Kämpferischer Kooperativismus

Die selbstverwaltete Fabrik VIO.ME braucht Unterstützung

| Griechenland Solidaritätskomitee Köln

Die meisten kennen die biologischen und veganen Seifen und anderen Reinigungsmittel der griechischen Kooperative VIO.ME, die auch hierzulande bei vielen solidarischen Vertrieben und Läden erhältlich sind. Weniger bekannt ist, wie die in Arbeiter*innen-Selbstverwaltung organisierte Fabrik in Thessaloníki, über die die GWR schon mehrfach berichtete, weiterhin um ihr Überleben und gegen behördliche Schikanen kämpfen muss. Das Griechenland Solidaritätskomitee Köln gibt einen Überblick über Geschichte und Gegenwart eines Projekts, das beweist, dass ein anderes Arbeiten möglich ist. (GWR-Red.)

Das Griechenland Solidaritätskomitee Köln (GSKK) hat sich im Sommer 2012 als überparteilicher Zusammenschluss antikapitalistisch eingestellter Menschen gegründet, als die südeuropäischen Länder, vor allem Griechenland, besonders unter dem Diktat der Troika und der EU-Auflagen litten. Unsere Intention war zum einen, den Fehlinformationen der bürgerlichen Medien und ihrer Hetzkampagne entgegenzutreten. Zum anderen wollten wir die sozialen Widerstandskämpfe aktiv unterstützen. Dies geschah z. B. in Bezug auf die „Soziale Solidaritätsklinik von Thessaloníki“ (KIATHESS), den Kampf gegen die Wasserprivatisierung in Griechenland, das Projekt „O TÓPOS MOU“ in Kateríni, die „Gärtner“ (PERIVOLÁRIDES) in Thessaloníki und natürlich die selbstverwaltete Fabrik der VIO.ME.

Den Betrieb selbst übernommen

Die VIO.ME (Viomichanikí Metalleftikí) war eine Fabrik in Thessaloníki, die als eine der drei Tochtergesellschaften der Unternehmensgruppe FILKERAM AG Baustoffe herstellte. Im Sommer 2011 verließ die Eigentümerin klammheimlich die Fabrik, ohne den Arbeitnehmer*innen formell zu kündigen. Die Kolleg*innen verloren somit ihren Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld. Seit Monaten hatten sie keinen Lohn mehr erhalten. Daraufhin besetzten sie den Betrieb und verhinderten jeden unberechtigten Zugriff auf den Maschinenpark und die Rohstoffe. Die Muttergesellschaft hatte VIO.ME und der gesamten Unternehmensgruppe massiv Liquidität entzogen und Schulden in einer Größenordnung von mindestens 20 Mio. Euro verursacht.
Seit Jahren läuft ein kompliziertes Insolvenzverfahren gegen die FILKERAM AG, um die Immobilien der ehemaligen Unternehmensgruppe zu versteigern. Die Zwangsliquidation der FILKERAM umfasst auch das Betriebsgelände der VIO.ME. Doch während die umfangreichen Rechtsansprüche der Kolleg*innen (ausstehende Löhne, gesetzliche Abfindungen) aus den noch immer ungekündigten Arbeitsverhältnissen vom Konkursverfahren juristisch nicht anerkannt werden, sind die Vermögenswerte der VIO.ME-Tochtergesellschaft Bestandteil der Insolvenzmasse. Dabei wäre eine Aussonderung und Abtrennung des Firmengeländes der VIO.ME von der Insolvenzmasse sowohl formaljuristisch als auch praktisch möglich. Genauso wäre die Anerkennung des uneingeschränkten Nutzungsrechts der Fabrikanlagen der früheren VIO.ME AG sowohl gesetzmäßig als auch regelkonform durchführbar. Stattdessen hat es inzwischen mehr als 25 Zwangsversteigerungstermine gegeben, die alle erfolglos blieben.
Die Kolleg*innen haben einen langen Atem und konnten eine breite landesweite und internationale Solidaritätskampagne mobilisieren. Mit Unterstützung von Solidaritätsstrukturen, sozialen Netzwerken und Basisgewerkschaften haben sie wiederholt erfolgreich die Zwangsversteigerung ihrer Fabrik verhindert. Seit 2013 produziert die Belegschaft in Eigenregie umweltfreundliche Seifen und Reinigungsmittel ohne chemische Zusätze.

