Buchbesprechung

Selbstorganisiert gegen prekäre Arbeitsbedingungen

Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte und Anerkennung – auch von DGB-Gewerkschaften

| Zoia Jafarova

Kathrin Birner und Stefan Dietl: Die modernen Wanderarbeiter*innen: Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte, Unrast Verlag, Münster 2021, 139 Seiten, 12,80 Euro, ISBN 978-3-89771-299-7

Das EU-Recht zur grenzüberschreitenden Arbeitsmigration bildet nicht nur den Rahmen, sondern auch die Grundlage für die Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft, von der Deutschland wie kein anderes EU-Land profitiert. Deutsche Politik und Gesetzgebung in der BRD wie auch in der EU ermöglichen große Kostenersparnisse und dadurch Millionenprofite für deutsche Unternehmen, die Wanderarbeiter*innen beschäftigen. Das Buch „Die modernen Wan-derarbeiter*innen“ bietet einen Überblick über diese rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Anhand von vielen konkreten Beispielen schildern die Autor*innen auch die Arbeits- und Lebensbedingungen von Wanderarbeiter*innen in verschiedenen Branchen. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Ökonomie von Werkverträgen und Subunternehmen. Hier wird allerdings fälschlicherweise behauptet, dass auf Scheinselbstständige, die mit Werkverträgen arbeiten, „die für Arbeitnehmer*innen üblichen Rechte – vom Arbeitszeugnis bis zum Kündigungsrecht – […] keine Anwendung finden“ (S. 83). Tatsächlich ist dies nur bei echten Selbstständigen der Fall (die wiederum aber Unabhängigkeit von den Auftraggebenden genießen). Scheinselbstständige gelten vor dem Gesetz als de facto abhängig beschäftigt, und ihnen stehen dieselben Rechte zu. Sie müssen aber diese Rechte durchsetzen, gegebenenfalls vor Gericht. In dem darauffolgenden Kapitel gibt es auch einige Beispiele von Scheinselbstständigen, die ihre Arbeitnehmer*innenrechte durchgesetzt haben.

Vom „ambivalenten Verhältnis“ des DGB

Dies ist das längste Kapitel, und es beschäftigt sich mit den Kämpfen von Wanderarbei-ter*innen um ihre Rechte. Es fängt an mit einem Überblick des „ambivalenten Verhältnisses“ der DGB-Gewerkschaften zu Arbeitsmigration, aus dem deutlich wird, dass die DGB-Gewerkschaften sich lange kontrollpolitisch oder ignorierend-gelähmt (weil ihre Standardwerkzeuge „Betriebsrat“ und „Tarifvertrag“ bei prekären Arbeitsverhältnissen keine Anwendung finden) verhielten. Auf vielen Ebenen wirkte der DGB aktiv gegen die Interessen von migrantischen Arbeiter*innen – mit nur wenigen Lichtblicken zwischendurch, wie der Kooperation der IG BAU mit Gewerkschaften südeuropäischer Länder in den 1990er-Jahren. Erst seit Anfang/Mitte der 2010er-Jahre haben auch DGB-Gewerkschaften und das DGB-Projekt Faire Mobilität ernsthaft angefangen, sich für die Interessen von Wanderarbeiter*innen einzusetzen. Es dauerte aber z. B. bis 2020, bevor IG BAU, als erste Gewerkschaft des DGB überhaupt, „ein Mitgliedschaftsmodell, das sich speziell an mobile Beschäftigte richtet“, schuf: eine Jahresmitgliedschaft, die nach zwölf Monaten automatisch endet und die laut der Autor*innen „so ideal auf die zeitlich befristete Migration mobiler Beschäftigter zugeschnitten ist“ (S. 106). (Während z. B. die meisten der unabhängigen anarchosyndikalistischen FAU-Gewerkschaften schon immer Mitgliedschaften flexibel an die Lebenssituation des Mitglieds anpassen konnten.)

Selbstorganisierte Arbeitskämpfe

Inzwischen bietet die 2011 gegründete Faire Mobilität nicht mehr nur Beratung und Information an, sondern unterstützt auch aktiv Arbeitskonflikte. Sie hat mehrere Forderungen von geprellten Arbeiter*innen erfolgreich durchgesetzt, manchmal gemeinsam mit DGB-Gewerkschaften. Viele dieser Konflikte werden hier kurz beschrieben. Interessanterweise am meisten Platz wird aber zwei selbstorganisierten Arbeitskämpfen gewidmet, die von FAU-Gewerkschaften unterstützt wurden: dem Kampf der Bauarbeiter bei der Mall of Berlin 2014–2019, bekannt als „Mall of Shame“, sowie dem Kampf der Saisonarbeiter*innen beim Spargelhof Ritter in Bornheim 2020. Der Abschnitt über die Mall of Berlin fällt allerdings auf durch schlechtere Stilistik und deutlich mehr Korrektur- und Faktenfehler als im Rest des Kapitels, was durch die übersichtliche und leicht zugängliche Dokumentation der FAU Berlin zu dem Fall einfach hätte vermieden werden können. Hingegen wird der Kampf beim Spargelhof Ritter sehr anschaulich und im Detail beschrieben und mit einem Interview mit einer der streikenden Wanderarbeiter*innen ergänzt. Diese zwei Kämpfe stehen aber nur so da am Ende des Kapitels. Die Autor*innen stellen sie nicht in einen Zusammenhang mit der Gewerkschaftslandschaft allgemein und deren Veränderung in den letzten Jahren oder etwa mit der wachsenden Bereitschaft auch bei DGB-Gewerkschaften, sich der Arbeitskonflikte von Wanderarbeiter*innen anzunehmen. Schon vor 2014 und der Kampagne „Mall of Shame“ hatte insbesondere IG BAU vereinzelt Konflikte von Wanderarbeiter*innen unterstützt. Den „zum Symbol für den Widerstand migrantischer Beschäftigter gegen Ausbeutung und Lohnraub“ (S. 115) gewordenen Kampf „Mall of Shame“ versuchte absurderweise der Pressesprecher des DGB Berlin-Brandenburg Dieter Pienkny wiederholt als angeblich vom DGB geführt zu vereinnahmen (1). Inwiefern gerade dieser Arbeitskampf die DGB-Gewerkschaften dazu anreizte, sich endlich auch – nicht nur in Ausnahmefällen oder rein informativ und beratend, sondern aktiv – mit Arbeitsmigrant*innen zu solidarisieren, erwähnen die DGB-nahen Autor*innen nicht.

(1) vgl. FAU Berlin: Statement zum Verhalten des DGB Berlin-Brandenburg im Arbeitskampf bei der „Mall of Shame“, 30.12.2014, https://berlin.fau.org/news/statement-zum-verhalten-des-dgb-berlin- brandenburg-im-arbeitskampf-bei-der-mall-of-shame