Energiekonzern auf der Anklagebank

Düsseldorfer RWE-Tribunal fordert Enteignung und Zergliederung

| loma

Der Energiekonzern RWE steht vor allem wegen seiner klimazerstörerischen Kohlekraftpolitik in der Kritik. Dabei gerät seine Beteiligung an der Atomkraft oftmals in den Hintergrund – ein Thema, dem sich das diesjährige RWE-Tribunal in Düsseldorf widmete. Über zentrale Anklagepunkte und das Urteil berichtet loma für die Graswurzelrevolution. (GWR-Red.)

Nach dem Muster der legendären „Russell-Tribunale“ seit 1966 gegen US-Kriegsverbrechen in Vietnam fanden inzwischen drei zivilgesellschaftlich organisierte Anklage-Tribunale gegen den transnationalen Privatkonzern RWE und dessen Kohle- und Atompolitik statt: im Juni 2021 in Lützerath beim Tagebau Garzweiler, im September 2021 beim RWE-Hauptsitz in Essen und nun zwei Tage am 23./24. April 2022 in Düsseldorf. Nachdem bei den ersten beiden Tribunal-Tagungen die desaströse, landzerstörende und klimafeindliche Kohlepolitik der RWE im Mittelpunkt stand, war es nun deren Atompolitik, die sie seit Jahren weiterverfolgte, als hätte es den Ausstiegsbeschluss von 2011 nie gegeben.

Zeug*innen gegen die RWE-Atomproduktion

Die siebenköpfige Jury war besetzt mit zivilgesellschaftlichen Mitgliedern sozialbewegter Initiativen, etwa aus der Klimagerechtigkeitsbewegung oder auch aus dem „Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung“. Als Zeug*innen zum Thema RWE-Atompolitik sprachen u. a. Vladimir Slivyak von der russischen Umweltorganisation Ecodefense, Träger des diesjährigen Right-Livelihood-Award und Gegner von Putins Kriegspolitik, sowie die langjährige Anti-Atom-Kletteraktivistin Cécile Lecomte, nebenbei Autorin und Mitherausgeberin der GWR.
An der Urananreicherungsanlage URENCO in Gronau ist die RWE ebenso wie E.ON zu einem Sechstel beteiligt. Slivyak kritisierte vor allem, dass von Gronau aus mehrere Hunderttausend Tonnen Atommüll nach Russland transportiert wurden und auch im Krieg noch werden. Der Atommüll verschwinde dort hinter den Zäunen von „Closed Sites“, also unzugänglichen Lagerstätten.
Im Anschluss daran skandalisierte Cécile Lecomte, dass 40 % des Urans, das in europäischen Atomkraftwerken (AKWs) genutzt wird, aus Russland und Kasachstan kommt. Damit ist bei Uran die Abhängigkeit von Russland größer als die bei Gas und Kohle. Doch auch Atomkraft komme ohne Kohle nicht aus: Fast die Hälfte des Stroms für die Anlage in Gronau stamme aus Kraftwerken, die Kohle aus dem Rheinischen Braunkohle-Revier verstromen. Außerdem setzt die Bundesregierung auf weiteren Uranabbau im Niger, doch auch der sei ohne Kohlekraftwerke nicht möglich. Was für ein Zufall, dass soeben die „zeitengewendete“ Bundesregierung ihren Bundeswehreinsatz in Mali von 1.100 auf nunmehr 1.400 Soldat*innen erhöht und auf den Niger ausgeweitet hat. (1)

Der unmissverständliche Schuldspruch der Jury

Auf der Basis dieser und anderer umfassender Zeug*innenaussagen gegen die RWE formulierte die Jury am 24. April 2022 ihr Urteil. In den Mittelpunkt stellte sie dabei neben den genannten Umweltverbrechen auch das von der RWE praktizierte System der „Einfluss-Strategien“, einer Mischung aus harter Repression und weichen Dialog-Methoden, die Zeugin Andrea Brock bei ihrer Aussage als Aufstandsbekämpfung seitens des Konzerns, „corporate counterinsurgency“, bezeichnet hatte. Als harte Methoden zählte die Jury im Urteil auf: „RWE-Gegner werden eingeschüchtert, bedroht, strafrechtlich verfolgt, körperlich angegriffen und als ‚Ökoterroristen‘ kriminalisiert.“ Dies werde mit lächerlichen Einladungen zu Gesprächskreisen und Beiräten ohne jede Entscheidungsbefugnisse flankiert. Die Finanzierung von Sportvereinen und wissenschaftlichen Projekten gelte nur unter Maßgabe kritikloser Übernahme der Unternehmensziele.
Schließlich geißelte die Jury in ihrem Urteilsspruch die hohe lokale Korruption, d. h. „die Einbindung von gewählten Politiker*innen durch finanzielle Vorteile wie sechsstellige ‚Honorare‘ für ‚nebenberufliche Tätigkeiten‘, vierstellige Sitzungsgelder, Aufwandspauschalen und andere geldwerte Vorteile“ für korrupte Lokalpolitiker*innen. Damit folgte die Jury Zeug*innenaussagen etwa gegen NRW-Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach, die schon in die Räumung des Hambacher Forstes verwickelt war und die dann, nach dem Gerichtsurteil, dass diese Räumung illegal war, die Stadt Kerpen nötigte, gegen das Gerichtsurteil Widerspruch einzulegen.
So haben die Zeug*innen-aussagen umfangreiches Belastungsmaterial gegen die RWE zutage gefördert, und die Jury hat in ihrem Urteilsspruch folgerichtig gefordert, die RWE müsse „enteignet oder mindestens zergliedert“ werden sowie „Schadensersatzleistungen“ für „sämtliche durch ihre Geschäftstätigkeit verursachten Kosten für die Allgemeinheit“ aufbringen. Die RWE-Tagebaue und deren Kohleverbrennung müssten ebenso beendet werden wie die Urananreicherung für AKWs. (2)
Doch die bürgerliche Presse interessierte sich nicht für das Tribunal und ihren Urteilsspruch. So müssen – wie schon des Öfteren – die libertären Alternativmedien aktiv werden und den Skandal ans Licht bringen, dass heute über die Gasabhängigkeit von Russland tagein, tagaus debattiert wird, aber die Uran-Abhängigkeit von Russland nicht einmal in Ansätzen öffentlich thematisiert wird.

(1): https://www.zeit.de/politik/2022-05/bundeswehr-mali-niger-verlaengern-soldaten-frankreich?.
(2): Videos der Anklageverlesung sowie der vollständige Urteilstext sind auf der Homepage des RWE-Tribunals dokumentiert unter https://www.rwe-tribunal.org/tribunal-düsseldorf .