memorial

Freund, Genosse, Friedensstreiter, Meister

Eine Erinnerung an Johannes Sternstein geboren am 20. August 1966 - gestorben am 11. März 2018

| Hannes Kuefer

Es war ein schönes, blaues Plakat mit der Aufschrift "Arroganz der Macht" neben dem CDU Logo. Plakatiert wurde es des Nachts in Stuttgart. Es war im OB-Wahlkampf 1982, der CDU-Kandidat Manfred Rommel ("Em Wüstafuchs sein Kloiner") galt als eher liberal und tolerant. Er hatte die Stammheimer Toten der RAF von 1977 auf einem Stuttgarter Friedhof beerdigen lassen, während die Bevölkerungsmehrheit diese eher in einer Jauchegrube versenkt sehen wollte. Seine Plakatkampagne propagierte "Toleranz aus Stärke". Das hat uns junge Anarchist*innen aus der Graswurzelrevolution Stuttgart - Gewaltfreie Stuttgarter Gruppe GSG1 damals provoziert und wir wollten das so nicht stehen lassen. Unser Drucker Johannes hat also unseren Gegenentwurf prima umgesetzt. Mit dem Erfolg, dass wir wirklich stadtweit plakatiert haben und präsent waren ...

Johannes habe ich kennengelernt, als er 15 Jahre alt war. Er hatte schon damals lange Haare und trug in der Regel eine Latzhose aus Cordsamt in dunklem Blau oder Schwarz.

Reifer wirkte er und vor allem war er ziemlich reflektiert. Bald freundeten wir uns an, er zeigte mir seine Töpferarbeiten, einen kleinen Krug von ihm hatte ich über mehrere Umzüge hinweg in meinen Küchen, mittlerweile allerdings ist er zerschlagen. Das Töpfern hatte er sich selbst beigebracht, eine kleine Töpferei zuhause in seinem Zimmer eingerichtet und einen Brennofen in der Garage. Bald allerdings wandte sich sein Interesse dem Drucken zu.

Aus der Friedensbewegung heraus entstand 1981 die GWR Stuttgart – GSG 1, getragen von unterschiedlichen Menschen. Die erste Aktion war ein Schweigekreis, ein Protestkreis auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Mit initiiert hatte diese Aktion der Friedens- und Konfliktforscher Wolfgang Sternstein, der Vater von Johannes.

Mit vielleicht 20 Leuten startete diese Aktion und wuchs rasend schnell an. Johannes in seiner ruhigen Präsenz mittendrin. Die letzten Schweige- und Protestkreise umfassten locker 150 Personen, was die Auswirkung hatte, dass der Durchgang der einkaufslustigen Passant*innen schon gestört wurde.

Zur Vorbereitung der gewaltlosen Blockade in Großengstingen bildeten sich bundesweit sogenannte Bezugsgruppen. Immer ungefähr 15 Leute waren Mitglied, trainierten die Aktionen und bildeten eine ziemlich gute libertäre Gemeinschaft. Johannes war Mitglied in der BG Morgendämmerung. Er war unser Techniker, später Layouter und Drucker unserer Printmedien. Er war aber auch ein ruhender Pol und auch Aktivist, Anreger von Aktionen, die dann gut vorbereitet wurden.

Diese gewaltfreie Blockade-Aktion fand bei Großengstingen auf der Schwäbischen Alb statt. Vom 1. bis 8. August 1982 wurde unter dem Motto “Schwerter zu Pflugscharen” eine Woche lang das dortige Atomwaffenlager blockiert. Blockiert wurde das “Sondermunitionslager Golf”, in dem sich damals sechs Atomsprengköpfe für Lance-Kurzstreckenraketen, jeder Atomsprengkopf mit der doppelten Sprengkraft der Hiroshima-Bombe befanden.

