Feministischer Alltag und Kampf

Graphic Novels aus dem Hause Unrast

| Maurice Schuhmann

Janet Biehl: Reise nach Rojava, Unrast Verlag, Münster 2022, 247 S., Preis: 19,80 Euro, ISBN 978-3-89771-185-3.

Emma: Ein anderer Blick 2. Feministischer Comic gegen Mythen und falsche Glaubenssätze, Unrast Verlag, Münster 2022, 224 S., Preis: 19,80 Euro, ISBN 978-3-89771-339-0.

Rebecca Hall / Hugo Martínez: Rufe aus der Vergangenheit. Von Frauen geführte Versklavtenaufstände, Unrast Verlag, Münster 2022, 208 S., Preis 18 Euro, ISBN 978-3897711723.

Der Unrast Verlag publiziert seit mehreren Jahren auch interessante, politische und feministische Graphic Novels. Aus dem aktuellen Programm sind drei dieser anspruchsvoll gemachten Erwachsenen-Comicbücher von besonderem Interesse, die hier in einer Sammelrezeption behandelt werden.

Der zweite Band von Emmas „Ein anderer Blick“ ist mittlerweile der dritte Band der französischen Comiczeichnerin, den der Unrast Verlag herausgibt. Emma ist der Künstlername einer französischen Zeichnerin, die seit Jahren feministische Themen in autobiographisch-geprägten Comics („Ein anderer Blick“) aufarbeitet – neben Themen wie der ökologischen Krise („Ein anderer Blick auf den Klimawandel“). Sie sagt hierüber: „Mit 30 gehörte ich auf einmal – zumindest teilweise – zu denen, die das System kaputt macht. Mir wurde klar, dass ich weit davon entfernt war, die Gesellschaft zu verbessern, [sondern] zu ihrem Zerfall beigetragen hatte. – Das war mein politischer Weckruf.“ Diesem Weckruf folgend zeichnet sie mittlerweile politische Comics. Die Zeichnungen von ihr sind schlicht und zeigen meist nur Personen ohne schmückenden Hintergrund; die Texte sind intelligent und reflektiert. Für den Einstieg oder die Anregung einer Auseinandersetzung mit feministischen Themen sind diese Bände daher gut geeignet. In neun Kapiteln werden im vorliegenden Band u.a. (gesellschaftlich-akzeptierte) sexuelle Übergriffe, die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen, aber auch die Geschichte eines Freund und Helfers kritisch und pointiert erzählt. Dabei baut sie geschickt klassische feministische Theorieansätze ein, ohne dass es ins Trockene abgleitet. Die Beispiele stammen häufig aus dem französischen Kontext und sind für ein deutschsprachiges Publikum nicht immer klar. Sie führt z.B. den französischen Sänger Alain Souchon als ein Beispiel für die Verharmlosung sexueller Übergriffe an. Dieser besingt in einem Song, wie Jungen unter die Röcke von jungen Mädchen schauen. Um die Brisanz dessen zu verstehen, ist es wichtig, auch die Bedeutung jenes Sängers in der französischen Popkultur zu kennen. Generell ist es aber ein empfehlenswerter Comic, der wichtige Denkanstöße liefert.

Ebenso lohnt sich ein Blick in den von der Ökofeministin Janet Biehl verfassten und gezeichneten Comic „Reise nach Rojava“. Biehl hat lange Zeit mit Murray Bookchin zusammengearbeitet, dessen öko-libertär-kommunalistische Konzepte partiell in Rojava (Westkurdistan), den selbstverwalteten kurdischen Gebieten im Nordosten von Syrien umgesetzt werden. Sie interessiert sich für die dortige Entwicklung schon eine ganze Weile. Seit 2014/15 hat sie eine Reihe von Beiträgen über dieses Projekt verfasst und auch eine deutschsprachige Studie hierzu übersetzt. Gemeinsam mit zwei Filmemacher:innen hat sie Rojava besucht und Interviews mit Menschen vor Ort geführt. Interessant sind vor diesem Hintergrund vor allem die Passagen, wo sie die Verbindung von Bookchins Theorien und der Umsetzung in Rojava zieht. Hervorhebenswert ist auch das Kapitel über die Frauenbefreiung in den befreiten Gebieten. Allerdings finden sich auch mehrere Kritikpunkte, die nicht unerwähnt bleiben sollen. In ihrem Enthusiasmus für die Sache reproduziert Biehl ziemlich unkritisch die kurdische Befreiungsbewegung – vom Märtyrerkult um „gefallene“ Kämpfer:innen bis zum Personenkult um Abdullah Öcalan (unreflektierte Wiedergabe von Zitaten wie: „der wichtigste Kurde“, „Öcalan steht für alle kurdischen Menschen im Nahen Osten“ ). Ebenso hätte ich mir gewünscht – gerade von einer Ökofeministin – den ökologischen Anspruch des Rojava-Projekts näher zu beleuchten. Es gibt zwar ein paar Textpassagen, die sich auf offizielle Verlautbarungen beziehen, aber die konkrete Umsetzung dessen bleibt unbeachtet.

Nicht weniger interessant ist die dritte Graphic Novel: „Rufe aus der Vergangenheit. Von Frauen geführte Versklavtenaufstände“. Die afroamerikanische Historikerin und Autorin Rebecca Hall verknüpft in jener Graphic Novel eine Darstellung ihres Forschungsansatzes – mit allen Schwierigkeiten, denen sie dabei zu trotzen hat – von den blinden Flecken in den Akten bis zu strukturellen Problemen mit der Verwaltung – mit einem Teil ihrer Forschungsergebnisse, die sie fünfzehn Jahre zuvor in ihrer Promotion dargestellt hat. In ihrem intersektionalen Zugang geht es darum, die Bedeutung und aktive Rolle von versklavten Frauen in unterschiedlichen Aufständen des 18. Jahrhunderts nachzuzeichnen und einzelne Aktivistinnen aus der Vergessenheit zu holen. Die graphische Umsetzung erfolgte durch Hugo Martínez, der die Geschichte in schlichte, z. T. sehr dunkle Schwarz-Weiss-Zeichnungen überträgt. Ein lesenswerter Beitrag zur Geschichte und auch eine wichtige Reflexion über den Forschungsprozess zur Geschichte von Unterdrückten.

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