Kommentar

„Wir werden putschen, wo immer wir wollen“

Kommentar zum Sturm auf das Kapitol

| Wolfgang Haug

Joe Biden meinte zu den Trumpianern und Rechtsradikalen, die das Kapitol stürmten, ihr Verhalten zeige „nicht, wie wir sind“, und es entspreche nicht den US-Wertvorstellungen. Damit hielt er die Vorstellung von den USA als Wiege der Demokratie am Leben. Gegenüber dem drohenden Faschismus in der Variante Trump/Giuliani/Bannon durchaus berechtigt, aber in der Sache falsch.
Wahlen oder gewählte Regierungen waren für die USA nicht immer „unantastbar“, zumindest nicht dann, wenn sie im Ausland stattfanden. Erinnert sei an den Sturz der gewählten Regierung Allendes 1973 in Chile und die sich daran anschließende Diktatur Pinochets, die nur mit Unterstützung der USA möglich war. Ebenso unterstützte Trump seinen „geschätzten Partner Hernández“, der bei der Wahl in Honduras 2017, die vermutlich Nasralla gewonnen hatte, zum Wahlsieger erklärt wurde. Trump bezeichnete auch die mit Hilfe von Polizei und Militär vollzogene Absetzung von Evo Morales in Bolivien, als „bedeutenden Moment für die Demokratie“. Dies fand Beifall in den USA. Elon Musk, der zweitreichste Mann der Welt (Tesla, PayPal, SpaceX, Neuralink, Thud) kommentierte die Aktion: „Wir werden putschen, wo immer wir wollen.“ (Twitter, 24.07.2020) Im bolivianischen Teil der Atacama-Wüste wird Lithium abgebaut.
Diese Beispiele sind genauso wenig „Einzelfälle“ wie die „Einzeltäter“ rechtsterroristischer Anschläge. Es zieht sich durch die Regierungszeit von allen US-amerikanischen Präsidenten, auch wenn die Motivationen sich anders begründen ließen und im Orwell‘schen Sinn oftmals „zur Rettung der Demokratie“ verklärt wurden. Unter Präsident Obama unterstützten die USA bereits im Jahr 2009 in Honduras einen Militärputsch gegen den Präsidenten Manuel Zelaya. Obama unterstützte auch den Militärputsch in Ägypten gegen die gewählte Regierung „zur Rettung der Demokratie“. Dies soll keinesfalls heißen, dass die verhinderten Regierungen verteidigenswert gewesen wären. Es geht um die Tatsache, wie mit gewählten Regierungen umgegangen wird, wenn sie wichtigen Interessen widersprechen.
Über 74 Millionen Wähler-*innen, die für Trump stimmten und all seinen Lügen bedingungslos folgten, zeigen, wie gut er es vermochte, die negativsten Seiten des weißen Überlegenheitswahns zu bedienen und konsequent zu verschärfen. Ein Wahn, der für diese Klientel Schritt für Schritt in einigen US-Bundesstaaten bereits zu einer Minderheitsposition wurde, wie die Senatswahlen in Georgia verdeutlichen. Die Ängste, ihre Vorherrschaft zu verlieren und sich auf Augenhöhe mit Afroamerikaner*innen, Latinoamerikaner*innen und Native Peoples bewegen zu müssen, sitzen tief und ermöglichen faschistischen Agitationskampagnen, gepaart mit dem Mittel der Fake News, auf fruchtbaren Boden zu fallen. Trump konnte diese Stimmungslagen erreichen und für sich mobilisieren. Die große Masse an willigen Demonstrant*innen, die sich zum Kapitol aufmachten, belegt, dass er nicht weit davon entfernt war, den Putsch zu vollziehen. Was wäre gewesen, hätte er sich den Reihen der Demonstrant*innen selbst an die Spitze gestellt? Dazu war er zu feige, mehr Hinderungsgründe für einen Erfolg gab es wohl nicht. Denn auch so öffneten sich seinen Anhänger*innen, recht widerstandslos die Türen. Es wird ganz zurecht gefragt, mit welcher Polizei- und National Guard-Präsenz eine Black Lives Matter Demonstration vor dem Kapitol hätte rechnen müssen.
Trump brachte die US-amerikanische Denke, dass ein Putsch zur Verteidigung der eigenen Interessen gerechtfertigt ist oder nachträglich gerechtfertigt werden kann, nur erstmals in das eigene Land und löste dadurch bei Vielen einen Schock aus; sicherlich aber nicht bei seinen unbelehrbaren Anhänger*innen und den Rechtsradikalen, denn dieser Schock ist ein Erschrecken über sich selbst, über die vorherrschende Gewaltbereitschaft in großen Teilen der US-Bevölkerung. Der Mythos vom Wilden Westen lebt in zahlreichen Köpfen, daran haben auch die Schulmassaker nicht viel verändert. Die Aussagen von schwer bewaffneten Milizangehörigen vor dem Kapitol, dass sie solange friedlich bleiben und still halten, solange sich die Waffengesetze nicht verschärfen, sagt so ziemlich alles über die Gefahr, die in einer Gesellschaft schlummert, die in den Krimiserien, Staffel für Staffel, so gern die „terroristischen Schläfer aus dem Ausland“ thematisiert. Wiederholungen von fiktiver Gewalt aber, die in den Sendungen regelmäßig ohne Folgen für die Täter bleibt, sagt uns die Gehirnforschung, erhöhen die Gewaltbereitschaft grundsätzlich.