Rund 750 Menschen beteiligten sich an dieser gewaltlosen Sitzblockade, darunter auch wir von der Morgendämmerung. Es gab noch zwei, drei weitere Stuttgarter Bezugsgruppen. Mehrere hundert Blockierende wurden von der Polizei und von Feldjägern weggetragen. Fast alle bekamen Strafbefehle, jahrelang folgten Gerichtsprozesse. Auch Johannes und wir anderen von der Bezugsgruppe Morgendämmerung waren davon betroffen. Ich meine mich zu erinnern, dass wir zu geringen Sozialdienststrafen verurteilt wurden. Johannes war einer der jüngeren Angeklagten, argumentierte vor dem Richter aber recht geschliffen und verband seine in seinem Gewissen verbundene Aktion mit politischen Argumenten gegen die Aufrüstung.

Half aber nichts, er wurde wie wir alle verurteilt. Später, mit 18 Jahren wurde er Kriegsdienstverweigerer und verweigerte total. Wie es gelang, dass er dafür nicht ins Gefängnis wanderte, ist mir entfallen. Vermutlich wegen seines familiären Hintergrundes.

Zum Glück für unsere GWR- Gruppe, so konnte Johannes weiter bei Aktionen mitmachen. Einige sollen kurz aufgezählt werden. Es ging immer um direkte gewaltlose Aktionen, bspw. eine Besetzung des Wirtschaftsministerium Ba-Wü als Aktion gegen das AKW Neckarwestheim; Aktionen in Wackersdorf und im Wendland, Aktionen gegen das EUCOM in Stuttgart … – Jo immer mittendrin.

Unsere Gruppe veröffentlichte auch eine kleine unregelmäßig erscheinende Schrift, den “Schwarzen Drachen – Blätter der Graswurzelrevolution Stuttgart”. Johannes fuchste sich in die Technik und Bedienung einer alten Druckmaschine ein, die Blätter wurden nämlich nicht einfach abgezogen sondern dann gedruckt. Wie immer verstand er die Technik und Anwendung ziemlich schnell und wurde ein echter Meister. Damit war auch sein Beruf begründet: er wurde grafischer Gestalter, Typograf und darin ein Künstler.

Mit Maren, die auch in der Morgendämmerung war und seine Lebensgefährtin wurde- beide haben auch einen Sohn Jakob, betrieb er schließlich ein Grafisches Atelier. Er gestaltete Bücher, Kunstbände und Ausstellungskataloge.

In der Freizeit fotografierte er, Menschen, Industriebauten, Stadtbilder – meisterliche Schwarz-Weiß-Fotos entstanden so. Auch in seiner Meisterschaft war er bescheiden, ein guter Zuhörer der eher zurückhaltend war, aber mit gut begründeten Meinungen.

Seine Meinung bildete sich im Gespräch, na gut – er hatte sicher auch immer wieder in der Schule aufgepasst und einiges gelesen. Unsere Bezugsgruppe Morgendämmerung traf sich aber regelmäßig auch zu “Theoriearbeit”. Wir lasen und diskutierten Klassiker: Landauer, Bakunin, …

Ich erinnere ein Treffen bei mir zuhause, wir wollten uns zu Che Guevara eine Meinung bilden. Dazu hörten wir Lieder über Che und lasen Texte von ihm und beschäftigten uns mit seiner Biografie. Wir fanden Che in seiner revolutionären Energie gut, als Theoretiker eher mäßig, seine Revolutionspolitik kritisierten wir als machistisch, militaristisch und wir kritisierten die Diktatur in Kuba, auch wenn wir mit dem Land eine gewisse Solidarität verbanden.

Auch später kritisierten wir durchaus solidarisch die Revolution in Nicaragua, die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, der Homosexuellen und der Kriegsdienstverweigerer.

Das männliche Mackertum ging Johannes schwer auf den Keks. Da war er von seinem Habitus, seinem Selbstverständnis, seinem Auftreten her ein gutes Gegenmodell. Sanftmütig, aber klar und bestimmt. Nun ist er “geborgen wie im Sturm eine Feder”. Ruhe sanft, mein lieber Freund und Genosse.

Hannes Kuefer