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Pika-Don und Hibakusha

60 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki

| Jörg Siegert

"Ruhet in Frieden, wir werden die Fehler nicht wiederholen."
Inschrift im Sarkophag unter dem Atombogen, Friedensgedächtnispark, Hiroshima

"Die Möglichkeit unserer endgültigen Vernichtung ist, auch wenn diese niemals eintritt, die endgültige Vernichtung unserer Möglichkeiten."
Günther Anders

Hiroshima blieb bis zum 6. August 1945 von Bombardements weitgehend verschont.

Dann detonierte um 8 Uhr 15 und 43 Sekunden 580 bis 600 m über dem Shima-Krankenhaus die Uran 235-Bombe Little Boy mit einer Sprengkraft von 12,5 Kilotonnen TNT. Fünf Stunden Flug benötigte der B-29-45-MO-Bomber (Seriennummer 44-86292), den der Pilot Paul Tibbets Enola Gay nannte, vom 2.500 km südöstlich entfernten US-Stützpunkt auf der Insel Tinian, bis die Ladung in einer Flughöhe von 8.500 m ausgeklinkt wurde.

Am 9. August 1945, einen Tag nach der Kriegserklärung der im Pazifikkrieg bisher neutralen UdSSR an Japan, fiel Fat Man auf das Urakami-Tal in Nagasaki. Sprengkraft diesmal: 22 KT TNT; Material: Plutonium 239.

Konstruiert wurden die Atombomben im geheimen Manhattan Project unter Leitung von General Leslie Groves und J. Robert Oppenheimer in den Los Alamos National Laboratories, New Mexico, erstmals getestet unter dem Codenamen Trinity im nahen White Sands am 16. Juli 1945.

In Japan heißen sie offiziell Genshi Bakudan, umgangssprachlich aber Pika-Don (Lichtblitz, Erschütterung), offenbar von Augenzeugen in weiterer Entfernung in Bezug auf die sofort wahrnehmbaren Wirkungen geprägt, da atsu (Hitzeschlag) keinen Eingang fand.

Die Hitzestrahlung war im Hypozentrum (im Augenblick der Explosion mindestens 6.000°C) die eigentliche Todesursache. Die Hitze- und Druckwellen richteten verheerende Zerstörungen an; Betongebäude und Stahlgerüste wurden massiv demoliert. 90 % des besiedelten Gebietes waren niedergebrannt. Als fast einziges Gebäude blieb die Ausstellungshalle der Industrie- und Handelskammer der Präfektur Hiroshima stehen, wenn auch in den Grundmauern ausgebrannt: der heutige Atomdom.

Betroffen wurde, trotz der offiziellen Rhetorik von militärischen Zielen, in erster Linie die Zivilbevölkerung.

In Hiroshima lebten vorher ungefähr 350.000 bis 400.000 Menschen. 1955 veröffentlichte die Stadtverwaltung die Zahl von 260.000 Toten, sprach aber gleichzeitig von 163.293 Vermissten. 90 % des medizinischen Personals wurden getötet oder selbst schwer verletzt; die mangelhafte medizinische Behandlung verursachte weitere Todesfälle. In Nagasaki gab es mindestens 70.000 Tote – bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 270.000 Menschen. In beiden Städten starben die Meisten innerhalb der ersten vier Monate nach der Explosion, z.B. an den schweren Verbrennungen. Die Zahl der an den Spätfolgen Gestorbenen wird auf 350.000 in Hiroshima und 270.000 in Nagasaki beziffert. Die widersprüchlichen Daten rühren u.a. in der Zerstörung von Einwohnermeldeämtern. US-amerikanische Kriegsgefangene und koreanische Zwangsarbeiter wurden statistisch nicht erfasst.

Letztere, schätzungsweise 10 % der Bevölkerung in Hiroshima, vermutlich 20.000 bis 30.000 Tote in Hiroshima und Nagasaki, wurden, als Opfer zweiter Klasse marginalisiert und stigmatisiert, erst in den 1990ern offiziell anerkannt.

