Interview

„Theooo, wir war‘n in Hamm“

Fotografieren gegen Rechts

Bernd Drücke im Gespräch mit dem Fotografen Theo Heimann

| Theo Heimann, Bernd Drücke (Interview)

Die Fotos von Theo Heimann dokumentieren Zeitgeschichte aus einer anderen Perspektive. Seit den 1980er Jahren begleitet der Fotograf und Anti-Atom-Aktivist Demonstrationen der sozialen Bewegungen. Die Fotografien des 62-Jährigen sind nicht nur in der Antifa-, Anti-Atom- und Klimagerechtigkeitsbewegung bekannt. Theo Heimann hat als Fotograf für taz und GWR auch die „Querdenken“-Aufmärsche in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen dokumentiert. Mit dem telefonisch aus Berlin zugeschalteten Szenefotografen sprach im Studio des medienforum münster GWR-Redakteur Bernd Drücke. Die Radio Graswurzelrevolution-Sendung wurde im September 2020 im Bürgerfunk auf Antenne Münster ausgestrahlt und ist online auf nrwision dokumentiert (1). Wir veröffentlichen eine Kurzfassung. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution: Theo, du bist seit Jahrzehnten einer der profiliertesten Fotografen aus den Sozialen Bewegungen. Wie bist du aufgewachsen? Wie ist dein Leben verlaufen?

Theo Heimann: Ich bin im katholischen Münsterland auf dem Dorf aufgewachsen. Da gab es für Jugendliche nicht viel an Abwechslung zu der Zeit. Nach der Schule habe ich eine Betriebsschlosser-Ausbildung bei der Ruhrkohle AG im Ruhrgebiet gemacht, in Werne an der Lippe. Das hat mir nicht gepasst. Nach der Ausbildung habe ich da kurz gearbeitet, dann bin ich nach Freiburg gezogen, wo ich 1979 eine Therapie angefangen habe. Als Alternative zu den Drogengeschichten habe ich angefangen zu fotografieren. Dabei habe ich festgestellt, dass Fotografie das beste Medium ist, mit dem ich mich ausdrücken kann. Das wollte ich erstmal als Hobby weitermachen.

Ich habe mich mit Sozialpädagogik beschäftigt. Als Ex-User von Drogen wollte ich in einem Drogentherapiezentrum arbeiten, oder als Streetworker. Das habe ich dann in Hamm gemacht. Zwischendurch habe ich mir Fachhochschulen für Sozialpädagogik in Münster und Dortmund angeguckt. Da ging es aber nur um Theorie, das hatte für mich nichts mit der Praxis zu tun. Das habe ich wieder geschmissen. Man musste immer mit Strafersatztherapie arbeiten. Und hatte man jemanden gefunden, der meinte, er könne versuchen, nun doch ohne Drogen zu leben, sich auf eine Therapie einzulassen, aber vorher schon Probleme mit der Polizei hatte, dann lief das immer wieder darauf hinaus, dass irgendetwas passierte, so dass sie erst einmal aus der Therapie raus und ihre Strafe absitzen mussten, weil sie stark drogenabhängig waren und deshalb Beschaffungsdelikte begangen hatten. Diese Drogen kosteten viel Geld. Ich habe in diesem Therapiezentrum und auf der Straße die Hardcorejunkies getroffen, denen das oft auch einfach egal war. Dabei kam ich mir wie ein Hilfspolizist vor. Da hatte ich keine Lust mehr drauf.

Anfang der 1980er Jahre habe ich viel fotografiert und überlegt, das beruflich zu machen. Ich hatte Glück, weil ich Professor Pan Walther zufällig beim Trampen getroffen habe. Er hat die Fachhochschule für visuelle Kommunikation in Dortmund aufgebaut und betrieb ein Fotostudio in Münster. Ich bin damals durchs Ruhrgebiet getrampt und habe überall fotografiert, die Industrielandschaften, mit den kaputten Häusern, mit den Kindern, den türkischen oder anderen ausländischen Kindern, die davor saßen, von Werne über Hamm bis Duisburg. Am liebsten habe ich Kontraste fotografiert.

