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Ratlose Geolog*innen, gescheiterte Endlager und fragwürdige Zukunftspläne

Ein Interview mit Regisseur Carsten Rau über den Film „Atomkraft Forever“

| Interview: Nicolai Hagedorn

Bilder: PIER 53 Filmproduktion, Camino Filmverleih

Am 16. September kommt der Dokumentarfilm „Atomkraft Forever“ in die Kinos, der sich mit dem angekündigten Ausstieg der BRD aus der Kernenergie zum Jahresende 2022 beschäftigt – und mit dem strahlenden Erbe, das die Energiekonzerne hinterlassen. Nicolai Hagedorn hat für die Graswurzelrevolution den Regisseur Carsten Rau zu seinem neuen Film interviewt. (GWR-Red.)

GWR: Wenn man einen Film mit Wissenschaftler*innen dreht, die versuchen, Erdbeben und Vulkanausbrüche für die nächste Million Jahre vorherzusagen: Bleiben die Beteiligten dabei eigentlich ernst, oder muss man sich da nicht das Lachen verkneifen?

Carsten Rau: Irgendetwas für eine Million Jahre zu planen, klingt natürlich absurd. In so einem Zeitraum rechnen Geolog*innen zum Beispiel mit zehn Eiszeiten, deren Gletscher die Erde mehrere hundert Meter tief umgraben und ganze Landschaften vor sich herschieben. Also hat man festgelegt, dass ein Endlager tief genug gebaut werden muss, damit kein Gletscher das Endlager ausräumt und den Atommüll vielleicht irgendwo im heutigen Frankreich ablädt. Das klingt alles sehr schräg. Es war aber nicht die Idee heutiger Geolog*innen, Atomkraftwerke ohne ein funktionierendes Endlager zu bauen. Die Geolog*innen – und die Anwohner*innen des zukünftigen deutschen Endlagers – müssen sich jetzt mit dem Dreck rumschlagen, den andere ihnen vor die Füße gekippt haben. Nicht wirklich lustig.

Ich glaube, dass die Wissenschaftler*innen der Bundesgesellschaft für Endlagerung sich ernsthaft darum bemühen, ein Problem zu lösen, das nicht zu lösen ist. Aber ich sehe keinen Ausweg. Zwischen den Betreiber*innen und den Kritiker*innen des Suchverfahrens gibt es einen einzigen Konsens: Dass deutscher Atommüll irgendwann in Deutschland unter die Erde kommt. Das ist richtig, so schräg der Weg dorthin auch aussehen mag. Ich möchte nicht, dass deutscher Atommüll irgendwo anders auf der Welt verbuddelt wird, weil vielleicht irgendein Autokrat das für einen Haufen Geld anbietet.

Im Übrigen geht es auch in anderen Ländern bei der Suche nach einem Endlager absurd zu: Im vergangenen Jahr hat zum Beispiel ein schwedisches Gericht das nationale Endlagerkonzept kassiert. Die Schwed*innen wollten ihren Atommüll in Kupferbehältern vergraben. Das Gericht meinte aber, dass der Dichtheitsnachweis dieser Behälter schon für die geforderten 500 Jahre nicht überzeugend war. Und wie will man im Ernst nachweisen, dass solche Behälter für eine Million Jahre dichthalten? Ich hab keine Ahnung.

Wie verliefen die Recherche und die Planung des Films? Welche Probleme gab es? Hast du zum Beispiel auch verantwortliche Politiker*innen angefragt oder Vorstände von Atom-Konzernen, oder war der Film genau so geplant, wie er jetzt vorliegt?

Ich glaube nicht, dass irgendein Dokumentarfilm so auf die Leinwand kommt, wie er ursprünglich geplant war. Zwischen der ersten getippten Idee und dem fertigen Film liegen fünf Jahre, Sackgassen, Rückschläge, Absagen und andere Momente, die keine*r braucht. Aber sie waren Teil der Reise, so wie die guten Momente, die richtigen Entscheidungen und die Glücksfälle.

