wir sind nicht allein

Strukturelle Veränderung nötig

Aufklärung rassistischer Polizeigewalt in Mannheim blockiert

| Silke

Rednerin bei der Demo gegen Polizeigewalt am 2. Mai 2023 in Mannheim - Foto: cki/Kommunalfinfo Mannheim

Mehr als ein halbes Jahr nach dem rassistischen Polizeieinsatz am 27. April 2023 in Mannheim (1) ist noch immer keine Aufklärung in Sicht: Systematisch verweigern die Behörden den Betroffenen und ihren Unterstützer*innen weitere Informationen. Doch diese fordern weiterhin, den Vorfall juristisch aufzuarbeiten und den Kampf gegen institutionellen Rassismus auf die Agenda zu setzen.

In den frühen Morgenstunden des 27. April 2023 stürmte ein maskiertes Einsatzkommando im Auftrag des Landeskriminalamts Baden-Württemberg eine Wohnung in Mannheim, in der vier junge Männer aus Westafrika schliefen. Sie gehörten zu einer achtköpfigen Delegation von Klimagerechtigkeitsaktivist*innen, die auf Einladung der Black Academy Mannheim (BA) zu einem Jugendaustauschprojekt für einige Wochen in der Region waren. In dieser Zeit sprachen sie bei verschiedenen Veranstaltungen über Nachhaltigkeit und Klimaschutz, beispielsweise bei der Bundesgartenschau, und führten mehrere Workshops durch.
Die Polizei riss die vier Gäste aus den Betten, fesselte sie mit Handschellen und Kabelbindern, wodurch sie teilweise verletzt wurden, und hielt sie – nur spärlich bekleidet – bei niedrigen Temperaturen vor dem Haus fest. Unter dem Vorwand, Sprengstoff und Drogen zu suchen, durchwühlten die Beamt*innen die Wohnung und das Gepäck. „Verdächtige Päckchen“ stellten sich als Lebensmittel heraus, die die Aktivisten als Beispiele für nachhaltige Ernährung bei ihren Workshops vorstellten.
Eine Erklärung für den Einsatz und die brutale Behandlung erhielten weder die vier Betroffenen noch ihre Ansprechpartner*innen von der Black Academy, die sofort hinzukamen, um die Situation aufzuklären. Stattdessen wurde eine BA-Vertreterin daran gehindert, die Vorgänge rund um die von der Organisation gemietete Wohnung mit dem Handy zu filmen, sodass sie keine Beweise jenseits ihrer Beobachtung festhalten konnte.

Rassistische Diffamierung im Nachgang

In ihrer anschließenden Presseerklärung verwies die Polizei auf den Verdacht auf Drogen und Sprengstoff und bemühte damit erneut rassistische Stereotype und Vorurteile. Diese wurden von der Presse ebenso begierig aufgegriffen wie mehrere bewusste Fehlinformationen zu den Umständen. Auch in den Diskussionen in städtischen Gremien übernahmen viele Parteienvertreter*innen die falschen Angaben und äußerten offen rassistische Klischees. Durch diesen Diskurs wurden die Betroffenen gleich ein zweites Mal diskriminiert und diffamiert.

Dass der Polizeieinsatz kein Versehen war, liegt auf der Hand: Vor einer Razzia dieses Ausmaßes holt die Behörde umfassende Informationen ein über die Räumlichkeiten und die Menschen, die sich dort aufhalten, und observiert die Umgebung.

Der Stadtverwaltung war der Vorfall sichtlich unangenehm, arbeitet sie doch mit der Black Academy zusammen, um sich ein antirassistisches Image zu geben. Erst wenige Tage zuvor hatte der Oberbürgermeister die acht Klimagerechtigkeitsakti-vist*innen offiziell empfangen, weshalb er sich unmittelbar nach der Durchsuchung mit den traumatisierten Betroffenen traf, sein Bedauern äußerte und ihnen eine neue Unterkunft vermittelte. Das Antidiskriminierungsbüro Mannheim vermittelte ihnen psychologische Erstbetreuung und steht ihnen dauerhaft zur Seite.
Die Black Academy und ihre Gäste konnten das Programm nun nicht mehr wie geplant umsetzen. Die für den Abend des 27. April angesetzte Veranstaltung zu afrikanischen Persönlichkeiten wurde stattdessen für eine Diskussion über rassistische Polizeigewalt genutzt. Seither überschattet der staatliche Angriff die Arbeit der Mannheimer Initiative, die einen Großteil ihrer Kapazitäten für die Aufklärung der Vorfälle und die Unterstützung für die Betroffenen benötigt. Angesichts der großen Unsicherheit – gerade was die Unterbringung angeht – sagte die Black Academy das für dieses Jahr geplante Austauschprojekt ab.

