Antimilitarismus und revolutionärer Militarismus?

Anmerkungen zu Erich Mühsams Texten über Kampf und Revolution

| Peter Bürger

Muehsam

(…) „Des Feinds vergiftete Geschosse
umschwirren meine Seele wild.
Jedoch der Mut ist mein Genosse,
und meine Liebe ist mein Schild.“
(Erich Mühsam, 1914)

Im „Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien“ für das Portal ‚schalom-bibliothek.org‘ liegt bereits ein Band „Das Große Morden“ vor – mit kraftvollen Voten gegen Militarismus und Krieg aus der Feder von Erich Mühsam (1878-1934, ermordet im KZ). Das Aufbegehren betrachtete er als seine Berufung. In einem Selbstzeugnis des Jahres 1919 heißt es: „Mein Werdegang und meine Lebenstätigkeit wurden bestimmt von dem Widerstand, den ich von Kindheit an den Einflüssen entgegensetzte, die sich mir in Erziehung und Entwicklung im privaten und gesellschaftlichen Leben aufzudrängen suchten. […] Die Bekämpfung des Staates in seinen wesentlichen Erscheinungsformen, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Klassenherrschaft, Zweckjustiz und Unterdrückung in jeder Gestalt, war und ist der Impuls meines öffentlichen Wirkens. […] Selbstverständlich fand mich die Revolution von der ersten Stunde aktiv auf dem Posten … Mitglied des Revolutionären Arbeiterrats … Kampf gegen die Konzessionspolitik Kurt Eisners … Teilnahme an der Ausrufung der bayerischen Räterepublik … Standgericht: fünfzehn Jahre Festung …“.

Die anfängliche Nähe dieses anarchistischen Schriftstellers zu Tolstois Haltung in der ‚Gewaltfrage‘ wandelte sich im Zuge von Weltkriegsverlauf, Münchener Revolution und Tuchfühlung mit dem ‚Spartakusprogramm‘ (mit nachfolgender Phase einer sehr engen Zusammenarbeit mit Vertretern der KPD). Schließlich wünschte Mühsam, dass die Beherrschten ihre Waffen gegen jene richten, die ihnen das Kriegshandwerk aufgedrungen haben:

(…)
„Noch nicht genug mit dem, was wir erschwitzen:
Der Reiche schickt auf Raub uns in die Welt,
Läßt uns Gewehre laden und Haubitzen
Und bückt sich nicht, wenn unsereiner fällt.
Er lehrte uns bedienen
Des Krieges Mordmaschinen.
Jetzt üben wirs für unsrer Kinder Brot!
Ihr Proletarier, folgt der Fahne rot!“ (1920)

Unter revolutionärem Vorzeichen – d.h. auch im Zusammenhang der erfahrenen Gewalt- und Mordexzesse der rechten Soldateska – entstanden viele neue Lieder für den bewaffneten Widerstand. Falls es bei Mühsam in der Folgezeit ein Begehren nach Dichterruhm gab, so wurzelte es in dem Wunsch, wenigstens einige seiner Verse möchten bei jungen Kräften der Revolution den Kampf beflügeln:

(…)
„Denn: färbt ein weißes Blütenblatt sich rot
vom Blute meiner Leidenschaft –
ein einziges auf dem Feld, wo junge Kraft
den Sieg erkämpfen soll –, so ist mein Werk nicht tot!“
(1928)

Damit ein vollständigeres Bild vermittelt werden kann, enthält die jetzt ebenfalls vorliegende Sammlung „Jedoch der Mut ist mein Genosse“ – ergänzend zum oben genannten Lesebuch „Das große Morden“ – vor allem auch solche Texte über Kampf und Revolution, in denen sich die Entfernung vom Pazifismus niedergeschlagen hat: Politische Lyrik (Auswahl: Gedichte 1904 – 1928); „Kampf-, Marsch- und Spottlieder“ (Druck im Jahr 1925); „Von Eisner bis Leviné“ (Rechenschaftsbericht über die Revolutionsereignisse in München, 1920 verfasst „zur Aufklärung an die Schöpfer der russischen Sowjetrepublik zu Händen des Genossen Lenin“); „Mein Gegner Kurt Eisner“ (1929); „Lügen um Landauer“ (1929).