Probleme gibt es immer, wenn ein deutscher Filmemacher bei den Pressestellen der Nuklearindustrie anklopft. Wenn es sie überhaupt interessiert, wägen die Leute der entscheidenden Ebenen ab, was sie zu gewinnen und zu verlieren haben. Die französische Atomindustrie zum Beispiel hat in Deutschland wegen des Ausstiegs überhaupt nichts mehr zu gewinnen. Der einzige Wachstumsmarkt hier ist der Rückbau der 17 Kraftwerke, und das machen die deutschen Betreiber*innen allein. Zwei Jahre hat es gedauert, bis die Französ*innen den Dreharbeiten zugestimmt haben. Ich bin so oft zum französischen Kernforschungszentrum gereist, hab so oft angerufen, dass der PR-Chef dort irgendwann aufgegeben und die Drehgenehmigung unterschrieben hat. Dafür hat er später einen Einlauf seines Direktors gekriegt.

Politiker*innen und Vorstände haben mich nicht interessiert, zu viele redende Köpfe funktionieren selten im Kino. Ich fand Leute wie den Nuklearingenieur Jörg Meyer wichtiger. Der war so ein Glücksfall. Denn eigentlich hatten wir im Rückbau des Kernkraftwerks bei Greifswald schon einen seiner Kollegen für die Dreharbeiten gefunden. Der fing aber wenige Tage vor Drehbeginn an, nervös zu werden, und sprang ab. Zu einem der Krisengespräche im ehemaligen Kraftwerk kam dann ein Ingenieur in Socken und Sandalen und erzählte mir von seiner Modelleisenbahn. Ich dachte: „Wer ist das denn jetzt?“ Am Ende hat Jörg Meyer einen wesentlichen Teil der Episoden rund um den Rückbau des verstrahlten Kraftwerks getragen. Er glaubt an seine Aufgabe. Er baut in riskanter Arbeit das ab, woran er sein Leben lang geglaubt hat. Und er erzählt mir noch immer von Modelleisenbahnen.

Warum hast du dich dafür entschieden, zum Beispiel Leute vorzustellen, die mit den eigentlichen Problemen, die die Atomkraft mit sich bringt, eher peripher zu tun haben, wie zum Beispiel eine Gastronomin, die den guten Geschäften mit Arbeiter*innen im AKW nachtrauert, während du einen wichtigen Aspekt, die militärische Nutzung der Atomtechnologie, ganz außer Acht lässt?

Das seh’ ich anders. Die meisten Protagonist*innen haben ziemlich zentral mit den Konflikten der Atomkraft zu tun. Die Gemeinde Gundremmingen ist deshalb spannend, weil sie stellvertretend für alle anderen westeuropäischen Gemeinden steht, die sich als Atomstandort gegen Sicherheit und für Wohlstand entschieden haben. Außerdem sprechen die Wirtin und der ehemalige Bürgermeister des Ortes im Film für den Teil der deutschen Bevölkerung, die der Atomkraft eher unkritisch gegenüberstehen.

Ich hoffe, dass dieser Dokumentarfilm einen Beitrag zum Diskurs um Atomkraft leistet. Denn die Debatten um Kernenergie sind nicht vorbei, die fangen gerade wieder an.

Für mich ist Dokumentarfilm Beobachtung. Das, was ich daraus mache, die Gestaltung, die Kadrage des Moments, die Montage, ist total subjektiv. Aber es bleibt immer eine Beobachtung. Ein Dokumentarfilm hat keine ausgeprägte analytische Ebene. Sich mit der Verflechtung von ziviler und militärischer Nutzung von Kernenergie zu beschäftigen, hätte aber eine Analyse bedeutet mit Archivmaterial, sprechenden Expert*innen und vielleicht noch hübsch animierten Grafiken. Ich guck so was gern, aber nicht im Kino. Ich hab mich auf die Vor- und Nachteile der Atomkraft beschränkt, die ich filmisch umfassen kann. Es hätte noch viele andere Aspekte gegeben, die zum Thema gehören. Aber „Atomkraft Forever“ ist eben kein Power-Point-Vortrag und ich bin auch kein Anti-Atomkraft-Aktivist. Am Ende ging es darum, einen Dokumentarfilm für die Leinwand zu machen. Und für Leute, die sich ein Ticket kaufen, sich in einen Saal setzen und warten, was passiert.

Die einzelnen Ansichten werden in deinem Film kaum von dir kommentiert oder eingeordnet. Was ist denn dein Standpunkt zur Zukunft der Atomtechnologie?

