Kommentar

Der Krieg und das Virus

Corona-Bundeswehreinsätze häufen sich und legitimieren Kriegseinsätze im Ausland

| Lou Marin

Auf einer Veranstaltung der DFG-VK und der GWR am 14. Oktober 2020 in Frankfurt/M. stellten drei Leute der Konzertaktionsgruppe „Lebenslaute“ ihr Buch vor. Unter anderem ging es dabei um ihre direkten gewaltfreien Aktionen gegen die Rüstungsfirmen Heckler & Koch und Rheinmetall. Zum obligatorischen Corona-Konzept der Veranstaltung gehörte das Ausfüllen einer Teilnehmer*innenliste mit Adresse und Telefonnummer, die dem Gesundheitsamt zur Rückverfolgung von Kontaktpersonen bei corona-positiv Getesteten dienen sollte. Am selben Tag hatten wir über die Presse (1) erfahren, dass die Stadt Frankfurt tags zuvor 60 Bundeswehr-Soldat*innen zur Hilfe der überlasteten Gesundheitsämter angefordert hatte. In der späteren Diskussion stand ganz plötzlich die Gefahr im Raum, hier könnten Personendaten in die Hände von Bundeswehrsoldaten gelangen, bei denen schon von Berufs wegen sicher war, dass sie etwas gegen Kriegsgegner*innen hatten, ganz besonders aber, nachdem in den Monaten davor enge Verbindungen von Soldaten zum Neonazismus („Nordkreuz“, „Hannibal“-Netzwerk im KSK/Calw) bekannt geworden waren. (2)
Inzwischen wird die Bundeswehr bei jeder Gelegenheit eingesetzt, wo eine coronabedingte Lücke zu füllen ist: Soldat*innen werden bei der Herstellung von Desinfektionsmitteln und bei Desinfektionsarbeiten eingesetzt, bei der Pflege in Altenheimen, in 26 stationären Impfzentren innerhalb von Kasernen, bei mobilen Impfteams, in städtischen Impfzentren, beim Ausführen von Corona-Schnelltests für Altenheim-Besucher*innen, in einem Zentrallager für die Aufbewahrung und Verteilung des Impfstoffs – und jüngst bei der Portugal-Hilfe mittels 26 Ärzt*innen, Sanitäter*innen und Pflegekräften. Im Herbst wurden 15.000 Soldat*innen für solche Dienste bereitgestellt. Mitte Dezember waren es 20.000 und Anfang Februar 25.000. (3) Die Rathäuser überschlugen sich im vorauseilenden Gehorsam: Bis Ende Januar 21 stellten kommunale Verwaltungen rund 3.600 Amtshilfeanträge, vor allem, weil die Kosten der Bund trägt.
Kommunalpolitische Proteste sind rar: In Berlin-Mitte hatten Grüne und Linke gefordert, die Soldat*innen nicht in Uniform zum Dienst zu schicken, was Generalleutnant Schnelleis abschmetterte. So können Soldat*innen in Altenheimen in Flecktarn-Kampfanzügen weiter 90-jährige erschrecken, die denken, sie seien wieder im Krieg. Auch die Politik war anfangs mit irren Vorschlägen vorgeprescht: Söder hatte einen „flächendeckenden Inlandseinsatz“ vorgeschlagen. Die Überwachung von Ausgangssperren, Amtshilfe für die Polizei, gemeinsame Patrouillen von bewaffneten Soldat*innen und Polizei, Festnahmerecht für Soldat*innen, bewaffnete Wachen für Objektschutz standen im Raum. (4) Das wären verfassungsrechtlich „hoheitliche Aufgaben“. Nach einigen Monaten unklarer Rechtslage wurden die Einsätze immerhin auf „einfache Amtshilfe“ festgelegt, was die Bewaffnung im Dienst ausschließt.
Sowohl Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst (BFD) als auch im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) werden für den Dienst in Impfzentren herangezogen, wo sie dann auf Kriegsdienstleistende bei derselben Arbeit stoßen. (5) Früher, in den Neunzigerjahren, gab es einmal antimilitaristische Mobilisierungen gegen die zivil-militärischen Manöver „Wintex-Cimex“, bei denen solche Vermischungen skandalisiert wurden. Protesterklärungen der DFG-VK oder der Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tübingen finden dagegen heute bei den bürgerlichen Medien null Resonanz.
Die Bundeswehrkriegseinsätze in Afghanistan, seit 2001, und in Mali, seit 2013, die notorisch erfolglos sind, aber jedes Jahr erneuert werden, können so mit positiver Legitimation im Hinterland weiter laufen, weil die geblendete Öffentlichkeit sie vergisst. Die Soldat*innen kommen zu ihren Einsätzen ebenso ungelernt wie jede*r Arbeitslose. Anstatt hier eine Menge neuer Lohnstellen zu schaffen, wird alles in neoliberaler Manier kostengünstig abgewickelt. In Portugal bekommen die Bundeswehrsoldat*innen hochmoderne Bedingungen in einem privaten Krankenhaus geboten, während die öffentlichen Krankenhäuser am Limit sind und von den Privaten bisher zynisch im Stich gelassen wurden. Der portugiesische Arzt Vitor Almeida: „Das gibt ein Gefühl des Unrechts. (…) Nach zehn Monaten wirklichem Pandemie-Kampf kommen auf einmal die Privaten – und dann auch noch mit der Bundeswehr.“ (6)
Wäre das nicht einmal ein Thema für die Bewegung gegen Corona-Maßnahmen? Fehlanzeige! Selbst von Friedensbewegten hören wir den gedankenlosen Spruch: „Da machen sie mal was Nützliches!“ (7) Das Problem ist nur: Mit diesen zivilmilitärischen Einsätzen wird die Legitimation für die Kriege in Afghanistan und Mali tatsächlich besser! Inzwischen wird laut Stellungnahme des Bundeswehrverbands die zeitliche Befristung der Einsätze – vor allem in Alten- und Pflegeheimen – betont und das Ziel verlautbart, die Soldat*innen „durch zivile Helfer zu ersetzen“. (8) Was von uns zu überprüfen wäre, auch im Hinblick auf die Schaffung angemessen bezahlter Lohnarbeitsplätze.

(1) „Soldaten im Viruseinsatz. Frankfurt fordert Militärhilfe an“, in: Frankfurter Rundschau, 14.10.2020, Lokalteil, S. F1.
(2) Vgl. „BRD: Waffenlager für den Tag X. Prepper und Nazis bei der Bundeswehr bereiten den Bürgerkrieg vor“, in: GWR Nr. 453, Nov. 2020, S. 17.
(3) Quellen: GWR-eigene; DFG-VK-Pressemitteilung vom 13.10.2020, faz.net 
vom 15.12.2020; taz, 3.2.2021; Deutsche Welle, 3.2.
(4) Vgl. IMI-Bericht vom Frühjahr 2020: http://www.imi-online.de/
2020/03/30/an-den-grenze-der-verfassung-und-darueber-hinaus/
(5) Erfahrungsbericht eines Mitglieds des GWR-Herausgeber*innenkreises.
(6) Stefan Schaaf, ARD-Weltspiegel: „Portugal: Gesundheitssystem vor dem Kollaps“, 7.2.2021.
(7) Laut Aussage des DFG-VK Landesgeschäftsführers in Hessen, Mail vom 8.2.2021.
(8) Zitat Schnelleis laut FAZ, 5.2.2021, S. 1.