Kolonialismus und Postkolonialismus im Comic

Kannibalenschlümpfe, rassistische Reporter und widerständige Anarchafeministinnen

| Maurice Schuhmann

In der Comickultur spiegelt sich seit jeher auch das gesellschaftliche und politische Denken wider. Das zeigt sich auch deutlich in Bezug auf den kolonialen Blick auf die Welt. Bereits in den Kinderjahren des Comics finden sich sehr viele koloniale Stereotype in Comics wieder. Viele davon sind in Vergessenheit geraten, andere gelten heute als Comicklassiker.

Koloniale Klischees des überlegenden Weißen auf der einen Seite und der „wilden / primitiven Afrikaner_innen“ sind allgegenwärtig. Als Micky Maus in einer Ausgabe aus den 1950er „Besuch aus Afrika“ bekommt, kommt der Besucher in einem Boot angerudert, trägt ein Leopardenfell als Bekleidung und einen Knochen im Haar. Was wie aus der Mottenkiste kolonialer Darstellungen wirkt, wurde noch über Jahre reproduziert – nicht nur in den „Funnies“ aus dem Hause Disney, sondern zum Beispiel auch bei dem beliebten Gallier Asterix. Im Philosophie Magazin hat sich auch Florian Werner einmal – anlässlich des Jubiläums der deutschen Übersetzung von Asterix ins Deutsche – wie folgt zur Bedeutung der Reihe geäußert: „Vor allem aber erlaubt die Asterix-Reihe europäischen Lesern, sich selbst mit den Opfern einer Kolonialgeschichte zu identifizieren, bei der sie eigentlich – zumindest in der Neuzeit – auf der Täterseite waren.“

Subtiler ist der Kolonialismus schon im Falle von Peyots Schlümpfen. Zeitgleich zum „Verlust“ der Kolonien hat der belgische Zeichner einen neuen Charakter eingeführt – den „schwarzen Schlumpf“. Dieser aggressive Charakter beißt die anderen Schlümpfe und hat damit kannibalistische Züge. Ist die zeitliche Koinzidenz ein reiner Zufall – verbunden mit den kolonialen Klischees der „wilden Schwarzen“? Man möchte es kaum glauben. In den USA hat man die Comics dahingehend entschärft, dass der einst schwarze Schlumpf nun lila ist. Bis in die 1980er Jahre hinein war die Darstellung von Afrikaner_innen als Kannibalen auch in den sogenannten Gag-Comics ein beliebtes Thema.

Das Paradebeispiel für Kolonialismus ist aber nach wie vor „Tim im Kongo“ aus dem Jahr 1930. Der Reporter Tim bereist zusammen mit Struppi den Kongo, was damit beginnt, dass er sich einen „Boy“ sucht, der ihn stets „brav“ mit „Massa“ anspricht. Die Afrikaner_innen an sich werden in der Folge durchgängig als faul, dumm, infantil und ängstlich dargestellt. Hergé selber gestand später, dass er sich von den zeitgenössischen, kolonialistisch geprägten Berichten über den Kongo hat inspirieren lassen. Dies führte aber nicht zu einer Revision des Comics, der immer wieder Gegenstand der Diskussion ist. Im Kongo wurde wiederholt ein Verbot des Bandes erwogen, in Schweden wurde der Comic aus den Kinderbibliotheken verbannt und in Großbritannien nur noch mit einem einordnenden, den Kolonialismus problematisierenden Vorwort zugelassen. In Deutschland erscheint der Band immer noch völlig unkommentiert – und der Verlag sieht die Eltern in der Verpflichtung, jenes Thema mit den Kindern zu besprechen. Ein „Trostpflaster“ ist, dass der Band eine Übersetzung der schon sprachlich-entschärften schwedischen Fassung ist und nicht des französischen Originals.

Nicht ganz so deutlich, aber deswegen nicht weniger durch einen kolonialen Blick geprägt, sind die in Horrorcomics und Gespenstergeschichten gern verwendeten Darstellungen der Voodoo-Religion bzw. deren kulturelle Aneignung. Beispielhaft sei hier der Band 1111 der bei Comicfreund_innen ohnehin wegen der fehlenden Qualität gering geschätzten Gespenstercomics erwähnt. Es zeigt drei weiße Frauen, die im Titel als Voodoo-Hexen tituliert werden.

Ein ambivalentes Beispiel für den kolonialen Blick stellt der von Jack Kirby (Schöpfer von Captain America) geschaffene Superheld „Black Panther“ dar. Es handelte sich um den ersten afro-amerikanischen Superhelden, dem die deutsche Bundespost unlängst gar eine Briefmarke widmete. In der Darstellung finden sich wiederholt koloniale Klischees wieder – gerade in Bezug auf sein Volk.
Dem gegenüber steht die partielle Aufarbeitung von Kolonialgeschichte. Ein Beispiel hierfür ist die Adaption von Joseph Conrads „Reise in den Kongo“. Der polnisch-britische Schriftsteller („Das Herz der Finsternis“) besuchte den Kongo und reflektierte diesen kritisch. Hannah Arendt greift auf ihn als Zeugen im Rahmen ihrer Untersuchungen zu den Ursprüngen totalitärer Herrschaft zurück. Seine Reise in den Kongo wird in einer düster, in schwarz-weiß gehaltenen Graphic Novel von Christian Perrisin und Tom Tirabosco verarbeitet und dargestellt. Es ist sicherlich ein wichtiger Beitrag für die Dokumentation und Aufarbeitung – auch wenn sicherlich zu bedenken ist, dass es aus der Sicht eines Weißen – und nicht aus afrikanischer Perspektive beleuchtet wird.

Ein eng mit diesem Thema verbundener Komplex ist der des Postkolonialismus, das heißt, die kolonial-anmutende Politik ehemaliger Kolonialmächte in kolonialisierten Staaten. Diese wurde unter anderem von dem Duo Pat Mills und Carlos Ezqerras in der Trilogie „Schlachtfeld Dritte Welt“ aufgegriffen. Der als Dystopie gepriesene Comic, der zynischer Weise in manchen Staaten bereits Realität ist, beschreibt die Abhängigkeit eines Landes von einem großen Getränkekonzern, der dort die Politik bestimmt. Der Comic ist nicht nur deswegen von Interesse, sondern auch weil eine der Hauptprotagonist_innen, eine BPoC-Person, gleichzeitig als Anarchafeministin auftritt.

Literaturempfehlungen:
Christian Perrisin / Tom Tirabosco: Joseph Conrads Reise in den Kongo, Avant Verlag.
Pat Mills / Carlos Ezqerras: Schlachtfeld Dritte Welt, 3 Bände, Bastei Lübbe.