Russische Antimilitarist*innen gegen Putins „Spezialoperation“

| Peter Nowak

Ewgeniy Kasakow: Spezialoperation und Frieden. Die russische Linke gegen den Krieg, Unrast, Münster 2022, 248 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-89771-194-5

„Mit dem Beginn des Einmarsches der russischen Armee in der Ukraine hat die Repression gegen die Opposition in Russland massiv zugenommen. Allein in den ersten Wochen wurden 13.800 Menschen festgenommen. Es folgten zahlreiche Kommunikationssperren, Eintragungen in Extremismusregister sowie zahlreiche weitere Repressionen“, schreibt der Historiker Ewgeniy Kasakow in seinem im November 2022 im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Spezialoperation und Frieden – die russische Linke gegen den Krieg“. Auf 248 Seiten leistet der Herausgeber Pionierarbeit, weil er dort die unterschiedlichsten linken Spektren, die sich gegen den Ukraine-Krieg wenden, darstellt und politisch einordnet. In der Einleitung beschreibt Kasakow präzise den Inhalt seiner Arbeit: „Den Gegenstand des vorliegenden Bandes bilden lediglich diejenigen linken Kräfte, die sich gegen die Invasion positionieren.“ Er klammert sowohl die – vielfältigen Befür-worter*innen von Putins Entscheidung aus dem linken Lager als auch die liberalen, nationalistischen und politisch nicht festgelegten oder organisierten Kritiker*innen aus, subsumiert jedoch, wie es der aktuelle Sprachgebrauch in Russland ist, sowohl die Befürworter*innen des ukrainischen Sieges als auch die Vertreter*innen der „Gegen alle“-Position unter den Terminus „Kriegsgegner*innen“ (S.11).
Im Anschluss stellt Kasakow die verschiedenen politischen Fraktionen der russischen linken Kriegsgegner*innen vor und gibt auch einen kurzen Überblick über deren Zerklüftungen und Spaltungen. Im ersten Kapitel widmet sich Kasakow der Sozialdemokratie, dem Linkssozialismus und den Gewerkschaften. Das zweite Kapitel ist den Kriegsgegner*innen der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation gewidmet. Die größte Oppositionspartei ist längst nicht so homogen, wie sie es auch in der eigenen Propaganda sein will. Vor allem unter den jüngeren Parteimitgliedern gibt es eine wahrnehmbare Antikriegsopposition, die allerdings von der sozialkonservativen Parteiführung immer wieder gebremst wird. Doch einen endgültigen Bruch mit den Kriegsgegner*innen wagt sie nicht, weil sie dann massive Stimmenverluste befürwortet. Schließlich hatten bei den letzten Wahlen nicht wenige aus taktischen Gründen für die Kandidat*innen der KP gestimmt, weil sie die größten Chancen hatten, in die Duma zu kommen. Nach weiteren Kapiteln, in denen sich Kasakow dem Phänomen des „Linksstalinismus“ und dem Trotzkismus widmet, kommt er zu dem mit „Anarchismus/Anarchosyndikalismus/Autonome“ überschriebenen Kapitel, das GWR-Leser*innen sicher am meisten interessiert. Zunächst gibt Kasakow einen kurzen Einblick in die Geschichte der antiautoritären Bewegung nach dem Ende der Sowjetunion. 1989 gründete sich die Konföderation der Anarchosyndikalist:innen (KRAS) und ein Jahr später die bewegungsnahe Konkurrenzorganisation „Bewegung der Anarchist*innen“ (ADA). Mittlerweile gibt es von beiden Strömungen zahlreiche Abspaltungen. Manche Anarchist*innen der frühen 1990er Jahre haben mittlerweile mit dem Putin-Regime ihren Frieden gemacht, wie beispielsweise Andrei Issajew.
Auch im Lager der antiautoritären Linken gehen die Haltungen über den Krieg weit auseinander. „Aktuell verlaufen die Spaltungslinien im anarchistischen Spektrum Russlands    zwischen einer ‚Gegen Alle’-Position und einer kritischen Unterstützung der ukrainischen Selbstverteidigung“ (S. 157), schreibt Kasakow. Für erstere Position steht die anarchosyndikalistische Internationale Arbeiter Assoziation (IAA). Mit zwei IAA-Mitgliedern führte Kasakow ein Interview. „Wir verurteilen sowohl die Invasion der russländischen Truppen, als auch die Handlungen der Ukraine und der Nato-Mitgliedsstaaten. Wir sehen es so, dass dieser Krieg – wie alle anderen Kriege im Zeitalter des Kapitalismus – nur den Interessen der herrschenden Klassen und Eliten dient und gegen die arbeitende Bevölkerung gerichtet ist. Deshalb unterstützen wir in unserer Internationale keinen dieser kriegführenden Staaten und wünschen keinem den Sieg“ (S. 158), erklären sie ihre antimilitaristische Position. Hingegen beschwört der ehemalige KRASS-Mitbegründer Wladimir Platonenko das bewaffnete ukrainische Volk und phantasiert von Freiwilligen aus aller Welt, die dort gegen den russischen Angriff kämpfen, ohne zu erklären, welche politische Positionierung dahinter steht. Interessant ist auch das Interview mit einer Gruppe von Antimilitarist*innen, die in Russland Sabotageaktionen gegen staatliche Einrichtungen wie Rekrutierungszentren organisiert. Nach einem Kapitel über feministische Antikriegsarbeit in Russland wird das Buch mit einem Interview abgeschlossen, das Kasakow mit Alexander Tarasowitsch geführt hat, der Leser*innen der GWR auch als Autor bekannt sein dürfte. Er steuert sogar eine lustige Episode bei, als er in einen Text ironisch Stalin lobte und das natürlich bei Anarchist*innen auf Unverständnis stieß. „Wir sind nicht für den Sieg der anderen Seite, wir können nachweisen, dass, wer lohnabhängig ist, keinen Grund hat, in diesem Krieg sein Leben zu riskieren und zu opfern“,    (S. 244) erklärt Tarasowitsch. Es ist erfreulich, dass das Buch mit dieser klar antimilitaristischen Position endet. Es bietet wichtige Informationen über die russische Anti-Kriegs-Bewegung und ist ein guter Beitrag für eine Debatte über eine antimilitaristische Position, die sich klar gegen das Putin-Regime wendet, ohne deswegen die Nato zu unterstützen.

Der Rezensent hat mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns … Deutschland und die Ukraine“ (https://www.editioncritic.de/produkt/nie-wieder-krieg-ohne-uns-deutschland-und-die-ukraine-grueneklee-heni-nowak/) herausgegeben.