Zeitlich nachfolgende Zeugnisse der letzten Lebensjahre werden nicht mehr herangezogen. Zumindest genannt sei Mühsam letzte Schrift „Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ (1932). Darin verteidigt der anarchistische Schriftsteller die tötende Gewalt aus politischer Überzeugung – als Handlungsmöglichkeit des Individuums (!) ausdrücklich gegenüber der ‚orthodox-marxistischen‘ Doktrin, es seien Terror, politische Morde und andere Gewaltakte nur im Einklang mit einer zentralen – planmäßigen – Parteiagenda legitime Kampfmittel. Er bekennt sich gar zu folgender Auffassung: „Die anarchistische Freiheitslehre stellt das Recht der Persönlichkeit viel zu hoch, als daß sie es da, wo eine beleidigte Natur ihrem Gefühl den Ausdruck der Vergeltung [sic] gibt, wo ein freiheitlich gesinnter Mensch der Werbung, der Warnung, der Einschüchterung, des Trotzes wegen oder um ein Kampfzeichen zu geben mit einer aufschreckenden Tat vor die Welt tritt, verleugnen sollte.“ Kritisiert wird hier also nicht mehr ein Gewaltglaube der autoritären Linken, sondern nur dessen – strategische bzw. kollektivistische – Bindung an die Parteidisziplin. Ich vermag bei solchen Ausführungen eine Verbindung zu Mühsams frühen Voten zur Gewaltfrage aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bzw. bis 1917 nicht mehr erkennen.

Den Abschluss unserer Sammlung bildet eine Textdokumentation mit Beiträgen über Erich Mühsam und die Revolutionszeit 1918/19 aus der „Graswurzelrevolution“ (Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft ǀ Texte 2012-2024) und weiteren Quellen. Hier werden auch Lebensabschnitte und Wirkungsfelder Mühsams beleuchtet, die nicht Gegenstand seiner im Lesebuch dargebotenen Texte sind.

Die Redaktion der Schalom-Bibliothek ist keine ‚neutrale‘ bzw. ‚wertfreie Instanz‘. Sie votiert vielmehr streitbar für Ungehorsam gegenüber der Kriegsreligion und gewaltfreien Widerstand – für jenen Weg also, auf dem die Liebhaberinnen des Lebens kein Menschenblut vergießen. Doch kontroverse Positionen, die den jeweiligen Herausgebern nicht liegen, dürfen in Quelleneditionen nicht unter den Tisch fallen. Der Widerspruch begünstigt ja Diskurse auf hohem Niveau, die uns weiterführen.

Natürlich stehen auch historische Fragen an. Sie betreffen etwa Mühsams Beurteilung des ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1867-1919), den er „Mein Gegner“ nennt, oder seine Mitteilungen zur revolutionären Haltung des ermordeten Freundes Gustav Landauer (1870-1919), die in diesem Buch nachzulesen sind. Doch der Gewaltdiskurs ist in erster Linie keine geschichtswissenschaftliche Herausforderung, sondern eine Gegenwartsfrage.

Die rebellische Jugend in der Zeit vor den ‚neoliberalen Jahrzehnten‘ rief aus: „Besetzt leerstehende Häuser, nicht andere Länder!“ – und schritt im Zuge der Selbsthilfe auch zur Tat. Es folgte eine weithin fügsame Generation, die sich im Dienste der Geldvermehrungsmaschine selbst ‚optimierte‘. Die flankierenden Freiheitsparolen – und die zum Teil absurden ‚Freiheitsspielwiesen‘ – leisten aber nicht mehr lange ihr Dienste. Ein Umbau der ‚liberalen Demokratie‘ zum autoritären Kapitalismus ist längst im Schwange. Die Militarisierung des öffentlichen Lebens beschleunigt sich Tag für Tag (aber anders als noch im 19. Jahrhundert haben selbst ‚linksliberale Lager‘ kein Bewusstsein mehr davon, welche Attacken auf freiheitliche Ideale und Errungenschaften daraus zwangsläufig folgen). Ziviler Ungehorsam – ehedem als Lackmustest von Demokratie gewürdigt – wird in einem Ausmaß kriminalisiert, wie wir es ab den Zeiten eines Willy Brandt nicht erlebt haben. Ein Teil der staatlichen Ordnungskräfte übt sich gegenüber den Citoyens in unverschämten Tonarten, die von Analphabetismus in Sachen ‚Bürgerrechte‘ zeugen. Die z.T. äußerst brutalen Repressionen bei öffentlichen Protesten für Ökologie oder Menschenrechte lassen sich nicht mehr leugnen. Eine unmoralische ‚Staatsraison‘ wird gegen Ankläger des militärischen Massenmordens in Gaza geltend gemacht.