Meine Fotografen-Vorbilder sind für das 20. Jahrhundert Walker Evans, Dorothea Lang und August Sander. Nach 1945 waren das Robert Frank, W. Eugene Smith, Cartier Bresson und Eillit Erwitt bis heute. Im 21. Jahrhundert: Pan Walther und Sebastiao Salgado. Ich bin eher ein Sozialdokumentarischer Fotograf. Ende der 1980er bin ich nach Berlin gezogen, auch weil mich der Osten, die Mauerstadt, interessierte. Dort habe ich dann vom Mauerfall 1989 an den „wilden Osten“ fotografiert. Von Berlin über Bulgarien, Russland, Ungarn, Polen, im Jugoslawienkrieg 1992-1999 war ich als Mitarbeiter und Fotograf von Cap Anamur in Flüchtlingslagern in Bosnien und im Kosovo, von 2000 bis 2013 Nachrichtenfotograf bei DDP und DAPD, seit 2013 bin ich wieder Sozialdokumentarfotograf in Berlin.

GWR: Wir haben uns 1988 kennengelernt, waren im Umweltzentrum (UWZ) Münster zusammen in der damaligen „Hamm-Gruppe“, die sich vor allem auch gegen den Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm-Uentrop engagiert hat. Du hast damals Fotos gemacht, auch für den Atomkraft Nein-Taschenkalender, den ich ab Anfang 1989 im UWZ produziert habe. Damals warst du aktiv auch in der Antifa-Szene. Wann und wie bist du dazu gekommen? Was hat dich politisiert? Welche Ideen haben dich beeinflusst?

Theo: Wie gesagt, 1979 war ich in diesem Therapiezentrum in Freiburg, da wurde über vieles gesprochen. Die Therapien liefen so ab, dass man Gruppengespräche führte, die Leute ausreden ließ, sich stritt, aber dass man auch, wenn es um bestimmte Sachen ging, einen Konsens fand. Wir hatten da Zeitungen, u.a. die neu gegründete taz, da habe ich drin herumgeblättert. Anfangs ging es viel um besetzte Häuser in Berlin und anderswo, aber auch um Umweltpolitik. Daraufhin habe ich mich stärker mit Umwelt- und Atompolitik beschäftigt.

Ich bin umgezogen von Freiburg nach Hamm. Dort sollte ein Atomkraftwerk gebaut werden. Es gab dort eine Umweltgruppe, da bin ich hingegangen, um das alles kennen zu lernen. Das war Ende 1980. Im Januar 1981 gab es die große Demo in Brokdorf. Ich hatte mich bei einer der Gruppen für die Busfahrt nach Brokdorf angemeldet. Die Hammer wollten mich aber nicht in den Bus lassen. Ich sähe zu gefährlich aus. Ich hatte Kamera und Helm dabei, alles Mögliche hatte ich mit, weil es da Straßenschlachten geben sollte. Ich wollte dahin zum Fotografieren. Dann sagten die: „Nee, du siehst aus wie so ein gefährlicher Radikaler.“ Sie vermuteten, ich hätte bestimmt auch noch Knaller oder irgend so etwas in der Tasche. Bei diesen Pseudo-Christen, die einen nicht mitnehmen wollten, nur weil man anders aussieht, durfte ich nicht mitfahren. Stattdessen konnte ich dann in einem Bus aus Münster mitfahren. Dann war ich in Brokdorf. So ein Atomkraftwerk hatte ich zuvor noch nicht gesehen. Alle Busse wurden von der Polizei gestoppt. Es wurde dann auf der Wiese oder auf der Straße demonstriert. Dann ging es auch schon wieder zurück.

Menschlich und fair miteinander umgehen und die anderen lassen, wie sie sind, Kooperation statt Konkurrenz, Gegenseitige, soziale Hilfe, das ist für mich schon Anarchismus.

GWR: Du warst in den 1980ern auch in Wackersdorf und hast dort Fotos vom letztlich erfolgreichen Widerstand gegen den geplanten Bau der Plutoniumfabrik WAA (Wiederaufbereitungsanlage) gemacht. Einige der Fotos habe ich Ende der 1980er und Anfang der 1990er in die Atomkraft Nein-Taschenkalender genommen. Auch die anti atom aktuell, die taz, GEO und der Schwarze Faden, die anarchistische „Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit“, haben Fotos von dir abgedruckt.

