„Sexismus fängt an, wenn ich morgens meine Augen öffne“

Interview mit Ronja von Plastic Bomb

| Interview: Silke

Ronja - Foto: Privat

Seit knapp einem Jahr wird verstärkt über Sexismus im Punkrock diskutiert. Wie äußert er sich? Und was kann mensch dagegen tun? Über die Kampagne #punktoo hat Silke mit Ronja von Plastic Bomb für die Graswurzelrevolution gesprochen. (GWR-Red.)

GWR: Willst du erst mal ein paar Worte zu dir selbst sagen, auch gern zu deinen eigenen – erfolgreichen – Bemühungen, FLINTA (Hetero-Cis-)Frauen, Lesben, Inter-Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans-Menschen und Agender-Menschen) im Punk sichtbarer zu machen und zu supporten?

Ronja von Plastic Bomb: Ich bin Ronja, arbeite seit 13 Jahren beim Plastic Bomb-Mailorder/Musikmagazin/Label und bin seit 6 Jahren die Inhaberin und Geschäftsführerin der Firma. Ich sorge innerhalb meiner Möglichkeiten schon lange dafür, dass FLINTA im Punk die nötige Aufmerksamkeit bekommen, egal ob auf dem Cover oder in Interviews in unserem Musikmagazin, bei den Platten, die ich selbst veröffentliche, und in der Online-Berichterstattung. Außerdem ist es mir wichtig, dass die Zahl der Autorinnen beim Heft und Mitarbeiterinnen des Mailorder mit der der (Cis-)Männer möglichst gleich hoch ist.
Ich setze mich aber auch in Szenediskussionen dafür ein, dass FLINTA gehört und ernst genommen werden, und weise bei Interviews, die ich gebe, und in meinen Heft-Kolumnen auf die Missstände hin, mit denen wir uns rumplagen müssen. Egal ob es umʼs Booking geht oder um blöde Sprüche – es gibt so viele Probleme im Punk, mit der sich die einst radikale und „moderne“ Subkultur rumschlägt. Manchmal habe ich das Gefühl, Punk wäre von der „normalen Gesellschaft“ schon überholt worden, was die Ansichten angeht. Und eben den Umgang mit FLINTA.

FLINTA sind (nicht nur, aber auch) im Punk und in verwandten Musikszenen wie Hardcore chronisch unterrepräsentiert – auf der Bühne, bei der Konzert-Organisation, auf der Tanzfläche oder allgemein in der Szene – und werden oft an den Rand gedrängt. Zugleich gehört ein sprachlicher Mix aus sexualisierter und sexistischer Ausdrucksweise durchaus zum Standard. Wo fängt Sexismus für dich an?

Sexismus fängt an, wenn ich morgens meine Augen öffne. Er springt mich aus sozialen Medien an, aus der Glotze, aus Zeitschriften, aus Nachrichten. Auf der Straße, in meinem beruflichen Umfeld, abends beim Konzert … Ich kenne echt kein Utopia, wo man als FLINTA mal kurz Ruhe hätte. Außer vielleicht meine eigene Wohnung, aber auch nur, wenn ich mich von äußeren Einflüssen abschirmen könnte. Ich wüsste echt keinen Bereich im Leben, wo man zu hundert Prozent „sicher“ sein kann, dass nicht gleich wieder was Nerviges, Beleidigendes oder Kräftezehrendes passiert.

Jetzt mal zur Kampagne selbst: Wann ist #punktoo entstanden, was war der Auslöser, und welche Ereignisse haben sie vorangetrieben?

Das fing in der langweiligen Woche zwischen Weihnachten und Silvester 2020 an. Diana Ringelsiep hat einen Artikel im Onlinemagazin Kaput-Mag hochgeladen, der unglaublich viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Positiv wie negativ, denn es ging darin um Sexismus im Punkrock. Sie hat, wahrscheinlich um die vielen Reaktionen zu kompensieren, einfach mal eine Facebook-Gruppe gegründet mit dem Namen „#punktoo – Sexismus muss sterben“, und tadaaa, da sind wir. Das war alles recht spontan und wäre vermutlich ohne die ganze Corona-Isolation, während der alle daheimsaßen und nichts Besseres zu tun hatten, als online zu lesen und zu diskutieren, nicht so schnell gegangen.

Männer können mit ihren weiblichen Freundinnen sprechen bzw. ihnen zuhören. Am besten nicht nur mit denen, deren Meinung sie seit vielen Jahren kennen, sondern auch mal mit denen, deren Aussagen sie für unbequem halten. Nur so kann man sich ja entwickeln. Einfach mal ein bisschen Interesse zeigen und nicht dauernd selbst quatschen.

