Die Bakuninhütte bei Meiningen

Forschung und Geschichte

| Christopher Hölzel

Die Bakuninhütte – in anarchistischen­ Kreisen ein klangvoller Name. Aber ist es möglich, ausgehend von der Hütte ein eman-zipatorisch, anarchistisches Wissenschaftsprojekt zu starten? Die Arbeitsgruppe (AG) Geschichte der Bakuninhütte will das versuchen.

Die Hütte und die Menschen, die sie geprägt haben, sollen mit anarchistischen und wissenschaftlichen Ansätzen erforscht werden. Zu beantwortende Fragen sind unter anderem: Wie können die bereits vorhandenen Quellen erweitert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Wie kann und sollte ein anarchistisches Forschungsprojekt aussehen und wie können diese Aufgaben umgesetzt werden? An dieser Stelle sei betont, dass die AG Geschichte keineswegs eine geschlossene Gruppe für Menschen mit Wissenschaftshintergrund ist. Initiative und Mitarbeit sind stets willkommen! Die Forschungswochen werden mit Bau- und Kennenlernwochen zusammen veranstaltet, da auf der Bakuninhütte nicht nur die Geschichte erforscht wird, sondern auch das Haus und das Grundstück renoviert werden muss.

2019 ist viel passiert: Der Trägerverein der Bakuninhütte bekommt im Beisein des thüringischen Innenministers (!) einen Preis für zivilgesellschaftliches Engagement überreicht, der Ministerpräsident Bodo Ramelow stattet der Hütte einen Besuch ab und im Rahmen eines Seminars über „Projektmanagement“ machen sich Studierende der Fachhochschule Fulda Gedanken über die „Corparate Identity“. Im „Meininger Tageblatt“ erscheinen mehrere, zum Teil ganzseitige Artikel und zu guter Letzt bekommt der Trägerverein den Förderpreis der Erich-Mühsam-Gesellschaft verliehen. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der „Schlagzeilen“.

Sicherlich die wichtigste und bedeutendste Nachricht war die offizielle Eintragung als Kulturdenkmal 2015. Damit ist die Bakuninhütte das deutschlandweit einzige staatlich anerkannte Kulturdenkmal der anarcho-syndikalistsichen Bewegung.

Ein Rückblick

Ausschlaggebend für die Denkmalwerdung war unter anderem, dass ein Gedenkstein zum 50. Todestag des russischen Anarchisten Michael Bakunin auf dem Gelände gefunden wurde. Bei der Gründungsfeier der Hütte 1926 wurde ein Foto gemacht, dass diesen Gedenkstein zeigt. Der Stein hat die NS-Zeit und die DDR mit der Beschriftung nach unten versteckt überlebt und wurde Anfang der 1990er Jahre wieder entdeckt.

Die Geschichte der Hütte kann durchaus als ein Spiegelbild der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden (siehe Timeline). Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Grundstück zur genossenschaftlich, landwirtschaftlichen Versorgung gekauft. In mehreren Ausbaustufen haben Genoss*innen der Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) und sympathisierende Menschen aus Meiningen die Hütte ab 1926 errichtet. 1933 enteigneten die Nazis das Gebäude mit zugehörigen Grundstück. In der Nachkriegszeit diente es als Ferienlager der Freien Deutschen Jugend („Touristenstation August Bebel“), später als eine Station des Kulturbundes der DDR („Karl Kneschke Haus“) und anschließend als Übungsgelände der Bereitschaftspolizei.

Es gibt eine schöne Anekdote aus der Wendezeit, als die Bakuninhütte von Genoss*innen wieder entdeckt wurde. Aufgrund von Postkarten (Foto 3), die Erich Mühsam seiner Frau Zenzl im Februar 1930 schrieb, war die ungefähre Lage bekannt. Obwohl zu DDR-Zeiten ganz systemkonform unbenannt, hat sich in der Bevölkerung von Meiningen der ursprüngliche Name gehalten. Aufgrund der sehr weichen Aussprache heißt sie in der lokalen Mundart noch heute „Paganinihütte“.

