transnationales / antimilitarismus

Kriegsdienstverweigerung in Jugoslawien

Die jugoslawische KDV-Bewegung steht an einem kritischen Punkt

| Andreas Speck

Im September entsandte die War Resisters' International eine Delegation nach Jugoslawien, um zwei Kriegsdienstverweigerer - Igor Seke und Goran Miladinovic - zu unterstützen, die zum Militärdienst einberufen worden waren. Beide wurden nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. WRI-Mitarbeiter und Ex-GWR-Redakteur Andreas Speck berichtet über die Delegation, und über die Situation von Kriegsdienstverweigerern in Jugoslawien. (Red.)

Jugoslawien ist eines der wenigen Länder in Europa, in dem Kriegsdienstverweigerung, in der eingeschränkten Form wie z.B. in der Bundesrepublik, d.h. verbunden mit der Pflicht, einen sogenannten zivilen Ersatzdienst zu leisten, praktisch nicht anerkannt ist, und dies, obwohl die jugoslawische Verfassung in Artikel 137 Absatz 2 das Recht auf Kriegsdienstverweigerung garantiert (1) . Dieses Recht wurde jedoch 1999 aus dem jugoslawischen Armeegesetz gestrichen (2) – in der Zeit der Mobilisierung für den Krieg um den Kosovo. Seitdem ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Jugoslawien faktisch abgeschafft – es bleibt lediglich ein unbewaffneter Dienst in der Armee!

Die “Fälle” Igor Seke und Goran Miladinovic

Igor Seke und Goran Miladinovic waren sich dieser verschlechterten Rechtslage nicht bewußt. In der allgemeinen Aufregung vor dem Krieg um den Kosovo wurde die faktische Abschaffung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung von niemandem bemerkt (3) – auch vom Verteidigungsministerium nicht, das noch im Juli 2002 in einem Gespräch mit Igor Seke die Möglichkeit eines Zivildienstes darstellte, und sogar von 31 Institutionen des Gesundheitswesen sprach, in denen Zivildienst abgeleistet werden könnte (4).

Und so stellten Igor und Goran im Juli 2002 einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, und auf Ableistung eines Zivildienstes, wie er in Artikel 297 des Armeegesetzes (von vor 1999) vorgesehen war. In beiden Fällen wurde der Antrag abgelehnt. Igor Sekes Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, das er 1993 hätte eingereicht werden müssen, als er zum ersten Mal wehrerfasst wurde (mit 17) – nur war das Armeegesetz damals noch gar nicht in Kraft (5). Der Ablehnungsbescheid, unterzeichnet von Colonel Savo Mrdja vom Militärdepartment des Distriktes Sremska Mitrovica, führt weiter aus, das “die Erklärung des Antragstellers, dass er unter keinen Umständen einen anderen Menschen töten könne, nicht klar ist; warum erklärt er das in seinem Brief, wo es doch eine allgemein und historisch bekannte Tatsache ist, dass während des Militärdienstes in der jugoslawischen Armee niemand irgend jemanden töten muss. (…) Es ist ausserdem bekannt, dass die jugoslawische Armee ihre Soldaten nicht darin trainiert, irgend jemanden anzugreifen, noch hat sie zu irgendeiner Zeit im Laufe der Geschichte jemals diese Absicht gehabt.” Der Ablehnungsbescheid führt auch aus, dass es keine Institutionen im Gesundheitswesen gäbe, die Zivildienstleistende akzeptieren würden |(6).

Goran Miladinovic’ Antrag wurde ebenfalls abgeleht. Im Unterschied zu Igor wurde Goran jedoch anerkannt, einen unbewaffneten Dienst in der jugoslawischen Armee zu leisten.

Und so wurden Igor Seke und Goran Miladinoviæ beide für Anfang September zum Militärdienst einberufen worden.