In welche Richtung wird sich nun eine politisierte Jugend bewegen, wenn ihre Ohnmachtserfahrungen auf Heilsversprechen einer Gegengewalt-Religion stoßen? Der Gewaltglaube verheißt dem Widerstand – wie schon immer in der Geschichte – ‚Auswege‘, obwohl er im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung das ultimative Instrument der Konterrevolution wider eine breite Revolte für das Leben bedeutet. Die Herrschenden – ausgestattet mit immer totalitärer ausgerichteten Kontroll- und Waffentechnologien – haben heute weniger denn je Angst vor einer zu tötender Gewalt bereiten Opposition. ‚Lasst es knallen!‘ Umso schneller kann der Umbau zum Polizeistaat vollzogen werden, da doch die Beherrschten das gewünschte Propagandamaterial selbst liefern. Umso wirkungsvoller auch lassen sich die nonkonformen Szenen ablenken von der Suche nach widerständigen Handlungsmöglichkeiten, die nicht auf irrationalen Konzepten beruhen, und nach Tröstungen, die wirklich stärken. Angst haben die Sachwalter der Macht einzig und allein vor dem Weg einer aktiven – intelligenten – Gewaltfreiheit, welcher aus gutem Grund überall in Massenkultur oder öffentlichen Diskursen ausgeblendet bleibt (oder – wenn Totschweigen nicht mehr geht – in konzertierten Kampagnen diffamiert wird).

Der Blick auf historische Erfahrungen – individuelle wie gemeinschaftliche – hat vor solchem Hintergrund nichts mit intellektueller Neugierde zu tun, sondern kann ein möglicher Beitrag sein zu Klärungen, die im Hier und Jetzt anstehen. Am Anfang jedes guten Beginnens steht das Erbarmen mit den bedürftigen Wesen – und mit der eigenen Bedürftigkeit. So war es bei Erich Mühsam: „Ich möcht die Menschen lehren, / wie man das Leben lebt; / kann selbst mich nicht erwehren / des Leids, das an mir klebt.“ (1914) – Seine Proexistenz für die Verlorenen in Spelunken und die Getretenen in der Gosse bringt der Dichter selbst mit der Herkunft aus dem Judentum in Verbindung: „Ein Jude zog aus von Nazareth, die Armen glücklich zu machen“ (1910). – „Ich weiß von allem Leid, fühl alle Scham / und möchte helfen aller Kreatur […] und kann doch selber nicht Erlöser sein, / wie jener Jesus, der die ganze Pein / der Welt auf seine schwachen Schultern nahm“ (1914). Nicht anders weiß es später ein Wolfgang Bochert (1921-1947): „Ich möchte Leuchtturm sein / in Nacht und Wind – / für Dorsch und Stint, / für jedes Boot – / und ich bin doch selbst / ein Schiff in Not!“ Wichtig wäre, die menschliche Bedürftigkeit – als Schatz – mit anderen zu teilen, statt die Armseligkeit etwa durch Macht- und Gewaltphantasien zu übertönen. Ja, Verwundete sind wir – du und ich, bisweilen ratlos und untröstlich ob einer Welt voller Wahnsinn. Wie gut wäre es, mit den anderen erst einmal zu verlernen, einander zu verwunden (oder gar totzumachen).

Sodann könnten wir – mit Gustav Landauer und Erich Mühsam – bei Leo Tolstoi in die Schule gehen und verstehen, warum Revolutionären, die dem alten Gewalt- und Machtglauben anhangen, stets nur eine Reproduktion (oder gar Verschlimmerung) der alten Gewalt- und Herrschaftssysteme gelingt. (Rein gar nichts hilft es uns weiter, an dieser Stelle den unzweifelhaften – auch moralischen – Unterschied zwischen der Gewalt der Unterdrücker und der Gegengewalt der Unterdrückten immer wieder zu betonen.) Der Terrorist mag sich verzehren lassen vom Leid der ganzen Welt; sobald er die Methode des Totmachens von den Herrschenden übernimmt, macht er sich gemein mit jenen, die die menschengemachten Leiden auf dieser Erde verursachen und mehren. (Nicht unterdrücken lässt sich die Ketzerfrage: Eine vorgebliche Schönheit, die so unversehens in Hässlichkeit umschlägt, war sie vielleicht schon zuvor mehr Trug als Mitgefühl, Mitleiden, Verbundenheit?)

