Außenseiter

Die Kunst der Vermittlung

| Jochen Knoblauch

Carl Weissner: Aufzeichnungen über Außenseiter. Essays und Reportagen, Herausgegeben von Matthias Penzel, Mit einem Vorwort von Anthony Waine, Reiffer Verlag, Meine 2020, Reihe: edition kopfkiosk Bd. 3, 246 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-945715-67-3

William Cody Maher: The Return | Die Rückkehr, Mit Fotos von Signe Mähler, Moloko Print Verlag, Schönebeck 2020, zweisprachige Ausgabe, 168 Seiten, 15,00 EuroISBN 978-3-943603-88-0

Den deutschen Linken wird immer ein Anti-Amerikanismus vorgeworfen, obwohl damit übersehen wird, welchen Einfluss die US-amerikanische Kultur gerade auf die Linke hatte. Ob nun die Hippie-Bewegung, die Landkommunen, Alternativpresse oder eben die Musik und die Literatur. Hier ist in erster Linie Carl Weissner (1940-2012) zu nennen, der als Übersetzer seit 1964 eine wesentliche Rolle in der Kulturvermittlung spielte und nicht nur Charles Bukowski übersetzte, sondern auch William S. Burroughs, Bob Dylan, Allen Ginsberg, Andy Warhol, Frank Zappa u. a. – die geballte Ladung eines anderen Amerikas. Nicht das Amerika des Vietnamkrieges, der Wall-Street, des Rassismus usw.
Bereits 1969 veröffentlichte Weissner die Anthologie „Cut-up“ im Joseph Melzer Verlag und bereitete so den Protagonisten der Beat-Generation wie Brion Gysin und Burroughs in Deutschland den Weg, und für Charles Bukowski war er gar der Literatur-Agent. Ab 1969 veröffentlichte Weissner auch eigene Texte. Der nun vorliegende Sammelband – er macht seinem Namen alle Ehre – besteht aus Texten für Anthologien und (Underground-) Zeitschriften und aus unveröffentlichtem Material, wobei die Grenzen zwischen Literatur und Essay verschwimmen. Weissner gehört einer Generation an, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach neuen Ausdrucksformen suchte (und für sich weitestgehend auch fand), er war in den USA am Puls seiner Zeit und konnte dies zu unserem Glück vermitteln.
Es wird gesagt, dass Weissner seiner Zeit etwa 20 Jahre voraus war, was meines Erachtens zwar übertrieben klingt, aber eindeutig haben auch mich die von ihm übersetzten Texte weitestgehend geprägt. Der schmale Grat zwischen „Underground“ und Mainstream ist nicht einfach, so wie auch die Arbeit von Weissner natürlich nicht einfach war, einerseits seinem Autor verpflichtet zu sein und auf der anderen Seite einer Szene anzugehören, die ihre „Seele“ nicht verkaufen will. Im Fall von Bukowski ist es sicherlich insofern gut gelungen, dass der Kleinverlag Maro die meisten Erstveröffentlichungen machen durfte und die großen Verlage als Lizenznehmer für eine große Verbreitung sorgten.
Weissner machte keinen Unterschied, für wen er schrieb. Ob für die kleine Underground-Zeitschrift in Deutschland wie in Amerika, ob für Kleinst- oder etablierte Verlage, ob für bestehende Projekte oder eben die von ihm mitgetragenen und initiierten. Er war bis ins hohe Alter ein Arbeitswütiger, dem die Vermittlung, das Experiment bis hin zur Liebe zum Text wichtiger als jedes Renommee war. Und vor allem: Weissner überraschte immer wieder mit Neuentdeckungen.
Natürlich ist es in einer solchen Textsammlung nicht zu vermeiden, Beiträge mit Wiedererkennungswert zu finden, wie etwa über die Beerdigung von Charles Bukowski oder die eine oder andere Anekdote, aber neben den bisher unveröffentlichten Texten zum Beispiel aus seiner Zeit in Amerika, die zwar einen privaten Charakter haben, aber die politische wie kulturelle Situation recht präzise darstellen, gibt es auch den mich sehr beeindruckenden Text „Rimbaud. Tod in Marseille“. Dazu noch Rezensionen etwa über Bücher von Wolf Wondratschek (der damals wirklich noch interessant war) oder Hunter S. Thompson (der heute immer noch interessant ist).
Weissner ist und bleibt eine ganz wichtige Figur der (west-) deutschen Nachkriegsliteratur. Und letztlich rückte er mit seiner Arbeit auch das Bild des Übersetzers in ein neues Licht, der eben nicht nur Texte mal einfach übertrug, sondern eine ganze Kultur vermittelte. Sein Wirken und sein positiver Einfluss auf die deutsche Literaturszene haben noch längst nicht die Anerkennung erlangt, die sie verdient haben. Dieser Sammelband zeigt das schmerzlich auf, gibt aber auch große Hoffnung, dass sich dies ändern könnte.