Die Delegation

Bereits im Vorfeld der Delegation wurde international Öffentlichkeitsarbeit gemacht, um Druck auf die jugoslawischen Behörden auszuüben. War Resisters’ International, amnesty international, und das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) arbeiteten hier gut zusammen, und mobilisierten für eine Brief/Fax-Kampagne an verschiedene jugoslawische Ministerien (7) – überaus erfolgreich, denn hunderte Faxe gingen binnen weniger Tage bei diesen Stellen ein.

Anfang September reisten dann zwei Personen als Delegation der WRI nach Belgrad, um Igor Seke zu seiner Kaserne nach Pljevlja in Montenegro, sowie Goran Miladinovic zu seiner militär-ökonomischen Einheit nach Niš in Zentralserbien zu begleiten. In Pljevlja ging Igor Seke am 4. September mittags zur Kaserne, begleitet vom Autor dieses Artikels, sowie von lokalen Aktivistinnen. An der Wache erklärte er erneut seine Kriegsdienstverweigerung, und erklärte, er würde die Uniform sowie das Tragen einer Waffe verweigern. Nach einiger Zeit erhielten wir von der Wache die Auskunft, er würde zum Rekrutierungsbüro in Ruma zurückgeschickt, müsste sich jedoch zuerst in der Kaserne eintragen. Daraufhin verschwand Igor Seke für einige Zeit in der Kaserne, wo er dann aufgefordert wurde, die Uniform anzuziehen, was er verweigerte.

Stunden später verlangten wir, die wir draussen warteten, erneut nach einem Gespräch mit dem Kommandeur der Kaserne, was – überraschenderweise – auch gewährt wurde. Igor Seke kam zu diesem Gespräch dazu. Das Gespräch mit Kommandeur Velimir Kevac, der von drei weiteren Offizieren begleitet wurde, dauerte mehr als eine Stunde, führte jedoch zu nichts. Zunächst erklärte Velimir Kevac, er wolle Igor Seke für die Zeitdauer eines neuen Antrages – etwa 60 Tage – ohne Waffen und ohne Uniform in der Kaserne behalten. Im Verlaufe des Gesprächs rückte er davon ab und bot an, dass Igor Seke einen unbewaffneten Dienst von 13 Monaten in der Kaserne leisten könne, ebenfalls ohne Uniform. Auf Nachfrage erklärte er, dass Igor Seke im Dienst sozusagen ‘Beobachter’ der Einheiten wäre. Er behauptete dann, dass Igor Seke ja ohne Uniform sei – also sei er zivil – und im Militärdienst; er würde von daher zivilen Militärdienst leisten. Er erklärte dann, dass es nach dem Armeegesetz kein Recht auf Zivildienst gäbe (was sich im Nachhinein als richtig herausstellte), und dass Igor inhaftiert wurde, wenn er seinen Dienst nicht ableisten würde.

Igor Seke blieb jedoch bei seiner Position, und verweigerte weiter die Annahme der Uniform. Nach einer Nacht in der Kaserne – unter extrem schlechten hygienischen Bedingungen – gab der Kommandeur dann am nächsten Tag den Befehl, dass Igor sich innerhalb von fünf Tagen bei seinem Rekrutierungsbüro in Ruma zu melden habe. Und so kehrten wir alle zusammen nach Belgrad zurück.

In Niš wurde Goran Miladinovic am 5. September von Torsten Froese, Mitglied der Totalverweigerer-Initiative Frankfurt, und einer lokalen Aktistin zur militär-ökonomischen Einheit begleitet. Da Goran jedoch erst am Abend zur Einheit ging, wiederholte sich hier das Spielchen – in leicht abgewandelter Form – am nächsten Morgen. Goran Miladinoviæ, der ja unbewaffneten Dienst in der Armee abzuleisten hat, wurde jedoch nicht zum Rekrutierungsbüro zurückgeschickt, sondern er wurde übers Wochenende nach Hause geschickt, und sollte sich bis zum Montag, 9. September, entscheiden, welche Art von Dienst er abzuleisten bereit wäre.