Nach langen Anstrengungen konnte der jetzige Trägerverein die Bakuninhütte und das dazugehörige Grundstück erwerben. Erstmals seit der Enteignung 1933 fand wieder eine Benutzung im Sinne der Erbauer*innen statt und der umfassende Prozess der Wiedernutzbarmachung und Erforschung konnte beginnen.

Dabei wurden dem Trägerverein von behördlichen Seite einige Steine in den Weg gelegt. Nach rechtlichen Auseinandersetzungen bis hin zum Betretungsverbot, normalisierte sich die Situation 2015, als die Hütte Kulturdenkmal wurde. Ein Zeichen für ein beginnendes Umdenken in der Denkmalpflege war der im Jahr 2013 stattfindende bundesweite „Tag des offenen Denkmals“ unter dem Motto „Unbequeme Denkmale“. Materielle Hinterlassenschaften, die Leerstellen in der Geschichtsschreibung dokumentieren und die Geschichte der Unterdrückten architektonisch darstellen, finden nun auch Beachtung durch den Denkmalschutz. Wurden sonst nur (im baulich-architektonischen Sinne) „schöne“ Denkmäler anerkannt, waren nun „hässliche“ Zeugnisse der Vergangenheit, wie Industrieruinen, Arbeiterkasernen oder Orte wie die Bakuninhütte Gegenstand denkmalpolitischer Debatten.

Aufgrund der Lage außerhalb geschlossener Ortschaften bringt der Denkmalstatus nicht nur eine kulturelle Anerkennung, sondern ebenso einen besseren baurechtlichen Status, ohne den erforderliche Arbeiten und die gewünschte Nutzung vermutlich nie zugelassen würden.

Die Geschichte neu entdecken

Wie können also, lediglich ausgehend von der Notiz auf einer Postkarte Geschichte und Geschichten ausgegraben werden? Man kommt mit den Meininger*innen zusammen und befragt sie. Kennt wer wen? Welche Erinnerungen haben sie an die Hütte? Gibt es vielleicht noch ein Foto davon?

Auf diese Art und Weise konnten einige Biografien ausfindig gemacht werden. Personen, die als Kinder in den 1920er Jahren auf der Hütten waren, teilten ihre wertvollen Erlebnisse. Genauso wichtig und umso überraschender in Anbetracht der wechselvollen Geschichte ist, dass Teile des damaligen Vereinsarchivs Nationalsozialmus und DDR überlebt haben. Maßgeblich dafür verantwortlich waren der Meininger Schlosser Franz Dressel und der Berliner Buchbinder Fritz Scherer (Foto 4). Letzterer hatte einen Winter auf der Hütte als Hüttenwart verbracht und zusammen mit Dressel das Gästebuch und die Bibliothek retten können. Vor allem das Gästebuch ist eine unglaublich wichtige Quelle, da sich die Besucher*innen selbst verewigt haben und sich so herausfinden lässt, welche politische und soziale Bedeutung die Hütte damals hatte. Die Eintragungen wurden oftmals mit Datum, Wohnort und Sinnsprüchen versehen.

Das Gästebuch der Hütte war Gegenstand einer Bachelor-Arbeit und ist online einsehbar. Im Rahmen dieser Auswertung wurde eine Sache klar: Die Hütte war kein elitäres (Szene-)Projekt von einzelnen Anarcho-Syndikalist*innen. Von Anfang an war der Ort für die Menschen aus der Umgebung ein beliebtes Ausflugsziel. Die Genoss*innen hatten daher ein gewisses „Standing“ und Rückhalt, der letztendlich die Hütte vor der Zerstörung bewahrte. Nach der Enteignung durch die Nazis war es eine Müllerfamilie aus dem Nachbardorf, die der SS die Hütte abkaufte und nach den Plänen der FAUD fertigstellte. Die Einbindung der Bevölkerung sowie die Etablierung als Ausflugs- und Wanderziel stehen daher in einer langen Tradition, ohne die die Hütte nie in dieser Form hätte erhalten bleiben können.