Ich hab dann auf der Plastic Bomb-Page noch ein paar persönliche Artikel mit meinen Erfahrungen zum Thema nachgeschoben, die der Sache auch weiter Aufwind gegeben haben, und dann folgten auch schon die ersten Online-Shitstorms. Es gab also viel zu tun. Und wir waren echt schnell damit, Allianzen untereinander zu gründen, jede hat noch eine Freundin oder interessierte Person mitgebracht, und jetzt ist allein die geschlossene, zugangslimitierte Facebook-Gruppe bei ca. 250 Menschen, die meisten sind FLINTA.

Welche FLINTA und Strukturen tragen die Initiative hauptsächlich?

Wir arbeiten grade daran, den Fokus von Einzelpersonen wegzulenken, um #punktoo als Kampagne sichtbar zu machen. Darum wäre es jetzt kontraproduktiv, einzelne Namen zu nennen. Im Moment ist die engste Verbindung vermutlich das Plastic Bomb, weilʼs da auch den Merch zu kaufen gibt, aber wir arbeiten dran, die Kampagne breiter aufzustellen, mit dem Ziel, sie für sich stehen und wirken zu lassen.

Wie haben FLINTA aus der Punkszene darauf reagiert? Wie wurde die Kampagne von ihnen aufgegriffen?

Die Facebook-Gruppe ist superschnell gewachsen, so schnell, dass wir die Neuzugänge eingrenzen und vor allem quotieren mussten. Es gab total viel Austausch und Solidarität. Und als mit dem Beginn des Sommers wieder mehr menschliche Kontakte möglich waren, auch viele persönliche Treffen. In Potsdam hat sich eine eigene „Ortsgruppe“ gegründet. Viele Einzelpersonen und Gruppen, die die Initiative toll finden, lassen sich die Sticker zuschicken, um ihre Läden vor Ort zu dekorieren, und es beteiligen sich viele Menschen an den Online-Diskussionen und halten sich bei Problemsituationen gegenseitig virtuell das Händchen, wennʼs mal wieder hässlich wird auf den Social-Media-Plattformen. Ich kann gar nicht immer genau sagen, wie sich die einzelnen Menschen so gendermäßig selbst betiteln würden, ich hab aber schon das Gefühl, dass sich verhältnismäßig viele FLINTA-Menschen beteiligen.

Um welche Formen von Sexismus geht es bei #punktoo hauptsächlich?

Um jede, mit der wir uns jeweils aktuell konfrontiert sehen. Es geht darum, in Situationen, die dir beim Konzert oder online oder in Fanzines auffallen, nicht die Klappe zu halten, sondern diese zu benennen und zur Diskussion zu stellen. Von daher kann das alles sein: Vom dummen Spruch wie „schau doch nicht so böse“ beim Konzert bis zum übermaskulinen Pogo vor der Bühne. Von Fanzines, die sich intern oder öffentlich über FLINTA lustig machen und Autorinnen blöd behandeln, bis zu Typen, die dir am Plattenstand deinen Job erklären wollen … Was halt grade so ansteht.

Du kannst selbst ein Lied davon singen, mit welchen – teils offenen, teils unterschwelligen – sexistischen Alltagssituationen eine aktive FLINTA-Person in der Punkszene konfrontiert ist. Kannst du ein paar Beispiele nennen, und wie gehst du damit um?

Das ist der große Vorteil an der #punktoo-Gruppe: Ich kann mich da „beraten“ lassen bzw. mich mit anderen Betroffenen austauschen. Ich und alle andere Gruppenmitglieder können unsere Erlebnisse thematisieren und auf Feedback und Unterstützung der anderen zählen. Wir machen aber auch viele Themen öffentlich, so dass die ganze Szene online mitdiskutieren kann. Und wir moderieren die Kommentare; Beleidigungen und unsachliche Einwürfe werden mittlerweile direkt gelöscht. Das ist der Grund, warum sich an dieser Stelle viele FLINTA überhaupt erst in die Diskussion wagen. Weil sie nicht Gefahr laufen, (sexistisch) beleidigt zu werden, wenn sie eine unpopuläre Meinung äußern. An konkreten Beispielen gibt es so viele, die ich ja jetzt teilweise auch schon benannt habe. Ich finde es auch spannend zu beobachten, wem die unterschwelligen Sachen überhaupt auffallen und wer da noch immer keine Sensibilität entwickelt hat. Teilweise klären das die Leute auch untereinander, in den Kommentarspalten, das finde ich immer ganz spannend.
Was ich immer supernervig finde, sind Menschen, meistens (Cis-)Typen, die mal eben, offensichtlich desinteressiert, unter den Artikeln Fragen stellen, die im Text längst beantwortet wurden, also diese gar nicht richtig gelesen haben, aber dennoch ihre „Meinung“ dazu rauslassen. Oder die zum 100sten Mal fragen: „Was heißt denn FLINTA?“, statt Interesse zu zeigen und das eben mal selbst im Internet nachzulesen. Wenn man doch eh grade vorm Internet sitzt. Das nervt, kann aber ignoriert werden.

Das Thema Sexismus ist in der Punkszene nicht neu. Gerade in den USA gab es schon mit den Riot Grrrls eine Gegenbewegung, aber in der BRD war das lange Zeit weniger in der Diskussion. Oder doch?

