Wie steht es um Lützerath?

Wie wir an der Kante am guten Leben für alle arbeiten

| Mona von der Initiative Lützerath lebt

Lützerath – ein Dorf am Abgrund: Die monströsen Braunkohlebagger haben sich auf 120 Meter herangegraben. Um dafür zu sorgen, dass die Kohle im Boden und das Dorf obendrauf bleibt, leben Menschen dort – aber entschlossen! Damit blockieren wir die Zerstörung in Solidarität mit den Menschen im Globalen Süden, die seit Jahrhunderten Widerstand gegen Kolonialismus und Umweltzerstörung leisten. Zelte, Hütten, Baumhäuser und Häuser sind unser Zuhause, und echte Klimagerechtigkeit ist unser Ziel

Die aktuelle Regierung hat letzten Herbst in den Koalitionsvertrag geschrieben: „Die im dritten Umsiedlungsabschnitt betroffenen Dörfer im Rheinischen Revier wollen wir erhalten“ – ein Erfolg, der noch vor kurzer Zeit und ohne den Widerstand aus diesen Dörfern undenkbar gewesen wäre. Über Lützerath jedoch „werden die Gerichte entscheiden“ – womit die Politik hoffte, sich elegant aus der Affäre ziehen zu können.
Am 28. März 2022 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster, dass eine vorzeitige Besitzeinweisung aller Lützerather Flächen an den Energiekonzern RWE zulässig, das heißt eine Abbaggerung auch ohne vorheriges Enteignungsverfahren möglich sei. In der Begründung dazu heißt es, der Rechtsstreit betreffe „klimapolitische Forderungen, die im geltenden Recht keine Grundlage haben und an den Gesetzgeber zu richten wären“. Eckardt Heukamp, der letzte Grundeigentümer in Lützerath, wollte nicht länger der „Spielball“ in diesem Konflikt sein und gab nach zehn Jahren Widerstand schließlich den Verkauf seines Hofes und Grundes an RWE bekannt.

Was machen wir gerade?

Der Kaufvertrag beinhaltet die Abmachung, dass Eckardt bis Anfang August bzw. September Zeit hat, sein Grundstück bzw. sein Haus zu verlassen. Die akute Räumungsbedrohung ist damit vom Tisch.
Das bedeutet, dass in Lützerath für den Moment Entspannung eingekehrt ist. Gleichzeitig sind Wiese und Bäume grün geworden, alles blüht, und Vögel, Insekten und Eichhörnchen tollen herum. Endlich haben wir Zeit und Energie, uns mit Herzensprojekten zu beschäftigen: Unserer Skatehalle, dem Bau eines Strohballenhauses als Beispiel für eine zukunftsfähige Bauweise oder unserem Acker, auf dem wir eine Form kollektiver Landwirtschaft ausprobieren. Wir säen und pflanzen Gemüse und Blühpflanzen, entfernen Beikraut und treffen uns jeden Abend zum gemeinsamen Gießen. Die erste Ernte von Radieschen ist bereits ein voller Erfolg!

Kämpfe verbinden

Darüber hinaus finden viele Veranstaltungen statt: Anfang April feierten beim Frühlingsfest hunderte Menschen aus den umliegenden Dörfern mit uns den Beginn der warmen Jahreszeit bei veganen Essensständen, Kuchen, Musik, Kinderschminken und Infoständen. Zwei Wochen später setzten tausende Menschen bei einer Großdemo ein starkes Zeichen für den Kohleausstieg und den Erhalt von Lützerath. Ende Mai wird in Lützerath das internationalistische Jugendfestival stattfinden, organisiert in Zusammenarbeit mit der Organisation Make Rojava Green Again. Ein buntes Programm soll Raum zum Kennenlernen und Austausch mit unseren kurdischen Freund*innen und allen anderen solidarischen Menschen schaffen. In unseren Träumen von einer anderen Welt wollen wir eine gemeinsame Kultur des Widerstands entwickeln.
Wir lernen immer mehr, wie uns Vernetzung und das Verbinden von Kämpfen stärker machen. Sei es die Zusammenarbeit mit Alle Dörfer bleiben und Kirche im Dorf lassen, der Empfang der Zapatistas letzten Sommer oder unsere Teilnahme an der Karawane für das Wasser und das Leben in Mexiko: Mit gemeinsamer human power und einer diversity of tactics können wir so viel erreichen!

Wie können wir gut miteinander leben?

Neben dem Erhalt von Lützerath ist in unserem Hiersein ebenso wichtig, eine alternative Art zu leben auszuprobieren: Miteinander, solidarisch, offen für alle. Wir können nicht aus reinem gutem Willen diskriminierungsfreie Räume schaffen – da wir alle in einem toxischen System sozialisiert wurden, werden auch hier erlernte Unterdrückungsmuster reproduziert. Als Teil unserer Utopie arbeiten wir jedoch stetig an uns persönlich und an uns als Community, um durch Bildungsarbeit und Aufarbeitung verschiedene Arten von Diskriminierung Stück für Stück abzubauen.
Wir glauben an eine Organisierung von unten, in der wir die Organisation unseres alltäglichen Lebens genauso wie große Entscheidungen kollektiv selbst in die Hand nehmen. Informelle Hierarchien abzubauen bzw. sie gar nicht entstehen zu lassen, ist in der Praxis eine Herausforderung. Der Kapitalismus als System ist darauf ausgerichtet, uns als Personen zu vereinzeln und konkurrieren zu lassen. Unsere wirksamste Waffe gegen ihn und seine Symptome – etwa die unfassbar große Kohlegrube, die uns verschlucken will – ist, aufeinander zu achten, füreinander da zu sein und uns widerständig zusammenzuschließen.
Wir als Bewohner*innen Lützeraths haben seit Oktober letzten Jahres mit einer Räumung und Zerstörung des Dorfes gerechnet. Stattdessen sind wir immer noch hier, versuchen, das gute Leben für alle zu organisieren, und freuen uns auf einen Sommer voller spannender Veranstaltungen. Zu gegebener Zeit werden wir wieder Vorbereitungen auf einen Räumungsversuch aufnehmen. Momentan ist unser Zuhause aber vor allem ein Ort großer Pläne, kreativer Energie und – einfach schön. Lützi lebt!