und die aktuelle Militarisierung. Mit „Do No Harm“ stellt Daniel Korth ein Konzept vor, das neue Ansatzpunkte für internationale Hilfsprojekte, aber auch für die Außenpolitik bietet. Auf die irakischen und türkischen Angriffe gegen die êzîdische Bevölkerung im Şengal, die im Windschatten des Ukraine-Kriegs kaum beachtet wurden, und die Verhaftung der Journalist*innen Marlene und Matej durch die irakischen Behörden geht Civaka Azad im Interview ein. Die beiden Reporter*innen sind inzwischen aus der Haft entlassen und am 20. Mai nach Europa abgeschoben worden.
Nicht nur andere Kriege geraten derzeit in Vergessenheit, sondern auch die drohende Klimakatastrophe. In einem zweiten Schwerpunkt haben wir deshalb Stimmen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung versammelt. Nach einem Bericht aus Lützerath schildert ein längerer Artikel die Klimakämpfe in Mexiko rund um die zapatistische Karawane für das Wasser und das Leben. Die notwendige Verkehrswende wird ebenso thematisiert wie das koloniale und fossile Rollback, und der Jubiläumsrückblick auf die Frühphase der Graswurzelrevolution widmet sich den antimilitaristischen Anti-Atom- und Umweltaktionen von „Green Peace“ im Jahr 1973.

Gemeinsam für ein ganz anderes Klima

Mit dieser GWR verabschieden wir uns in die jährliche Sommerpause: Die nächste Graswurzelrevolution erscheint erst im September. Bis dahin bietet euch die jetzige Ausgabe mit ihren vier Extraseiten hoffentlich genug Lesestoff.
Lasst uns die Sommermonate für Vernetzung auf den zahlreichen Aktionscamps nutzen, gemeinsam Perspektiven entwickeln und Proteste auf die Straße tragen – gegen Krieg und Militär, gegen kapitalistische Ausbeutung, Rassismus und Patriarchat, für eine gewaltlose und herrschaftsfreie Gesellschaft!

Silke für die GWR-Redaktion