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Der letzte seiner Art

Online beim DOK.fest München: The Last Hillbilly

| Michel Nölle

Foto: 36. DOK.fest@home

Kentucky? Hillbillys? Gruselig, da kommen einem direkt so einige durchweg negative Assoziationen. Brian Ritchie kennt sie alle. „Everybody knows that we're uneducated, poor, violent, racist, inbred – it's all true“. Er ist „The Last Hillbilly“. Gesehen auf dem DOK.fest München.

Poet Brian Ritchie lebt mit seinen Kindern in einer abgehängten Gegend im Osten Kentuckys. Nach dem Ende der Kohle-Ära in den 1990er Jahren ist die Region in den Appalachen zu einer der ärmsten der USA geworden. Auf dem Land gibt es kaum Jobs und die Bevölkerung wandert in die Städte ab. 

Das französische Regiepaar Diane Sara Bouzgarrou und Thomas Jenkoe verbrachte sieben Jahre lang immer wieder Zeit mit Ritchie, wohnte bei den Besuchen sogar bei ihm und seiner Familie und spricht im Interview  davon, dass das Projekt zu einem gemeinsamen geworden sei. Das Ergebnis ist der Dokumentarfilm “The Last Hillbilly”. 2020 bereits Teil des “Acid Cannes”-Programms, ist er jetzt auf dem DOK.fest München zu sehen. 

Der Film gibt Einblick in eine Welt, über die jede:r (wenigstens im US-amerikanischen Kontext) bereits Bescheid zu wissen glaubt. Ein Wissen, das im Begriff des “Hillbilly” – des Hinterwäldlers – zugespitzt ist und das Ritchie zunächst bestätigt: Everybody knows that we’re uneducated, poor, violent, racist, inbred – it’s all true.“ – ein kluges Eingeständnis, das die Vorurteile aus dem Fokus rückt und Raum für Aneignung und Überschreibung schafft. 

In prosaischen Texten, unterlegt von atmosphärischen Landschaftsaufnahmen, beklagt Ritchie den sozialen Abstieg, den die Bewohner:innen der ehemaligen Kohleregion innerhalb weniger Generationen durchmachen mussten. “We went from mountaineers to a bunch of dirty coalminers to a bunch of ignorant, out of work hillbillys in three generations”, sagt er. Ins Blau gedrehte High-Key Bilder geben der faszinierenden Landschaft, die sicherlich auch sehr idyllisch wirken könnte, einen apokalyptischen Touch. Ein beklemmender Ambient Soundtrack tut sein Übriges: „The Last Hillbilly“ ist ein Endzeitfilm, Ritchie der letzte seiner Art. 

Im elegischen Pathos, mit der diese Endzeit besungen wird, geht der Film aber teilweise zu weit. Jeder noch so banalen Alltagsszene (spielende Kinder, Ritchie raucht, Ritchie spricht mit dem Nachbarn) wird durch den immer Unheil verkündenden Soundtrack eine apokalyptische Schwere beizumischen versucht. Das ist irritierend und trübt den Blick darauf, was für eine Welt dort eigentlich im Untergehen begriffen ist.  

Ebenso irritiert die inszenatorische Entscheidung, Ritchie seine Texte teilweise in Anwesenheit von und in Interaktion mit anderen Figuren performen zu lassen. Zu klar scheint das Filmpublikum als eigentlicher Adressat der Rede durch. Zu sehr haftet den Texten der Eindruck des wohlkonstruierten geschriebenen Wortes an. Zu düster, zu sperrig, zu undurchsichtig ist dieser Abgesang, um als Zeugnis des „last free kid in America“ wirklich Wirkung zu entfalten.  

Indem der Film neben Ritchie nur wenige Erwachsene zeigt, dafür aber immer wieder Kinder und Jugendliche, wird die aussterbende Hillbilly-Figur und die damit verbundene Zeitenwende symbolisch konsequent inszeniert. Und genau da, wo die Kids im Fokus stehen, ist der Film auf einmal richtig gut. Aufgewachsen in einer durch elektronische Medien und Internet geprägten Welt, kennen sie ihre Prädispositionen und gesellschaftlichen Stigmata bereits sehr genau. „I feel like everybody in the city would hate me, cause I talk different“, sagt Ritchies Teenager-Tochter auf die Frage, ob sie sich vorstellen kann, später in der Stadt zu arbeiten, aber auch: “I feel like the city would be boring for me”. So einfach kann es sein und etwas mehr Leichtigkeit hätte diesem schwermütigen Film gut getan.  

“The Last Hillbilly” ist noch bis Sonntag, 23.05. im Rahmen des DOK.fest München zu sehen. Karten und Programm https://www.dokfest-muenchen.de
 

Übersetzungen 

“Everybody knows that we're uneducated, poor, violent, racist, inbred – it's all true.“ 

„Jede:r weiß, wir sind ungebildet, arm, gewalttätig, rassistisch, inzüchtig – das alles ist wahr.“ 

"We went from mountaineers to a bunch of dirty coalminers to a bunch of ignorant, out of work hillbillys in three generations." 

„Wir wurden von Bergbewohnern zu einem Haufen dreckiger Minenarbeiter zu einem Haufen ignoranter, arbeitsloser Hillbillys - innerhalb von nur drei Generationen.“ 

„I feel like everybody in the city would hate me, cause I talk different“ 

“Ich habe das Gefühl, dass jeder in der Stadt mich hassen würde, weil ich anders spreche.” 

“I feel like the city would be boring for me” 

“Ich habe das Gefühl, die Stadt wäre langweilig für mich. 

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion, Schnupperabos der Druckausgabe zum Kennenlernen gibt es hier.