Black Box Abschiebegefängnis

Antirassistische Unterstützung für Menschen in Abschiebehaft

| Interview: Silke

Institutioneller Rassismus gegenüber Geflüchteten hat viele Gesichter, aber zu den krassesten Formen gehört sicherlich die Abschiebehaft: die monatelange Inhaftierung von Menschen, deren einziges „Vergehen“ es ist, vor Krieg, Verfolgung und Not geflohen zu sein und ein besseres Leben zu suchen. Im Interview mit der Graswurzelrevolution beschreiben Aktivist:innen der Kampagne „Hannover solidarisch“ die Zustände im Abschiebegefängnis Langenhagen, wo sie seit Jahren regelmäßig inhaftierte Refugees besuchen und unterstützen. (GWR-Red.)

GWR: Worin besteht eure Arbeit und Unterstützung für die Menschen in Abschiebehaft?

Hannover Solidarisch: Wir führen Gespräche mit den Gefangenen, um zu verhindern, dass sie vollkommen isoliert und – oftmals mit ihrer Verzweiflung – alleingelassen werden. Wir unterstützen sie zuweilen auch mit materiellen Dingen, die sie benötigen und im Knast nicht bekommen oder sich nicht leisten können. Wir stellen ggf. auch Kontakt zu Angehörigen und Freund:innen her. Rechtliche Beratung und Unterstützung können die Gefangenen durch den Flüchtlingsrat Niedersachsen bekommen. Manchmal können wir auch dabei unterstützen, z. B. um Kontakt zu Anwält:innen herzustellen oder zu halten. Die Gefangenen sollen sehen, dass es Menschen gibt, denen ihr Schicksal nicht egal ist, die diesen Skandal der Inhaftierung ohne Verurteilung, ohne eine Straftat begangen zu haben, nicht einfach hinnehmen und solidarisch mit ihnen sind.
Hin und wieder unterstützen wir Menschen auch, nachdem sie aus der Haft entlassen oder abgeschoben wurden.
Nicht zuletzt geht es uns auch darum, ein wenig Transparenz herzustellen. Der Knast ist eine Black Box. Durch unsere Gespräche mit den Gefangenen können wir Missstände an das Licht der Öffentlichkeit zerren, und manchmal ist es gelungen, diese dann auch zu beenden. Es soll deutlich werden, dass da welche hingucken. Das kann – so zumindest unsere Hoffnung – allzu willkürliche Behandlung eindämmen.

Den Betroffenen wird nichts Strafbares vorgeworfen. Warum werden sie eingesperrt, und was ist die Rechtsgrundlage für die Abschiebehaft?

Grundsätzlich dürfen Menschen, von denen die Behörden verlangen, dass sie ausreisen, und bei denen auch kein „Abschiebungshindernis“ besteht, unter bestimmten Voraussetzungen inhaftiert werden, um sicherzustellen, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Aufenthaltsgesetz sieht vor, dass Menschen in Abschiebehaft genommen werden können, wenn die Behörden vermuten, dass „Fluchtgefahr“ besteht. Die Ausländerbehörde beantragt Haft beim Amtsgericht, das darüber in meist sehr kurzen Verfahren, und fast immer, ohne dass die betroffene Person anwaltlichen Beistand hätte, entscheidet.

Die Menschen in Abschiebehaft wurden oft sehr überraschend und unvorbereitet aus ihrem Alltag gerissen. Könnt ihr dafür ein paar Beispiele nennen?