Selbstverwaltung im Praxistest

Bei der Organisation der Abläufe beachten die Kolleg*innen der VIO.ME die folgenden Grundsätze: Erstens werden alle anstehenden Entscheidungen ausschließlich von der wöchentlichen Betriebsversammlung gefällt. Es gibt keine „Managementstrukturen“. Alle anfallenden Aufgaben werden nach dem Rotationsprinzip abgearbeitet. Der Arbeitsablauf funktioniert auch ohne Boss reibungslos. Zweitens gibt es keine Lohndifferenzierung. Alle Kolleg*innen bekommen den gleichen Lohn.
Auf einer höheren Ebene geht es um den Umgang mit der so genannten Marktlogik. Was für Produkte soll ein zurückeroberter und selbstverwalteter Betrieb herstellen? Die technischen Rahmenbedingungen spielen hier eine untergeordnete Rolle. Die Kolleg*innen der VIO.ME haben sich für die Herstellung von Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs entschieden. Sie beziehen auf die Art und Weise Stellung gegen die kapitalistische Wegwerfgesellschaft und ihre Folgen. Konsequenterweise nehmen sie auch keine Auftragsfertigung von anderen Firmen an und lehnen jede Form von flexibilisierten Arbeitsverträgen strikt ab. Diese Haltung vertreten sie vehement auch gegenüber allen anderen Selbsthilfeprojekten in Griechenland.
Seit Jahren durchlebt Griechenland ein noch nie dagewesenes Ausmaß der sozialen Prekarisierung. Zurzeit sieht es so aus, als seien die sozialen Kämpfe stark zersplittert. Doch die beachtliche Gegenwehr der besonders getroffenen Schichten wird von zahlreichen Initiativen, Kollektiven, linken Bündnissen und Basisgewerkschaften getragen.
VIO.ME ist Teil dieses politischen Widerstandes. Die Kolleg*innen unterstützen aktiv andere betriebliche und soziale Abwehrkämpfe, z. B. den Kampf gegen den Goldabbau auf Chalkidikí, die Geflüchtetenhilfe und den Widerstand gegen Rassismus. Auf ihrem Fabrikgelände befindet sich eine Zweigstelle der „Sozialen Solidaritätsklinik von Thessaloníki“ (KIATHESS). In all diesen Jahren haben sie mit Erfolg mehrere politische und kulturelle Veranstaltungen auf dem VIO.ME-Gelände organisiert. VIO.ME ist nicht nur eine zurückeroberte und selbstverwaltete Fabrik, sondern auch ein sozio-kulturelles Zentrum mit einem hochpolitischen Profil. Die Kolleg*innen haben einen Namen für ihren Ansatz: kämpferischer Kooperativismus.

Staatliche Repression und Schikanen

Die bösartigen Schikanen und juristischen Repressionen haben niemals aufgehört. Währenddessen führten das Arbeitsministerium und die anderen involvierten Behörden unendliche Verhandlungen mit den Kolleg*innen, um angeblich eine Lösung ihrer Probleme zu finden. Immerhin konnte die Belegschaft durchsetzen, dass ihr Projekt als Sozialkooperative mit eigener Steueridentifikationsnummer registriert wurde. Mit dieser Teillegalisierung haben sie Anspruch auf Strom- und Wasserversorgung im Namen und auf Rechnung der gesetzlich registrierten Sozialkooperative SE.VIOME.
Doch die griechische Regierung unter Ministerpräsident Kyriákos Mitsotákis wollte die Zerschlagung des selbstverwalteten Betriebs mit allen Mitteln erreichen. Da die unzähligen Zwangsversteigerungstermine ergebnislos blieben, stellte der staatliche Stromversorger DEI am 30. März 2020 unter dem Vorwand alter unbezahlter Schulden des früheren Eigentümers den Strom ab. Der Staat versuchte das Versammlungsverbot inmitten der Corona-Krise auszunutzen, um Proteste und Solidaritätsbekundungen zu verhindern. Die polizeiliche Aktion fand auf martialische Weise in den frühen Morgenstunden statt. Von der böswilligen Stromabschaltung ebenfalls betroffen ist die dortige Zweigstelle der Solidaritätsklinik.
Die solidarischen Netzwerke wurden wieder aktiv. Das „Griechenland Solidaritätskomitee Köln“ startete im Frühjahr 2020 eine Spendenkampagne für die Anschaffung eines Generators, die ca. 14.000 Euro einbrachte. Fast gleichzeitig lief eine weitere Kampagne unter dem Motto „Fight the dirty conditions everywhere! – Die selbstverwaltete Fabrik VIO.ME und die Geflüchteten in Mória unterstützen“. Diese Solidaritätsaktion wurde von „Beyond Europe“ und dem „Ums-Ganze-Bündnis“ organisiert. In Absprache mit den Kolleg*innen der VIO.ME wurde dazu aufgerufen, Seife durch Spenden zu kaufen, die dann an die Geflüchteten auf Lésbos geschickt wurde.
Seit der Stromabschaltung wird die Produktion in der Fabrik mit Hilfe von drei kleineren Generatoren aufrechterhalten. Die Kolleg*innen kämpfen weiter, um den Wiederanschluss an die Stromversorgung zu erreichen. Ihre Devise: „Wegen zwei Stromkabeln wird VIO.ME nicht dichtmachen“.