Zudem wurden die Krankheiten durch die radioaktive Sekundärstrahlung nur langfristig entdeckt. Sie äußerten sich in Symptomen wie allgemeinen Unwohlsein, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Durchfall, Fieber, Anämie (Blutarmut), Haarausfall, Mund- und Rachenbeschwerden, hämorrhagische Diathese (Blutungsübel) und Leukopenie (krankhafte Verminderung der weißen Blutkörperchen). Nach Jahren tauchten auch Fälle von Grauem Star, Leukämie, Schilddrüsen-, Brust- und Lungenkrebs auf. Nach dem Abklingen der akuten gesundheitlichen Schäden bildeten sich über den Wunden und Narben höckerartige Wucherungen, sog. Narbenkeloide.

Augenzeugen berichteten vom fall-out, dem schwarzen Regen, auf weißen Wänden unauslöschbar und großräumig den Boden verseuchend. Die Wirkungen von Radioaktivität waren nicht sichtbar und damals unbekannt.

Einen Anteil daran zeitigte auch die rigorose Zensur der US-Besatzungsbehörden bis 1952, die jede Kommunikation zwischen den betroffenen Städten systematisch verunmöglichte. Medizinische Unterlagen, Blut- und Gewebeproben wurden beschlagnahmt; die japanische Verwaltung durfte nicht die Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes in Anspruch nehmen. Japanischen Experten wurde der Zugang zu relevanten Daten verweigert. Dafür untersuchten US-amerikanische Wissenschaftler von den Oak Ridge-Labors in Tennessee, die die Hiroshima-Bombe entwickelten, die Hibakusha, die Atombombenüberlebenden, jedoch ohne sie medizinisch zu behandeln. Hiroshima und Nagasaki waren, zynisch gesprochen, Freilandversuche für die neue Waffenart.

Die Hibakusha wurden psychisch destabilisiert. Sie erfahren bis heute in ihrem Kampf um Rehabilitation soziale Diskriminierung und gesellschaftliche Ignoranz, die sich auch in einer mythologisierten offiziellen Geschichtsschreibung niederschlägt. In den USA werden die Atombomben seit Harry Truman als kriegsbeendend und „lebensrettend“ legitimiert. Japan hingegen nimmt trotz seiner Kriegsverbrechen in China und anderen südostasiatischen Ländern (z.B. Massaker von Nanking, Bataan, Manila) eindimensional die Opferperspektive ein. Die Atombombenabwürfe stellten eine Machtdemonstration an die Adresse Stalins dar und beschleunigten eher den Kalten Krieg als die Kapitulationserklärung Japans am 15.8.1945 durch den immun bleibenden Kaiser Shôwa Tennô Hirohito.

Für das latente Bedrohungsgefühl der traumatisierten Hibakusha besteht unvermindert Anlass, denn weltweit sind 30.000 Atomwaffen stationiert, wovon sich 7.000 in ständiger Alarmbereitschaft befinden. Die Atomwaffentests belasten immer noch die Atmosphäre; alte Waffensysteme werden modernisiert, neue forciert, z.B. für einen niedrigschwelligen Einsatz (sog. Mini-Nukes, Bunker Buster). Allein in den USA wurden im Haushaltsjahr 2004 6,4 Milliarden Dollar dafür ausgegeben. Die Enola Gay, noch vor ihrer Ausmusterung 1949 bei Tests im Pazifik verwendet, wird übrigens, dem historischen Kontext entfremdet als technischer Meilenstein gepriesen, im Nationalmuseum für Luft- und Raumfahrt in Washington, D.C., ausgestellt. Die Kampagne „… auf keinem Auge blind! atomwaffenfrei bis 2020“ kämpft dafür, dass man zukünftig auch die atomare Bedrohung nur aus Museen und Geschichtsbüchern kennen muss.