Akteneinsicht verweigert, Verfahren eingestellt

Wenige Tage nach dem traumatisierenden Vorfall endete das Austauschprojekt, und die acht Klimagerechtigkeitsaktivist*innen flogen heim. Mit einer Spendensammlung ermöglicht ihnen die BA dauerhafte professionelle psychologische Betreuung an ihren Wohnorten. Um Hilfe für den weiteren Umgang zu bekommen, kontaktierten die Mannheimer*innen die Berliner Initiative ReachOut, die Menschen berät, die von rassistischen oder antisemitischen Angriffen betroffen sind.
Denn vor allem wollen die vier Betroffenen ebenso wie ihre Unterstützer*innen die Aufklärung des Vorfalls und eine juristische Aufarbeitung. Beides wird ihnen jedoch verweigert, wie die Black Academy bei einer Pressekonferenz am 24. Oktober 2023 darstellte. Zusammen mit Audrey Noukeu und Nicole Amoussou als Vertreter*innen der BA sowie ihrem juristischen Beistand Abdulselam Aslandur fassten Biplab Basu von ReachOut Berlin und Jeasuthan Nageswaran vom Antidiskriminierungsbüro Mannheim den aktuellen Stand zusammen.
Zunächst stellten die vier Klimagerechtigkeitsaktivisten Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, Freiheitsberaubung und Körperverletzung. Skandalöserweise verweigerte die Staatsanwaltschaft dem Anwalt jegliche Akteneinsicht – wegen „schutzwürdiger Interessen Dritter“. Damit ist wohl ein Beschuldigter gemeint, gegen den derzeit tatsächlich ermittelt wird und der in den Akten genannt ist. Auch eine teilweise Akteneinsicht, beispielsweise in minimal geschwärzte Unterlagen, wurde nicht gewährt. Wenig später stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, weil sie die Polizeiberichte für glaubhaft hielt und somit Aussage gegen Aussage stehe; eine Aufklärung sei demnach nicht möglich. Dagegen legte der Anwalt Widerspruch ein, sodass nun die Oberstaatsanwaltschaft in Karlsruhe darüber befinden muss.

Staatlichen Rassismus zum Thema machen

Dass der Polizeieinsatz kein Versehen war, liegt auf der Hand: Vor einer Razzia dieses Ausmaßes holt die Behörde umfassende Informationen ein über die Räumlichkeiten und die Menschen, die sich dort aufhalten, und observiert die Umgebung. Dass die Wohnung bereits seit Jahren von BA gemietet war und wiederholt als Gästewohnung bei Austauschprojekten genutzt wurde, war leicht herauszufinden. Welches Detailwissen die Beamt*innen über die dort schlafenden Aktivisten hatten, zeigt die Tatsache, dass sie einen Französisch-Dolmetscher mitbrachten.
Nicole Amoussou hob am Ende der Pressekonferenz noch einmal hervor, dass es nicht um eine Anklage gegen einzelne Beamt*innen geht, sondern gegen die gesamte Institution. Die rassistische Polizeigewalt müsse als strukturelles Problem benannt werden: „Es braucht strukturelle Veränderung. Wir wollen keine private Entschuldigung, sondern eine öffentliche Thematisierung.“

(1) Siehe: „Der Vorfall lässt uns sprachlos zurück“ – Rassistischer Polizeiüberfall auf vier Klimaaktivisten, Artikel von Silke, in: GWR 480, Sommer 2023, S. 5

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

Wir freuen uns auch über Spenden auf unser Spendenkonto.