Buffalo Bill und die Wirklichkeit

Irgendwie finden mich die Bücher und nicht umgekehrt. In dem Sammelband „Aufzeichnungen über Außenseiter“ von Carl Weissner stolperte ich über zwei Namen, die ich nicht kannte und die mich interessierten: Andrei Codrescu (1) und William Cody Maher (2). Codrescu (eigentlich: Andrei Perlmutter, Jg. 1946), ein Vielschreiber, ist auf Deutsch kaum und wenn, dann mit relativ uninteressanten Texten vertreten. Maher (Jg. 1950) dagegen ist ein Autor des Peter Engstler Verlages und jetzt ganz neu auch des Verlages Moloko Print („The Return / Die Rückkehr“).
Für seinen Namen kann man ja nix, und William Cody Maher war eben bei der Namensgebung Opfer seines versoffenen Vaters, der als Westernfan seinen Sohn mit dem bürgerlichen Namen von Buffalo Bill – eben William Cody – versah. Aber wie gesagt, für seinen Namen kann man nix. Und auf den ersten Blick erinnert mich Maher an den italienischen Schauspieler Totó in einem Film von Pier Paolo Pasolini.
Maher – Lyriker, Performer, Schriftsteller – wuchs in San Francisco als Weißer in einem Slum unter Schwarzen auf, die Familie zerrüttet, sprich: Alles war schwierig und wenig behütet. Gewalt bestimmte das Leben. Und so umfangreich, wie Carl Weissner den Werdegang Mahers beschrieb, so einsilbig ist er selbst, wenn es um seine Biographie geht, die in „Die Rückkehr“ so ausfällt: „Dies ist eine unvollständige Biographie / Die wesentlichen Dinge fehlen.“
Mahers Dialoge, Texte und Gedichte, hier auch eindrücklich illustriert mit Farbfotos von Signe Mähler, spiegeln eine Einsamkeit, aber auch einen Trotz zum Überleben wider, der leise, aber eindringlich ist. Über einen „American Way of Life“, der für ihn aus Gewalt, sexuellem Missbrauch und Paranoia besteht. Nichts ist (sprachlich) vulgär, nichts reißerisch, die Narben sind erkennbar, werden aber nicht zur Schau gestellt, sondern mit Worten leicht bedeckt.
Bei meiner weiteren Recherche über die Person Maher stellte ich nicht nur fest, dass er einige Jahre in Berlin lebte und auch schon mal im Prenzlauer Berg im Watt aufgetreten ist, sondern dass seine Kontaktadresse auf seiner Homepage nur eine Querstraße von mir entfernt ist. Mich wundert inzwischen nix mehr.
Und Maher, der sein Buch Carl Weissner widmete, weiß natürlich, wie wichtig Menschen wie Weissner sind, die als Vermittler in fremden Gefilden einem zur Seite stehen. Auch dies ein feiner Zug von Maher in einem sehr interessanten Buch.

Zwei tolle Leseerlebnisse in einem verschissenen Sommer, die irgendwie alles wieder rausgerissen haben. Sehr empfehlenswert.

(1) Hier reichte mir die Anmerkung 11 zu ihm auf S. 133 In: Carl Weissner: Aufzeichnungen über Außenseiter. Essays und Reportagen. Herausgegeben von Matthias Penzel. Verlag Andreas Reiffer 2020.
(2) „Eine Corrida am Highway 50“, S. 113-119 In: Ebd.