„Atomkraft Forever“ zeigt die Vorteile von Kernkraftwerken, die deutlich weniger CO2 produzieren als Kohle und Gas. Außerdem sind Reaktoren für die Netzbetreiber leichter zu handhaben als Erneuerbare Energien, weil sie stetig und verlässlich Strom liefern können. Aber der Film macht auch klar, wie hoch der Preis der Atomkraft ist – ohne zum tausendsten Mal die Gefahren radioaktiver Verstrahlung zu erläutern. Und ich bin sicher, dass das Publikum in der Lage ist, sich ein eigenes Bild zu machen.

Ich glaube nicht daran, dass Kernenergie die Menschheit retten kann. Aktuell sind weltweit etwa 440 Reaktoren am Netz, von denen viele in den nächsten 10 bis 15 Jahren vom Netz müssen, weil sie zu alt sind. Die Atomindustrie wird schon Schwierigkeiten haben, allein die wegfallenden Reaktoren zu ersetzen. Denn neue Atomkraftwerke sind viel zu teuer, um mit ihnen auf freien Strommärkten Geld zu verdienen. Außerdem dauern Planung und Bau zu lange. Mal angenommen, ein Konzern könnte heute direkt mit den Bauarbeiten loslegen, dann wäre das Kraftwerk in 20 Jahren am Netz. So viel Zeit haben wir nicht.

Was, meinst du, kann man mit einem solchen Dokumentarfilm erreichen? Was wäre aus deiner Sicht ein gewünschter Effekt des Films?

„Atomkraft Forever“ ist inzwischen auf vielen Festivals gelaufen, in Deutschland und international. Dem bei weitem überwiegenden Teil des Publikums scheint es zu gefallen, sich selbst entscheiden zu können. Obwohl der Film sehr subjektiv ist und aus meiner Haltung kein Geheimnis macht. Deshalb hoffe ich, dass dieser Dokumentarfilm einen Beitrag zum Diskurs um Atomkraft leistet. Denn die Debatten um Kernenergie sind nicht vorbei, die fangen gerade wieder an.

Zum Beispiel hat die EU-Kommission allen Ernstes ihre Forschungsstelle damit beauftragt herauszufinden, ob Atomkraft am Ende nicht doch eine nachhaltige Form der Energieerzeugung ist. Die Entscheidung darüber soll bis Ende des Jahres fallen. Und es ist zur Zeit überhaupt nicht abzuschätzen, wie diese Entscheidung ausfallen wird.

Wenn die Kommission beschließt, dass Atomkraft im Rahmen des Green Deals auch zukünftig eine Rolle spielen soll, dann wären Investitionen in neue Kernkraftwerke, wie es heißt, „förderungswürdig“ – für Mitgliedsstaaten, Pensionsfonds und die EU selbst. Ich glaube nicht, dass gleich danach die Bauarbeiten losgehen. Aber ganz sicher würde die Debatte um Kernenergie wieder intensiver.

Darüber hinaus macht „Atomkraft Forever“ deutlich, wie viel kostbare Zeit in der Merkel-Ära vergeigt wurde, anstatt die Energiewende zu steuern. Die Probleme, die wir noch immer beim Umbau unserer Energiewirtschaft haben, die gab es schon vor 20 Jahren. Und fehlende Stromtrassen und nennenswerte Speicherkapazitäten sind nur zwei der noch immer offenen Fragen.

Diese offenen Fragen und die ungelösten Konflikte der Energiewende sind so eine Art argumentatives Haupteinfallstor für die Atomlobby. Früher haben deren Manager*innen Wind- und Solarstrom verhöhnt. So blöd sind sie heute nicht mehr. Heute behaupten sie, dass Erneuerbare Energien und Kernkraft quasi Geschwister sein können: Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, so die Behauptung, helfen die Atomkraftwerke. Das Argument ist aber Quatsch. Denn zum einen sind Kernreaktoren nicht dafür gemacht, ständig rauf- und runtergefahren zu werden. Kernkraftwerke laufen am effektivsten unter Volllast. Zum anderen ergäbe der Neubau eines Kraftwerks als eine Art Netzreserve überhaupt keinen Sinn für Investor*innen und Betreiber*innen. Geld verdienen könnten die nur, wenn das Atomkraftwerk läuft, ganz egal, ob gerade Wind weht oder die Sonne scheint.

Danke für das Gespräch!

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.