Theo: Ja, Fotografie und Sozial-Fotografie, bestimmte Themen waren mir wichtig. Deshalb war ich immer wieder auf Friedensveranstaltungen, dem Ostermarsch, den Großdemos gegen die NATO-Atomaufrüstung Anfang der 1980er Jahre in Bonn. Mir ging es darum, den Widerstand festzuhalten. Mehrmals war ich auch mit der Band BAP zum Fotografieren unterwegs. Die sind durch ihre Auftritte auf den Friedensdemos und Ostermärschen berühmt geworden. Teile der Ostermarschbewegung waren mir aber suspekt. Ich weiß noch: Eines Tages war ich mal wieder bei einer Anti-AKW-Veranstaltung in Hamm, dann habe ich am Zaun des THTR gerüttelt. Auf einmal schlägt jemand mit einem mit Friedenstauben bemalten Regenschirm auf mich ein, wir sollten friedlich sein. „Ja, klasse, und du verprügelst mich hier?“

GWR: Du warst als Fotograf in Berlin bei den Aufmärschen gegen die Corona-Maßnahmen, bei denen unter dem Motto „Das Ende der Pandemie“ am 1. August 2020 mit 20.000 und am 29. August mit 38.000 Leuten demonstriert wurde. Kannst Du beschreiben, was da passiert ist, wie du das empfunden hast und den Charakter der Aufmärsche aus deiner Sicht darstellen?

Theo: Ich kann es nicht nachvollziehen, warum diese Leute da demonstrieren wollten. Die gehen Verschwörungsmythen auf den Leim, gehören zu esoterischen Gruppierungen und wurden teilweise auch von Nazi-Gruppen gesteuert. Viele Rechte haben auch dazu aufgerufen, um sich mal in der Masse zu zeigen. Die Leute sind einfach mitmarschiert. Die liefen da herum wie auf einem Karnevalsumzug, aber Hand in Hand mit Rechtsradikalen, mit Reichskriegsfahnen und Verschwörungsideologen. Den meisten ging es angeblich darum, dass sie frei sein und keinen Mund-Nasen-Schutz tragen wollten, weil die Maske ihnen ihre Freiheit nähme. Die leugnen oder verharmlosen die Corona-Pandemie, laufen ohne Abstand und ohne Masken durch die Straßen und meinen, dass ihnen nichts passieren kann. Wenn sie mit den Rechtsradikalen tatsächlich nichts zu tun hätten, hätten sie klar sagen können: „Mit euch wollen wir nichts zu tun haben, wir gehen nicht mit euch auf die Straße.“ Das haben sie nicht gemacht. Die haben anderen die Schuld an ihrer Misere gegeben: Journalisten, Leuten, die wissenschaftlich am Thema Coronavirus arbeiten. Die AfDer sind mit Plakaten herumgelaufen, wo der Virologe Drosten und andere Wissenschaftler in Sträflingskleidung hinter Gittern gezeigt wurden.

GWR: Du hast beeindruckende Fotos gemacht, einige davon wurden auch in der GWR dokumentiert. Die Bilder zeigen Leute mit Peace- und Regenbogenfahnen neben anderen mit QAnon-Fahne oder schwarz-weiß-roter Reichsflagge, welche von Nazis verwendet wird, weil die schwarz-weiße-rote Hakenkreuzfahne verboten ist. Wie erklärst du dir, dass keine Abgrenzung zu den Neonazis stattgefunden hat?

Theo: Diese Leute sind meiner Meinung nach irgendwie gestört. Vielleicht durch den Lockdown? Ich habe schon mal etwas über Sekten gemacht. Mir kam das sektenähnlich vor. Und die Fahnen? Vielleicht wussten sie teilweise selber nicht, was sie da für Fahnen mit sich schleppten. Die Regenbogenfahne wurde von den Rechtsradikalen da ja letztendlich auch zerrissen. Ich kann mir nicht erklären, warum sich die Leute nicht von den Neonazis abgrenzen.

GWR: Warst du auf den Demos alleine oder in einem Pulk mit anderen Fotografinnen und Fotografen?