Wer einen Menschen tötet, so weiß die talmudische und koranische Weisheit, tötet die ganze Welt. Der Anarchist wird ob seiner Hochschätzung des Individuums ergänzen: Wer ein menschliches Wesen tötet, tötet ein ganzes Universum, das niemand erzeugen, kaufen oder ‚wiederherstellen‘ kann. Die Erfahrenen wissen schließlich: Wer einen anderen tötet, tötet sich selbst, denn er durchtrennt die Nabelschnur, die uns mit der grundlosen Geltung des Lebens verbindet. Wer wollte schließlich allein schon angesichts der uns bekannten Geschichte des Menschengeschlechts so vermessen sein, den Totmachern, die doch immer gute Gründe oder gute Werke für sich reklamieren, irgendeine Zukunft anzuvertrauen?

Abgründe des Leids, Widersprüche und Unrecht unverdeckt zu sehen, ohne dem Gefühl der Vergeblichkeit oder andererseits dem Wahn eigener Omnipotenz zu erliegen, das ist bereits nur vorstellbar im Zuge einer geschehenden Stärkung (Tröstung, ‚Erlösung‘). Man kann das Wesen einer wirklichen, d.h. an die Wurzel gehenden Revolte gegen die Welt der Totmacher kaum besser zur Sprache bringen als Gustav Landauer zur vorletzten Jahrhundertwende: „Wer tötet, der geht in den Tod. Die das Leben schaffen wollen, müssen Neulebendige und von innen her Wiedergeborene sein.“ (Die Zukunft, 26.10.1901) Der Wegweiser am verhangenen Wolkenhimmel ist zuvorderst eine innere – geburtliche – Kraft, die Erich Fromm „Biophilie“ nennt: die Liebe zum Leben und zu allem Lebendigen. Allein dieser Fährte dürfen wir folgen, wenn es um Zukünftiges – auch um die Abwehr einer sich abzeichnenden unvorstellbaren Barbarei – gehen soll.

Eingedenk solcher Überlegungen sollten uns jetzt die die revolutionären Wandlungen Erich Mühsams traurig stimmen. Jene Ankläger, die dem Dichter vorwerfen, zu Beginn des Ersten Weltkrieges dem allgemeinen Patriotismus erlegen zu sein, führen uns in die Irre. Geradezu skrupulös und zeitnah wie nur wenige andere unter den Besten hat Mühsam seine episodische ‚Kriegspsychose‘ und sprachliche Fehlgriffe (Anpassungen: „fremde Horden“) bereut. Mehr Selbstanklage und schnellere Einsicht können selbst die heiligsten Selbstgerechten nicht verlangen. In summa fällt die ‚Bilanz‘ des anarchistischen Kriegsgegners für die ersten Kriegsmonate vermutlich besser aus als die des ehrenwerten Kurt Eisner, der noch Waffenfinanzierungen irgendwie mit den Schutzrechten der einfachen Soldaten rechtfertigen wollte, als er die Kriegslüge der Regierung längst durchschaute und auch benannte. – Berechtigt ist hingegen die Frage, ob Mühsam, der treffliche Streiter wider Militarismus und Krieg, nicht am Ende sein Dichterhandwerk zu leichtfertig in den Dienst eines ‚revolutionären Militarismus‘ gestellt hat:

(…)
„Genossen, zu den Waffen!
Heraus aus der Fabrik! […]
Die Handgranat’ am Gürtel,
Im Arme das Gewehr […]
Hier geht der rote Hahn auf,
Dort donnert Dynamit. […]
Proleten, zu den Waffen
Heraus aus der Fabrik!
Sprung auf, marsch marsch! Es lebe
Die Räterepublik!“ (1920)