Es gab immer wieder Bands, Fanzines, Konzertgruppen und so weiter, die sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Punk ist in Deutschland ja schon seit Anfang der 1990er ziemlich politisch, es gibt große Schnittmengen mit linken Läden/Strukturen und Antifagruppen, von daher waren da immer Leute, die sich mit dem Thema Sexismus intensiv beschäftigt haben. Nicht so großflächig und vor allem nicht so medial unterstützt wie die Riot Girls und eben jetzt #punktoo, aber auf jeden Fall vorhanden.

Zurück zum aktuellen #punktoo: Wird die Kritik, beispielsweise an toxischer Männlichkeit oder einfach der Ignoranz gegenüber dem sexistischen Normalzustand, aktiv diskutiert, aufgegriffen und umgesetzt?

Ja, das kommt jetzt nach und nach an. Ich kriege viele Themen mit, die jetzt ein halbes Jahr durchs Internet gegeistert sind und nun, wo wieder Shows stattfinden, auch angewendet werden, die ins reale Miteinander auf den Konzerten etc. übertragen, die persönlich weiter diskutiert werden. Ich merke auch, wie vielen (Cis-)Typen das Thema immer wichtiger wird und wie sie versuchen, ihr Verhalten entsprechend anzupassen, bzw. überhaupt mal über ihr Verhalten nachdenken. Das ist sehr schön zu beobachten.

Eine solche feministische oder antisexistische Kampagne ist leider meist einem extremen Shitstorm ausgesetzt. Welche Negativ-Kommentare und Angriffe kamen aus der Punkszene?

Ja, wirklich jede Menge. Androhung von (sexualisierter) Gewalt, kompromittierende Bilder, bewusst gestreute Gerüchte, Lügen, Verleumdungen. Unsere Kompetenz wurde in Frage gestellt, unser (Musik-)Geschmack, unser Urteilsvermögen, unsere Integrität … und unsere Daseinsberechtigung in der Szene. Teilweise absolut unterirdisch und mittelalterlich.

Foto: Plastic Bomb

#punktoo hat viele positive Effekte gehabt, und die Diskussion ist ins Rollen gekommen. Willst du ein paar ganz konkrete Punkte benennen, wie FLINTA sich untereinander supporten können? Wie können Cis-Männer FLINTA supporten, ohne dass es wieder eine wohlwollend-paternalistische Note bekommt? Welche Gegenstrategien gibt es ganz konkret?

Hm, also so ganz einfach ist das ganze Unterfangen wirklich nicht. Sonst wären wir ja nicht da, wo wir sind … Andererseits hat es, vor allem seitens der Cis-Typen, echt viel mit „Wollen“ zu tun bzw. der Bereitschaft, das eigene Verhalten mal zu hinterfragen. Es ist superwichtig, sich gegenseitig zuzuhören. Es bringt nichts, wenn Männer immer wissen, was für FLINTA „das Richtige“ ist. Oder wenn Männer sich gegenseitig in ihrem Männerzirkel über die Probleme von FLINTA unterhalten. Und sich am Ende gegenseitig bestätigen, was sie für tolle, aufmerksame Typen sind. Männer können mit ihren weiblichen Freundinnen sprechen bzw. ihnen zuhören. Am besten nicht nur mit denen, deren Meinung sie seit vielen Jahren kennen, sondern auch mal mit denen, deren Aussagen sie für unbequem halten. Nur so kann man sich ja entwickeln. Einfach mal ein bisschen Interesse zeigen und nicht dauernd selbst quatschen.
FLINTA sollten untereinander einfach mal in Kontakt treten, Bedürfnisse und Probleme ausloten und diese vor allem auch benennen, ohne Angst zu haben, dass man nicht hart genug ist, dass man als „zickig“ gilt oder anderweitig ausgeschlossen oder für „nervig“ befunden wird. Allianzen bilden und dann am Besten mit immer mehr Menschen darüber reden, denn nur so kann es zu einer Entwicklung kommen. Viele Menschen, vor allem Cis-Männer, denken oft, sie wären schon so irre solidarisch oder hätten einen Punkt erreicht, wo es ihnen angeblich egal wäre, ob sie jetzt „mit einem Mann oder einer Frau zu tun hätten“. Das ist aber Bullshit, denn solche Kontakte sind eigentlich immer an das „männliche Ideal“ angepasst. FLINTA verhalten sich im Punkrock „strukturell männlich“, andersrum ist das seltenst der Fall. Einfach mal den Geist öffnen und darüber nachdenken.
Denn wie schon gesagt, wenn das alles kein Problem wäre, wären wir ja nicht da, wo wir jetzt sind. Sich einfach mal fragen, ob man jetzt Teil des Problems ist … oder der Lösung.

GWR: Vielen Dank für das Gespräch – und weiter viel Energie und Erfolg mit der Kampagne!

Weitere Infos zur Kampagne: https://punktoo.de

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.