Theo: Ich bin nicht gerne in einem Pulk mit anderen Fotografen. Da macht dann ja jeder das gleiche Foto. Dazu habe ich keine Lust. Ich war in Berlin alleine unterwegs. Ich war da, wo die Mehrzahl der Leute war. Ich habe sogar Bekannte von früher getroffen, die mit mir mal bei Anti-AKW-Veranstaltungen waren und jetzt mit diesen „Querdenkern“ zu tun haben. Dann gibt es diese extrem rechten QAnon-Verschwörungsideologen aus den USA, die behaupten, dass „die Eliten“ nachts Babys entführen. QAnon ist ein verschwörungsideologisches Netzwerk mit weltweit Millionen Anhängern. Es verbreitet sich übers Internet, auch über bekannte Leute, wie den deutschen Sänger Xavier Naidoo. Trump ist für die der Erlöser. Auf ihren Plakaten steht: „Trump und Putin errettet uns!“. Aber es ist nicht nur Trump. Das ist die AfD in Deutschland, Erdoğan in der Türkei, Orbán in Ungarn, Bolsonaro in Brasilien, der Brexit,… Das sind alles ähnliche Leute.

GWR: Es gab in Berlin auch eine linke Gegendemo, die eingekesselt wurde, während kaum Polizei am Reichstag war, als die Leute mit schwarz-weiß-roten Reichsfahnen die Treppe hoch gestürmt sind. Kannst du dazu etwas erzählen?

Theo: Es ist ganz einfach. Ich bin in erster Linie Fotograf, meine Bilder sagen mehr, als ich erzählen kann. Ich sehe diese Sachen, und dann fotografiere ich. Und ich habe gesehen, dass da 50 linke Demonstranten und 150 Polizisten waren. Auf der anderen Seite war ich nicht. Ich bin am Brandenburger Tor vorbei gekommen, das war eine Stunde eher, da waren nur fünf, sechs Polizisten. Als einige Menschen auf den Reichstag losgestürmt sind, war ich nicht vor Ort, aber es hieß, es wären nur drei Polizisten da gewesen, um die Rechten zu stoppen. Die Beamten haben anschließend einen Orden gekriegt, dafür, dass sie die anderen aufgehalten haben.

Ich gehe an alle Themen wie ein Fotograf ran. Sehen, Empfinden, dann gestalte ich die Bilder. Diese drei Sachen sind mir wichtig. Ich sehe etwas, ich fühle etwas wie „ach, das ist totaler Mist“ oder „das ist klasse“, dann gestalte ich das als Foto, so dass man das versteht. Das ist mein Ding. Man braucht nichts darunter zu schreiben. Heute ist es oft umgekehrt. Man muss stundenlang theoretisieren, bis keiner mehr etwas versteht.

GWR: Möchtest Du noch etwas sagen?

Theo: Ja, ich will noch etwas sagen. Anarchisten sind ja angeblich immer Chaoten, Anarchie ist angeblich Zerstörung, Chaos, Terror, Bomben-Attentate. Das ist falsch. Das ist nur das, was die Mächtigen sich ausgedacht haben. Anarchisten sind ganz normale Menschen, die sagen: „Na gut, da ist der Bäcker, da ist die Schlange, dann stelle ich mich hinten an.“ Also, vernünftig miteinander umgehen, das machen doch die meisten Menschen, dann sind das ja eigentlich Anarchisten. Menschlich und fair miteinander umgehen und die anderen lassen, wie sie sind, Kooperation statt Konkurrenz, Gegenseitige, soziale Hilfe, das ist für mich schon Anarchismus. In der heutigen Zeit gehört auch der Kampf für ein Bedingungsloses Grundeinkommen dazu. Statt Druck, Angst, Entmündigung, Hartz IV, brauchen wir eine ausreichende sichere Altersversorgung für alle, und vieles mehr.

GWR: Herzlichen Dank für das Gespräch.

(1) https://www.nrwision.de/mediathek/radio-
graswurzelrevolution-fotografieren-gegen-rechts-theo-heimann-im-interview-200924/

Interview: Bernd Drücke. Technik im Studio des medienforum münster: Klaus Blödow
Transkription: Jörg Siegert/Bernd Drücke.

Alle Fotos: Theo Heimann

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.