Bakuninhütte und Lokalgeschichte

Daher wollen wir den Versuch wagen, von der Bakuninhütte ausgehend eine kritische Heimatforschung zu etablieren. Es gibt eine tiefe Verbindung in die Lokalgeschichte. Viele Menschen aus Meiningen und Umgebung haben Erinnerungen an diesen landschaftlich so schön gelegenen Ort. Das nächste Treffen der AG Geschichte soll auch dazu genutzt werden, Konzepte gemeinsam zu erarbeiten und z.B. mit den Heimatvereinen aus der Umgebung intensiver in Kontakt treten. Auch hier gilt: Wer Interesse hat, an solch einem Projekt mitzuarbeiten, möge sich bitte melden!

Das einmalige Gefühl, sich in den gleichen Räumlichkeiten wie Erich Mühsam aufzuhalten und das Wissen darum, mit welchem Aufwand die Hütte in den 1920ern von den Genoss*innen erbaut wurde, ist einfach überwältigend. Die Erbauer*innen haben viel Herzblut in die Gestaltung gesteckt: Blumenbeete, Wege, Bänke, Schaukeln, ein Kettenkarussell, aber auch Gedenksteine, u.a. in Erinnerung an Sacco und Vanzetti errichtet. Der historische Hüttenspruch wurde 1928 von Max Baewert (Foto 5) entworfen und an der Hütte angebracht.

Der Hüttenspruch

Freies Land und freie Hütte / Freier Geist und freies Wort / Freie Menschen, freie Sitte / Zieht mich stets zu diesem Ort.

Ein Beispiel für mögliche Forschungen sei an dieser Stelle noch kurz erwähnt. Aus den verschiedenen Nutzungsphasen sind einige Schutthügel entstanden. Bei einem dieser Hügel lagen Bruchstücke an der Oberfläche, die große Ähnlichkeiten mit der historischen Hüttenspruchplatte aufwiesen. Und es passierte schier Unglaubliches. Einige Fragmente des Originals wurden gefunden! So war es möglich, aus den Trümmern der nationalsozialistischen Zerstörungswut die originale Hüttenspruchplatte teilweise zu rekonstruieren!

Die Renovierung, Forschung und das Vereinsleben funktionieren natürlich nur mit aktiver Beteiligung von vielen solidarischen Menschen. Mindestens zwei Mal im Jahr gibt es offene Treffen, Forschungs- und Bauwochen. Auf der Homepage bakuninhuette.de findet ihr regelmäßig Informationen zu den Aktivitäten und Updates zu den Terminen. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit Holz zu hacken und am Lagerfeuer Lieder zu singen!

Kontakt unter geschichtederbakuninhuette@posteo.de

Christopher Hölzel

Timeline

ab 1920

Pacht und Erwerb des Grundstücks auf der „Hohen Maas“ durch Meininger Anarchist*innen und Anarchosyndikalist*innen.

ab 1926

Bau der Bakunin-Schutzhütte (Erdgamme)

ab 1927

1. Um- und Erweiterungsbau

1932

2. Um- und Erweiterungsbau

ab 1933

Enteignung des Trägervereins „Siedlungsverein für Gegenseitige Hilfe“ e.V.

1947

Übernahme der Hütte durch die SED Meiningen („August-Bebel-Schutzhütte“)

1964

Lehr- und Forschungsstation für Natur und Heimatpflege („Karl Kneschke-Haus“)

1970

Übungsgelände der Bereitschaftspolizei Meiningen

2005

Rückgewinnung (durch Kauf) der Bakuninhütte, ein Jahr später Gründung des „Wanderverein Bakuninhütte e.V.“ als Trägerverein

Termine: Ausstellung in Erfurt von 04.10.2020 bis 31.01.2021 im Haus der Naturfreunde. Siehe: bakuninhuette.de