Hoffnungszeichen aus einem belarussischen Gefängnis

Maxim Znaks Zekamerone

| Ulfrid Kleinert

Maxim Znak Zekamerone, edition suhrkamp 2804Suhrkamp Verlag, 242 Seiten, 20,00 EuroISBN 978-3-518-12804-6

Neben den vielen mutigen Frauen des kurzen Sommers der Revolution in den Städten von Belarus vor zweieinhalb Jahren gab es auch Männer, die dem seit 1994 herrschenden Diktator Lukaschenka und seinen Schergen die Stirn boten. Einer von ihnen war Maxim Znak, geschätzt als charismatischer junger Anwalt, Songschreiber und Marathonläufer. Als Anwalt sahen ihn viele auf den Bildschirmen Europas neben Maria Kalesnikava, als diese, zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, zum letzten Mal für lange Zeit mit ihren Händen ein Herz bildete, bevor sie der seit 26 Jahren das Land beherrschende Diktator vor der Öffentlichkeit wegschloss. Im September 2021 wurde auch Znak selbst „wegen Gründung einer Terrororganisation“ zu zehn Jahren Strafkolonie verurteilt.
Soweit sie sich nicht rechtzeitig ins Ausland absetzen konnten, sind die BelarussInnen inzwischen verstummt, die sich nach der gefälschten Wahl ab August 2020 für viele Wochen den Truppen Lukaschenkas in den Weg stellten, als diese die Straßen durch schweres Gerät und Verhaftungen versuchten, von Millionen DemonstrantInnen freizuräumen, die zumindest ihren Willen gegen einen offenkundigen Wahlbetrug durchzusetzen bestrebt waren.
Den SympathisantInnen der Rebellen blieb nur, ihnen Briefe ins Gefängnis zu schreiben, von denen oft nicht bekannt ist, ob sie jemals ankamen. Oder ihre Landsfrauen in Vilnius, Warschau und andernorts zu unterstützen, die versuchen, wenigstens aus dem Exil heraus aufzuklären über die Ereignisse in ihrer Heimat.                                                                                                                                                                    Das Feld der öffentlichen Aufmerksamkeit besetzt inzwischen, zur Zeit leidlich unterbrochen von der türkisch-syrischen Erdbebenkatastrophe, die Kriegsführung des russischen Putinismus und der Widerstand dagegen. An Belarus interessiert jetzt nur, inwieweit es uneingeschränkt Kriegspartei an der Seite Putins wird, der 2020 Lukaschenka seine Macht gesichert hatte. So gut wie gar nicht ist die Meldung zur Kenntnis genommen worden, dass die offenherzige, eine große Freimütigkeit ausstrahlende Maria Kalesnikava im Gefängnis schwer erkrankt sei und nicht die nötige Hilfe erhalte.
Da ist es ein kleines Wunder, dass uns gerade jetzt „Geschichten aus dem Gefängnis“ von Belarus erreichen. Geschrieben hat sie Marias Anwalt Maxim Znak. Zunächst las er sie seinen elf Mitgefangenen vor, in einer engen, mit vier dreistöckigen Pritschen ausgestatteten Gefängniszelle, als sie unbeobachtet waren von den Flurwärtern. Danach „flogen die Geschichten, wie gemalt von Marc Chagall, hinweg über Gefängnismauern, Grenzen und Sprachen“, schreibt die Exilbelarussin und Dichterkollegin Valzhyna Mort im Nachwort des hier anzuzeigenden Büchleins „ZEKAMERONE“. In ihm sind nun auf jeweils rund zwei Seiten feinsinnige Storys versammelt, ins Deutsche übersetzt von Henriette Reisner und Volker Wechsel. „ZEK“ ist das belarussische Wort für „Gefangener“ (so wurden auch die Gulag-Insassen der Sowjetzeit genannt). Der in seinen Bildern Grenzen überwindende Chagall wuchs in Witebsk auf, Znak im Nachbarort, in deren beider Nähe die Wizba-Haftanstalt Nr.3 liegt, der Ort von Znaks Inhaftierung heute.
Wie für ihn selbst und seine Mitgefangenen, so können Znaks Geschichten für Lesende auch hierzulande Zeugnisse einer großen Freiheit sein. Denn Znak hat sich nicht kleinkriegen lassen durch Lukaschenkas Schergen, auch nicht durch den zermürbenden gleichförmigen Gefängnisalltag, sondern ist sich selbst treu geblieben. Am Anfang seines Buchs steht vor persönlichen Danksagungen an seine Verwandten und besonders seine Frau Nadeschda die sehnsüchtige Aufforderung: „Komm zu mir in die Hütte. Ich vermisse dich“, gefolgt von der Einsicht: „Komm besser nicht. Angst haben muss man nicht, aber ein Tag ist wie der andere. Und einen Sinn, eine Wahrheit gibt es nicht.“
Am Ort des Gefängnisses Worte alltäglicher Wahrheit zu finden, charakterisiert aber Znaks sorgfältig gestaltete Szenen des Alltags in Wizba. Sie reihen sich ein in die lange Tradition der auf wundersame Weise Mauern überwindenden Botschaften einer Freimut des Redens und Schreibens gerade am Ort ihrer besonderen Gefährdung. Das gilt von den Briefen des Paulus von Tarsus, die er aus dem Gefängnis von Ephesus nach Philippi schrieb, über Rosa Luxemburgs im ausgehenden deutschen Kaiserreich aus der Festung Wronke bei Posen und aus dem Breslauer Gefängnis geschriebene Worte bis zu Dietrich Bonhoeffers von seinem Freund Bethge unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ veröffentlichen Aufzeichnungen des Widerstands im Nationalsozialismus aus dem Berliner Gefängnis Tegel und der Prinz-Albrechtstraße. Im Unterschied zu diesen Freiheitszeugnissen geht es in Znaks Kurzgeschichten allerdings thematisch um die Wirklichkeit des Gefängnisses selbst. Um seine Insassen, seine Aufseher und Bediensteten, sogar seine Tierwelt. Um Interaktionen und Gespräche zwischen ihnen, um Kontrolle und Willkür, um Nachsicht und Zwang. In alltäglichen Szenen erzählt von einem genau beobachtenden, humorvollen, manchmal ironisch schreibenden Literaten, der in der Situation seines Schreibens als der freieste Mensch am Ort der Gefangenschaft erscheint. Wobei Gefangenschaft den Ort der Haftanstalt meint, genauso wie das ganze Land, zu dem sie gehört. Wer sein Buch liest, kann an Znaks Freiheit teilhaben. Und dabei erfahren, dass sie auch in belarussischen Gefängnissen für Augenblicke möglich, erleb- und beschreibbar ist. Valzhyna Mort schreibt    in ihrem Nachwort: „Als ihm alles genommen wurde, erwies sich sein Wille, die Welt durch Sprache und Fantasie zu verändern, als die lebenswichtigste seiner vielen Fähigkeiten.“