Ein unschönes Spiel begann. Zurückgekehrt nach Belgrad, kontaktierte das Rekrutierungsbüro Igor Seke, und forderte ihn auf, sich für normalen oder unbewaffneten Dienst zu entscheiden. Igor Seke wies diese Alternativen jedoch zurück. Am Montag, 9. September, hatte er dann ein langes Gespräch mit dem Militärdepartment in Sremska Mitrovica, wo ihm erneut erklärt wurde, dass die Möglichkeit eines Zivildienstes nicht existiert. Er erhielt einen Befehl, sich bis 10. September, 20 Uhr, bei der Militäreinheit in Batajnica in der Nähe von Belgrad zu melden. Dies tat er dann auch, und entsprechend unserer Informationen wurde er nach erneuter Weigerung, die Uniform anzunehmen, zum Militärpsychologen geschickt. Am 13. September wurde dann entschieden, dass Igor für ein Jahr zurückgestellt wird (8). Goran Miladinovic scheint sich der Macht des Militärs gebeugt zu haben und seinen unbewaffneten Dienst angetreten zu haben, um Gefängnis zu vermeiden (9). Mehr ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels nicht bekannt (10).

Chancen für KDV in Jugoslawien

Trotz des bisher ungewissen Ausgangs der Kriesdienstverweigerung von Igor Seke und Goran Miladinovic stehen die Chancen für die Anerkennung des Kriegsdienstverweigerung – mit den üblichen Einschränkungen eines Zivildienstes – in Jugoslawien nicht schlecht. Bei den derzeitigen Verhandlungen über eine neue Verfassung über einen Staatenbund Serbien und Montenegro ist Kriegsdienstverweigerung erneut verfassungsrechtlich verankert. Artikel 15, Paragraph 7 lautet: “Wehrpflichtigen ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung garantiert.” (11) Das ist eine kleine Verbesserung gegenüber der Formulierung in der derzeitigen Verfassung.

Wichtiger ist jedoch, dass es nicht nur von KDV- und Menschenrechtsgruppen im Land und international Druck gibt, sondern ebenfalls vom Europarat, in den Jugoslawien gerne aufgenommen werden möchte. Der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica hat eine Liste von Verpflichtungen unterzeichnet, die Jugoslawien erfüllen muss, um in den Europarat aufgenommen zu werden. Im Abschnitt iv – bezüglich Menschenrechte, heisst es unter Punkt e: “Anwendung der Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung und, innerhalb von drei Jahren, die Verabschiedung eines Gesetzes über einen Dienst alternativer Art.” (12) Natürlich ist das aus antimilitaristischer Sicht nicht genug – doch für die betroffenen Kriegsdienstverweigerer in Jugoslawien eröffnet das zumindest eine Möglichkeit, am Gefängnis vorbeizukommen, ohne zu viele Kompromisse zu machen.

Auch wenn natürlich bei solchen zwischenstaatlichen Organisationen grundsätzlich Skepsis angebracht ist, so sollte doch die Chance genutzt werden. Das Zeitfenster ist kurz – die parlamentarische Versammlung des Europarates wird während der Sitzung vom 23.-27. September 2002 über die Aufnahme Jugoslawiens diskutieren (13).

Menschenrechtsorganisationen – Amnesty International, Human Rights Watch, und andere – üben derzeit Druck auf den Europarat aus, und argumentieren, dass Jugoslawien noch nicht reif für eine Aufnahme sei. Überraschenderweise hat sich auf der Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarates am 10. September entsprechend geäussert (14). Sollte die Aufnahme Jugoslawiens verzögert werden, so würde sich das Zeitfenster, in dem Änderungen in Jugoslawien durchgesetzt werden können, weil Jugoslawien unter besonderer “Aufsicht” im Hinblick auf Menschenrechte steht, vergrössern – sollte Jugoslawien jedoch aufgenommen werden, schliesst sich das Zeitfenster.