Viele von uns besuchte Gefangene wurden in Behörden verhaftet, für sie meist völlig überraschend. Sie wurden in aller Öffentlichkeit mit Handschellen abgeführt, ein für alle zutiefst beschämender und nicht verständlicher Vorgang, der sie als Straftäter:innen erscheinen lässt.
Wir hatten z. B. Kontakt zu einem Mann aus Indien. Er lebte über zehn Jahre in Deutschland und wurde verhaftet, als er in einer Schichtpause bei seiner Arbeit seine Duldung verlängern wollte. Er hat seinen Jahresurlaub für die Abschiebungshaft genommen. Sein Arbeitgeber rief täglich an und fragte, wann er endlich wieder zur Arbeit kommen kann. Aufgrund seiner guten sog. Integrationsleistung ist er, nach Wochen der Inhaftierung, beim Haftprüfungstermin entlassen worden. Er ist dann „freiwillig“ ausgereist.
Ein Mann, der bereits 22 Jahre in Deutschland gelebt hatte, wurde bei der Verlängerung seiner Duldung auf der Ausländerbehörde unerwartet verhaftet. Dieselbe Ausländerbehörde hatte ihn vorher mehrmals als Dolmetscher eingesetzt. Er war bei den Übersetzungen schon dreimal Zeuge von Verhaftungen geworden. Er meinte zu uns sarkastisch: „Beim vierten Mal war ich es selbst“.
Ein Mann aus Pakistan, der in Italien aufgrund eines Schutzstatus einen Aufenthaltstitel hat und sich damit auch in Deutschland aufhalten darf, wurde bei einem Besuch bei Freund:innen in Deutschland verhaftet. Weder Polizei noch das Amtsgericht interessierten sich für seine italienischen Papiere. Die Ausländerbehörde wollte ihn nach Pakistan abschieben, das Amtsgericht ordnete zwei Monate Abschiebungshaft an. Der vom Flüchtlingsrat organisierte Anwalt wies beim Haftprüfungstermin darauf hin, dass der italienische Ausweis des Mannes in der Asservatenkammer der JVA Langenhagen liegt. Das Gericht hat daraufhin die sofortige Freilassung angeordnet. Da war der Mann bereits zwei Monate rechtswidrig in Haft.

Wie sind die Haftbedingungen? Sind sie wenigstens besser als in den normalen Gefängnissen?

Das Abschiebegefängnis in Langenhagen unterscheidet sich 
weder baulich noch vom Vollzug her wirklich von einer Justizvollzugsanstalt (JVA) für Strafgefangene. Von Stacheldraht umgeben, mit vergitterten Fenstern und ausgestattet wie ein Hochsicherheitsknast spricht das Gefängnis allein schon in architektonischer Hinsicht der Behauptung Hohn, Abschiebungshaft sei etwas anderes als Strafhaft.
Die Menschen sind in ihren Trakten eingesperrt und können nur zu bestimmten Zeiten in den Hof. Besuch ist zwar häufiger und unkomplizierter möglich als in Strafhaft, ist aber immer noch sehr reglementiert und findet unter Aufsicht statt.
Auch das Mitbringen von Dingen ist nicht problemlos möglich. Es ist oft undurchschaubar und unterliegt einer gewissen Willkür, was den Gefangenen in welchen Mengen mitgebracht werden darf.

Gibt es Dolmetscher:innen und mehrsprachige Hilfestellungen, damit die Menschen sich mit der Gefängnisbürokratie und der Abschiebedrohung auseinandersetzen können?

Viele der Inhaftierten, zu denen wir Kontakt hatten, wussten nicht einmal, weshalb sie in Haft sind, und erfuhren es häufig auch in der Anhörung vor der:dem Richter:in aufgrund von fehlenden Dolmetscher:innen nicht. Bis dahin dachten sie, Deutschland sei ein Rechtsstaat, in dem nur Straftäter:innen verhaftet werden. Sie konnten sich nicht vorstellen, wegen einer Ordnungswidrigkeit, nämlich dass sie einer Ausreiseaufforderung nicht nachkommen, ins Gefängnis zu kommen.
Dolmetscher:innen, mit deren Hilfe Flüchtlingsrat-Aktivist-:innen den Inhaftierten dann ihre Situation erklären, muss der Flüchtlingsrat selbst organisieren. Die Behörden stellen keine. Und wir müssen uns für unsere Gespräche auch selbst um Übersetzer:innen kümmern.

Bekommen die Betroffenen eine juristische Beratung, oder haben sie Zugang zu Anwält:innen?

Es gibt keinen Anspruch auf eine:n Pflichtverteidiger:in bei der Anhörung vor der:dem Haftrichter:in. Deshalb finden auch so viele unrechtmäßige Inhaftierungen statt. Der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover und der Aktivist Frank Gockel aus Paderborn vertreten Abschiebegefangene seit vielen Jahren. Über die Hälfte der Inhaftierten war zu Unrecht in Haft, wie Gerichte im Nachhinein festgestellt haben.
Die Forderung nach einer:einem Pflichtverteidiger:in wird daher von vielen Seiten schon lange gestellt. In Niedersachsen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen nun im Koalitionsvertrag angekündigt, dass eine Pflichtverteidigung eingeführt werden soll. Wir werden das natürlich verfolgen. Aber es ist nur ein geringer Trost dafür, dass sich die neue Landesregierung nicht vollkommen von Abschiebehaft verabschieden will.