„Was weiß die gekaufte Söldnerbrut
Vom Kampf der geknechteten Masse?
Für Freiheit und Zukunft fließt unser Blut,
Wer fällt, der stirbt seiner Klasse.
Und näher rückt, näher der Weißen Schar.
Schon gehn die Patronen zur Neige.
Den Browning zur Hand! Was Tod und Gefahr!
Schießt her! Ihr seht mich nicht feige!
Hier steht und fällt ein Rotgardist
Der Revolution!“ (1923)

(Spott über die Feigheit der Intellektuellen:)
„Aber kommt’s zum Bürgerkrieg –
Ja kein Blutvergießen!
Auf den Kolben jeder Flinte
Schreibt mit roter Liebestinte:
Brüder, nur nicht schießen!“ (1920) (…)

Ob solcher ‚Liederbücher‘ bekommt jener Teil der Jugend im linken Café, der ohne Wissen um die Gewaltgeschichte eines ganzen Kontinents auch lateinamerikanische ‚Revolutionshelden in Militäruniform‘ bewundert, noch immer leuchtende Augen. Wie aber sollte man überhaupt effizienter als mit dem Pathos von ‚Waffengesängen‘ bei den Jungen den Zugang zu jenen seelischen Energien verschütten, aus denen allein ein radikaler Widerstand – die Revolte für das Leben wider die lange Geschichte der rechten bzw. patriarchalen Totmachprojekte – hervorgehen kann?

Erich Mühsam meinte, eingedenk der Erfahrung mit den Noske-Soldaten während der Revolutionszeit in Bayern und mit Blick auf die Einigkeit des zerstrittenen linken Lagers: „Ein jedes Kampf System ist gut, / das nicht versagt vor den Gewehren! (1920). Doch die Methode der tötenden Gewalt versagt ganz sicher als ‚Kampfsystem‘ vor den hochgerüsteten Apparaten der herrschenden ‚Mächte und Gewalten‘. Mit Terror lassen sich Völkermorde nicht verhindern oder beenden, wohl aber begünstigen. In alle Ewigkeit will man Adolf Hitler (oder seine zahllosen ‚Wiedergänger‘) mit der Atombombe besiegen; solches kann aber seit August 1945 nur, wer wie ‚Hitler‘ zugleich bereit ist, die Menschheit im Rahmen einer totalen ‚Lösung‘ als Ganzes auszulöschen. (Dass die Militärdoktrinen schon längst vom vorgeblichen ‚Menschenschutz‘ ganz offen zur geostrategischen und ökonomischen Interessensicherung der eigenen Komplexe übergegangen sind, lassen wir hier unkommentiert.)

Das erfahrungsgesättigte Diktum der irischen Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan (geb. 1944 Belfast) lautet: „Violence doesnt work! Falls in absehbarer Zeit doch wieder Scharlatane eine linke ‚Gewaltromantik‘ bewerben möchten, könnte diese Einsicht ganz pragmatisch den Blick auf das Naheliegende lenken, welches eben durch solch hartnäckige ‚Gewaltromantik‘ den Augen eilends entschwindet. Angesichts gegenwärtiger gesellschaftlicher Umwälzungen kennt die anarchistische Bewegung aus ihrer Geschichte heraus bessere Kampfmethoden als die opferwillige Pflichtethik von ‚Rotarmisten‘. Die trefflichen antimilitaristische Satiren Mühsams sollten wieder die Runde machen, nicht seine pathetischen Kampfverse. Vor allem ein lustvoller Widerstand kann Sand ins Getriebe der allgegenwärtigen Militarisierung streuen und unter Beweis stellen, dass der Hedonismus der Jungen sich sehr wohl mit dem Moralischen verbinden lässt: Glaub mir, ich liebe das Leben: Ich gehe nicht zu den Soldaten! Ich geselle mich nicht zu den uniformierten Leichen – in den Kriegen der Reichen!

Dieser um die Anmerkungen gekürzte Text ist zuerst als Einleitung zu folgendem Lesebuch erschienen:

Erich Mühsam: Jedoch der Mut ist mein Genosse. Texte über Kampf und Revolution. Zusammengestellt von Peter Bürger. Herausgegeben in Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb. (= edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 10). Hamburg: BoD 2025. (ISBN: 978-3-8192-4868-9; Paperback, 312 Seiten; 13,99 €). – Internetportal: https://schalom-bibliothek.org/