Es ist daher derzeit besonders wichtig, die jugoslawischen KDV-Gruppen zu unterstützen. Eventuell ist Anfang Dezember eine erneute Delegation nach Jugoslawien erforderlich – mit hoffentlich grösserer Beteiligung. Oder eine Delegation ist schon früher – und viel schneller – erforderlich, sollten nämlich Igor Seke und Goran Miladinovic inhaftiert werden.

(1) http://www.vj.yu/ english/ en_odredbe/ index.htm. Artikel 137, Absatz 2 lautet: "(2) Einem Staatsbürger, der Kriegsdienstverweigerer aus religiösen oder anderen Gründen ist und den Militärdienst mit Waffen nicht ableisten will, soll erlaubt werden, in der jugoslawischen Armee ohne Waffen zu dienen, oder in einem Zivildienst, entsprechend einem Bundesgesetz."

(2) Artikel 297 des jugoslawischen Armeegesetzes wurde 1999 geändert. Die ursprüngliche Fassung lautete: "(1) Zivildienst wird in militär-ökonomischen, gesundheitlichen, allgemeinen Rettungsorganisationen, Organisationen für die Rehabilitierung von Behinderten, und anderen Organisationen und Institutionen allgemeinen Interesses abgeleistet." Im Frühjahr 1999 wurde dies geändert zu: "(1) Die Militärdienstzeit im Zivildienst wird in Einheiten und Institutionen der Armee oder des Bundesverteidigungsministeriums abgeleistet." (Offizielles Amtsblatt der Bundesrepublik Jugoslawien, Nr. 44/1999)

(3) Das Jugoslawische Anwaltskomitee für Menschenrechte veröffentlichte noch im Jahr 2001 die zweite Auflage eines Buches zum Thema Kriegsdienstverweigerung, das jedoch die Fassung von vor 1999 enthielt - ein peinlicher Fehler…

(4) Siehe http://prigovor.politicalemergency.com/ english_history.htm, ebenso ein Sprecher der jugoslawischen Armee in einer Pressekonferenz vom 23.10.2001, http://www.vj.yu/ english/ en_aktuelno/ press_konferencije/ konferencija6.htm

(5) Das Jugoslawische Armeegesetz trat am 6. November 1993 in Kraft - siehe http://www.vj.yu/english/en_odredbe/zakon.htm

(6) Conscription and Conscientious Objection Documentation Centre: REPORT Conscientious Objection in Yugoslavia - the cases of Igor Seke and Goran Miladinoviæ, Belgrad, 7. September 2002, http://www.wri-irg.org/ news/ 2002/ goranigor.htm

(7) Siehe z.B.: War Resisters' International: YUGOSLAVIA: Two conscientious objectors called up to perform military service, YU10813-12368-190802 19.08.02, http://wri-irg.org/ news/ htdocs/ 19082002a.html, amnesty international: UA 262/02: Conscientious Objectors/Fear of imprisonment as Prisoner of Conscience, 27. August 2002, auf deutsch unter http://www.eilpetitionen.de/ u02kn376.htm

(8) Email von COEmergency: Igor will be released soon, 13.09.2002

(9) SMS von Goran Miladinoviæ an den Autor, 12. September 2002

(10) Aktuelle Informationen (in englischer Sprache) gibt es auf der Website der WRI unter "co-alert" (http://wri-irg.org), oder unter http://prigovor.politicalemergency.com/ english1.htm

(11) Deutsche Übersetzung nach einer Veröffentlichung in Politika, Datum unbekannt.

(12) Siehe http://assembly.coe.int/ communication/ TemporaryDocs/ Liste%20d'engagments%20RFY_e.htm

(13) Siehe http://assembly.coe.int/, die Diskussion um die Aufnahme Jugoslawiens steht für den 24. September auf der Tagesordnung.

(14) "Assembly President's statement on the Federal Republic of Yugoslavia", Presseerklärung vom 10. September 2002

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