Steigende Rohstoffpreise als Bedrohung

Die Zwangsversteigerung ist eine reale Gefahr, die ständig über den Köpfen der Kolleg*innen schwebt. Die Versteigerung der Immobilien, die weiterhin in regelmäßigen Abständen stattfindet, wird nicht mehr im Gerichtssaal, sondern elektronisch abgewickelt. Der Staat versucht auf diese Weise, Protestaktionen zu unterbinden.
Vor Kurzem haben uns die Kolleg*innen mitgeteilt, dass das Jahr 2022 eine existenzielle Herausforderung für sie darstellt. Sie sind mit enormen Preissteigerungen bei den Rohstoffen und beim Dieselkraftstoff für die Generatoren konfrontiert. Sie haben ständig Probleme mit der Liquidität. Die seit langem anhaltende Wirtschaftskrise in Griechenland drückt erheblich auf das verfügbare Einkommen der sozial schwachen Schichten. Die Menschen denken gar nicht mehr über zusätzliche Einkäufe zur persönlichen Hygiene nach. Unter diesen Umständen bröckelt auch die Bereitschaft für politisch motivierte Solidaritätsgesten. VIO.ME hat große Probleme, Aufträge zu bekommen. Vor allem die Exporte, die früher eine große Stütze waren, sind dieses Jahr bedrohlich zurückgegangen.
Aber die Kolleg*innen verlieren nicht den Mut, fahren regelmäßig die Produkte mit ihrem VIO.ME-Transporter aus und beliefern auch ländliche Gebiete des Landes. Und verbinden den Vertrieb ihrer Produkte mit der Botschaft, „dass eine andere Ökonomie möglich ist, nämlich die durch Arbeiter*innenkontrolle der Produktion und Selbstverwaltung; eine Ökonomie, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt und nicht die der Bosse.“

VIO.ME braucht weiterhin unsere Unterstützung

Anfang Juni dieses Jahres organisierte VIO.ME eine zweitägige politische und kulturelle Veranstaltung zu ihrem neunjährigen Bestehen als selbstverwaltete Fabrik. Das ist eine immense Leistung. Vor allem wenn mensch bedenkt, dass die Kolleg*innen einen Lohn zwischen 350 und 400 Euro monatlich bekommen.
Doch jetzt wird die Luft ziemlich dünn; das Überleben der Fabrik steht auf dem Spiel. Aus diesem Grund haben sie wieder eine neue Kampagne gestartet, um den Vertrieb ihrer Produkte zu steigern und auszuweiten. Wir vom Griechenland Solidaritätskomitee Köln wollen die Kampagne auch in Deutschland unterstützen. Wir wenden uns an gewerkschaftliche und betriebliche Strukturen, zivilgesellschaftliche Gruppierungen und Netzwerke, aber auch an Einzelpersonen, um sie zu motivieren, sich mit den Erzeugnissen der VIO.ME-Kolleg*innen zu versorgen – auch kleine Bestellmengen sind willkommen. Es gibt in Deutschland eine Reihe von Solidaritätsläden, die das VIO.ME-Sortiment führen und basisnah ausliefern.
Bitte helft der VIO.ME, das weitere Überleben zu sichern. Solidarität ist unsere Stärke!

Bezugsquellen für VIO.ME-Produkte in Deutschland:
http://gskk.org