Wie ist die Lage von Menschen mit besonderen Schutzbedürfnissen, z. B. von Minderjährigen, schwer Erkrankten oder Menschen in psychischen Ausnahmesituationen?

Das Gesetz lässt die Inhaftierung von Minderjährigen oder Familien mit Kindern „in besonderen Ausnahmefällen“ und unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu. Wir hatten Kontakt zu einem jungen Menschen, der selbst angegeben hatte, minderjährig zu sein. Die Behörden hatten dies angezweifelt. Er wurde in Handschellen zur „Handuntersuchung“ nach Hamburg gefahren, ohne dass er wusste, wohin es geht. Nach der Untersuchung wurde er für volljährig erklärt.
Die Inhaftierung ist für die allermeisten ein großer Schock. Viele der Gefangenen sind ohnehin schon schwer psychisch belastet. Unschuldig im Gefängnis zu sitzen, das Leben in Deutschland zerstört, die Abschiebung vor Augen: Das führt nicht selten zu einem psychischen Zusammenbruch. Es gibt immer wieder Fälle von Selbstverletzungen oder sogar Selbsttötungen, wie der Suizid von Arumugasamy Subramaniam.
Wer als suizidgefährdet gilt, wird ggf. in kameraüberwachte Zellen gesperrt, was nicht wirklich zur psychischen Stabilisierung beiträgt. Aber die JVA hat kein Interesse daran, dass sich jemand wirklich etwas Schweres antut, deshalb werden schwer Erkrankte i. d. R. ärztlich untersucht. Das führt aber nur selten dazu, dass die Menschen für „haftunfähig“ erklärt und entlassen werden.

Hat die Pandemie die Situation in den Gefängnissen und den Haftalltag nochmals verschärft?

Die Gefangenen kommen seit Beginn der Pandemie nach ihrer Verhaftung grundsätzlich für sechs Tage in Quarantäne. Früher waren es gar 14 Tage. In dieser Zeit sind sie ausschließlich einzeln untergebracht und dürfen keinen Kontakt zu anderen Gefangenen haben. Sie befinden sich faktisch in Einzel- bzw. Isolationshaft. Während überall die Menschen wieder zu Massenveranstaltungen gehen, kommen die Abschiebegefangenen, auch wenn sie negativ getestet sind, für sechs Tage quasi in Isolationshaft.
Während der Quarantäne gibt es nicht einmal Zugang zum Internet. Skype-Besuche von Familienangehörigen und Freund:innen sind zwar theoretisch auf Antrag der Gefangenen auch in der Quarantäne möglich. Ob diese Möglichkeit ausreichend kommuniziert wird, ist fraglich.

Wie können die Betroffenen am besten unterstützt werden? Könnt ihr ein paar Tipps aus eurer Praxis geben?

Das beste wäre natürlich, dass die Menschen erst gar nicht in Haft kommen. Dafür wäre eine Pflichtverteidigung beim Anhörungstermin vor dem:der Haftrichter:in wichtig. Es können auch juristische Laien Menschen zu diesem Anhörungstermin als sog. Person des Vertrauens begleiten und vertreten.
Aber wenn jemand bereits in Haft ist, ist es i. d. R. sinnvoll, durch eine juristische Beratung und mit Hilfe von Anwält:innen gegen Haftbeschlüsse vorzugehen und gleichzeitig alle Bleibeperspektiven zu prüfen.
Mit Gesprächen kann man außerdem den Menschen Kraft und Hoffnung geben, aber sie auch organisatorisch unterstützen, sei es, um tatsächlich die Haft beenden zu können, sei es, um zumindest Dinge nach der Abschiebung zu regeln.
Wichtig ist uns, die Zustände in den Abschiebeknästen und die Geschichten der inhaftierten Menschen öffentlich zu machen. Zusammen mit weiteren öffentlichen Aktionen versuchen wir, politischen Druck auszuüben. Wir wollen, dass Abschiebungshaft als die unmenschliche Maßnahme begriffen wird, die sie ist, natürlich letztlich mit dem Ziel ihrer Abschaffung.

Danke für den eindrücklichen Überblick und für die vielen Informationen und Beispiele. Euch weiterhin viel Energie für eure wichtige Arbeit!

Weitere Informationen zur Arbeit von Hannover Solidarisch gibt es unter www.hannover-solidarisch.de