kommentar

Medien, Staat und Terror

Einige Anmerkungen zu repressiven Aspekten einstürzender Turmbauten

| Johannes von Hösel

“Diese so vollkommene Demokratie stellt selber ihren unvorstellbaren Feind her, den Terrorismus. Sie will nämlich lieber, dass man sie nach ihren Feinden und weniger nach ihren Ergebnissen beurteilt”

Guy Debord

Die beiden überregionalen und überszenischen anarchistischen Zeitungen hatten kürzlich noch gleichlautend mit “Gipfel der Staatsgewalt” getitelt (vgl. graswurzelrevolution Nr.261 und direkte aktion Nr.147). Gemeint war mit diesem Wortspiel die ungeheure Repression beim Gipfeltreffen der G8-Staaten im Juli in Genua. Dass das aber längst noch nicht der Gipfel war, wird sich vermutlich in den kommenden Wochen, wenn nicht Monaten oder Jahren zeigen. Die politischen Konsequenzen der Attentate auf die beiden Türme des World Trade Center und aufs Pentagon sind in vollem Gange und dennoch in ihren Ausmaßen nicht ansatzweise abzusehen. Ob die veränderte Skyline New Yorks und einige Tausend Tote die geopolitischen und militärischen Träume der USA wahrmachen werden, wie die junge Welt behauptet (jW, 22./23.09.2001), steht zu befürchten. Aber nicht nur in der Außenpolitik der USA wird geballte Staatsgewalt im Globalformat auf den Plan gerufen. In allen Staaten der westlichen Welt, für die die Attentate von New York ein Einheit stiftendes Ereignis ohne Gleichen wurden, werden repressive Politiken überdacht, neu formuliert und vor allem verschärft. Angesichts der Kanzler-Interpretation vom “Angriff auf die zivilisatorische Welt” redet in Deutschland niemand mehr vom Makedonien-Einsatz der Bundeswehr, Scharpings Karriere wurde am 11.September gerettet und die taz macht auf der Titelseite (22./23.09.2001) Vorschläge für eine neue deutsche Außenpolitik. Über die Kritik am geplanten Einwanderungsgesetz wird weniger geredet, nur die Rechten nutzen die Opfer von New York noch in der selben Woche, um für Verschärfungen zu plädieren. Innere Sicherheit wird nicht nur groß geschrieben wie schon lange, sondern auch noch fett und schnell.

Apropos Schreibweisen. Der 12. September war ein großer Tag für die Medien. Brennpunkte gab es nicht nur in Manhattans Süden und der ARD, sondern auf allen Sendern, die ihr Programm nicht aus Pietätsgründen kurzfristig eingestellt hatten: Die Omnipräsenz eines Ereignisses in den Medien, wie es sie seit dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr gegeben hat, wenn überhaupt schon ein mal. Die Zeit publiziert die erste Sonderausgabe ihrer Geschichte, die brennenden zwei Türme in allen Farben und Variationen des Einsturzes auf den Illustrierten der nächsten Woche. Schon weil Einheit so wenig Widerspruch und kein Zögern duldet, ist sie suspekt. Doch außer der Betroffenheit ist wenig Verlässliches. Vielleicht ist die Welt, wie in diesen Tagen dauernd gesagt wird, wirklich nicht mehr so, wie sie war (aber wann war sie das schon mal?!): Dass dem Irrsinn der Attentäter ein anderer von Seiten der USA auf dem Fuße folgen würde, erkennt die taz direkt, so auch Jungle World und junge Welt. Andere Zeitungen haben die Stars and Stripes nicht nur semiotisch dem Logo unterlegt (BILD, WamS), sondern inhaltlich jedem Artikel. Dass es für den Irrsinn keine ursächliche Erklärung gäbe, erklärt ausgerechnet ein Soziologe und das in der taz. Der Luhmann-Fan Peter Fuchs hält Terror für ein eigenes, autonomes Funktionssystem, “irritierbar, aber nicht intervenierbar” (taz, 18.09.2001). Keine Eingriffsmöglichkeit bescheinigt auch Hans Magnus Enzensberger der Situation, allerdings in der FAZ, und diagnostiziert die universale Charaktereigenschaft, die Terrorristen mit Warlords, BefreiungskämpferInnen, Guerilleros und Hitler teilen, nämlich den Drang zur “Selbstzerstörung” (FAZ, .18.09.2001). Dem systemtheoretischen und dem todestriebverliebten Abschied von der Suche nach Zusammenhängen wird aber in den selben Blättern auch entgegengehalten. So analysiert der Philosoph Giorgio Agamben in Anlehnung an Foucaults Regierungs-Theorem (vgl. Apoplex, Schlaganfall für Münster, anarchistisch, lokal, monatlich, linksradikal, Nr.76) Terror als Komplizen staatlicher Sicherheitspolitik: “Nichts ist daher notwendiger als eine Revision des Begriffs der Sicherheit als Leitgedanken staatlicher Politik” (FAZ, 20.09.2001). Und für Klaus Theweleit ist der Angriff auf die phallischen Gebäude “banal gesagt, ein Tritt in die Eier, der auch den Kopf trifft” (taz, 19.09.2001).

Der Kampf für die Rechte von MigrantInnen und antimilitaristische Positionen werden sich in Zukunft vor ungeahnte Legitimationsbedürftigkeiten gestellt sehen. Und sie werden ihre intellektuellen Verbündeten mehr denn je überall und nirgends suchen müssen. Die Regierungsberatung der taz ist dabei vermutlich noch die harmlosere Antipose. Dass eine Spur der Attentäter auch in studentische Milieus deutscher Großstädte führte, nutzt der RCDS im Einklang mit FAZ-Leserbriefschreibern dazu, die verfassten Studierendenschaften, insbesondere Linke ASten, unter Generalverdacht zu stellen. Sozialistische Gruppen hätten schließlich mit dem militanten Flügel des Islam einen Antiamerikanismus gemeinsam.

Ohne Tatbeweise und konkretes Ziel zieht die US-Armee derweil mit eingeschworener NATO-Unterstützung in den Krieg. Diesem werden – die USA rüsteten zum “Sturm” (WamS) – wie schon im zweiten Golfkrieg naturhafte Züge attestiert. Natur und archaische Denkmuster wie Rache und Vergeltung sind Opfern gesellschaftlicher Greueltaten in der Geschichte allerdings äußerst selten zu Hilfe geeilt. Und anderen auch nicht. Dass verschiedene Aktionen im Rahmen der Globalisierungskritik von einigen US-amerikanischen Nichtregierungsorganisationen abgesagt wurden, ist in Zeiten, in denen von Genua kaum mehr jemand etwas wissen will, bezüglich emanzipatorischer Politik sicherlich das falsche Signal.