Termine

"Die Nacht der 100.000 Kerzen": Gemäß der Tradition in Hiroshima, an jedem 6. August auf Flüssen schwimmende Kerzen anzuzünden, ruft die Kampagne "Atomwaffen abschaffen - Bei uns anfangen" zu ähnlichen Aktionen ab dem 5. August 2005 zwischen 22.00 und 0.15 Uhr auf, u.a. an der Ponton-Brücke in der Colchester-Anlage in Wetzlar.

Gewaltfreie Aktion Wetzlar
c/o Martin Otto
Magdalenenhäuser Weg 31
35578 Wetzlar

Die DFG-VK Baden-Württemberg bietet eine Ausstellung mit 23 Plakaten á DIN A 2 inklusive Leitfaden mit Tipps und Materialhinweisen (Verkaufspreis: 25 Euro + 5 Euro Versand) z.B. für Mahnwachen an.

Bestelladresse:
PAZIFIX-Materialvertrieb der DFG-VK Baden-Württemberg
Alberichstr. 9
75185 Karlsruhe
Tel.: 0721-552270
Fax: 0721-558622
pazifix@dfg-vk.de

25.09.2005, 10.00 - 16.30 Uhr im Forum 3 - Jugend- und Kulturzentrum in Stuttgart: 60. Jahrestag - Hiroshima mahnt: Atomwaffenfrei bis 2020! Begegnung zwischen AtomwaffengegnerInnen der älteren und jüngeren Generation

Das Engagement gegen Atomwaffen soll ganz im Mittelpunkt der diesjährigen Landestagung des Internationalen Versöhnungsbundes Baden-Württemberg stehen.

Dr. Wolfgang Sternstein, Mitglied des Versöhnungsbundes und des Lebenshauses, engagiert sich seit Jahrzehnten für Gewaltfreiheit. Ein Schwerpunkt seines Engagements gilt der Abschaffung der Atomwaffen. Er hat an zahlreichen gewaltlosen Aktionen teilgenommen, stand deswegen ein Dutzend Mal vor Gericht und war achtmal im Gefängnis (der nächste

Gefängnisaufenthalt steht bevor). Wolfgang Sternstein liest aus seiner Autobiografie ("Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit", siehe Rezension in GWR 300 und www.lebenshaus-alb.de/ mt/ archives/ 002769.html ) und zeigt den Film "Auf den Spuren Gandhis".

Csilla Morvai und Raphael Rosenhagen, TeilnehmerInnen der Aktionsreise nach New York, werden über ihre Erfahrungen bei der Atomwaffensperrkonferenz und ihre Aktivitäten berichten. Information und Diskussion über die aktuelle Atomwaffenproblematik wird ebenfalls auf dem Programm stehen.

Veranstalter: Internationaler Versöhnungsbund - Landesgruppe Baden-Württemberg. Die Veranstaltung wird bisher unterstützt von: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Baden-Württemberg; Friedenswerkstatt Mutlangen; Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen; Lebenshaus Schwäbische Alb; Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden, GWR-Red.

Infos bei:
Internationaler Versöhnungsbund - Landesgruppe Baden-Württemberg
Postfach 1145
72497 Gamemrtingen
Tel. 07574-2862
info@lebenshaus-alb.de
www.lebenshaus-alb.de

Das ausführliche Programm findet sich unter www.lebenshaus-alb.de/ mt/ archives/ aktionen/003020.html

Weitere Infos

www.friedenskooperative.de/termine.htm
www.atomwaffenA-Z.info
www.atomwaffenfrei.de
www.ippnw.de
www.uranwaffenkonferenz.de

Literatur

Anders, Günther: Hiroshima ist überall. 1982: C.H. Beck, München.

Bald, Detlef: Hiroshima, 6. August 1945 - Die nukleare Bedrohung. 1999: dtv, München.

Coulmas, Florian: Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte. 2005: C.H. Beck, München.

Jungk, Robert: Strahlen aus der Asche. Geschichte einer Wiedergeburt. 1964: Rowohlt, Reinbek bei Hamburg.

Tashiro, Elke und Jannes K. Tashiro: Hiroshima. Menschen nach dem Atomkrieg. Zeugnisse, Berichte, Folgerungen. 1982: dtv, München.