Zu Jahresbeginn konnte die Anti-Atom-Bewegung einen Erfolg feiern, als drei Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Doch kurz darauf mussten die Aktivist*innen einen schmerzlichen Verlust hinnehmen: Jochen Stay, in den 1990er-Jahren Redakteur der GWR und seit Jahrzehnten in Anti-Atom-Kampagnen wie X-tausendmal quer und zuletzt bei .ausgestrahlt aktiv, ist tot. In der kommenden Ausgabe der GWR werden wir einen längeren Nachruf veröffentlichen.

Free Ella

Zeitgleich will der Staat die Klimabewegung einschüchtern: Während in Lützerath, bei verschiedenen Waldbesetzungen, auf Demonstrationen und Blockaden der zerstörerischen Politik von Regierungen und Konzernen mit kreativen Methoden der Kampf angesagt wird, versucht die Justiz, an der Klimaaktivistin Ella ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Bereits seit November 2020 ist sie wegen ihres Engagements für den Erhalt des Dannenröder Walds im Gefängnis: Wegen einer angeblichen Beinbewegung wurde Ella zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt; seit dem 17. Januar 2022 läuft jetzt der Berufungsprozess in Gießen. Doch die solidarischen Unterstützer*innen, Prozessbegleiter*innen und regelmäßigen Proteste vor dem Gefängnis und vor dem Gerichtsgebäude machen deutlich, dass die Rechnung des Staates nicht aufgeht und dass Ella nicht allein ist. Und auch von Abschreckung und Einschüchterung keine Spur: Die Aktivist*innen treten weiterhin überall der Klimazerstörung mit buntem und gewaltfreiem Widerstand entgegen.

#saytheirnames

Am 19. Februar werden bundesweit antirassistische Initiativen mit Gedenkveranstaltungen an die brutalen Nazi-Morde in Hanau erinnern, die sich an diesem Datum zum zweiten Mal jähren. Die rassistischen und antiziganistischen Morde an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov führen überdeutlich vor Augen, dass rechter Terror nicht der Vergangenheit angehört. Die fragwürdige Rolle der staatlichen Behörden an diesem Tag muss aufgeklärt werden. Die Opfer dürfen nicht vergessen werden.

KontinuiTATEN

Passend dazu widmet sich der Schwerpunkt dieser Ausgabe weniger bekannten Opfergruppen des Nationalsozialismus, die bis heute kaum beachtet oder gezielt totgeschwiegen werden. Über die Opfer der Wehrmachtjustiz und ihren jahrzehntelangen Kampf um Rehabilitierung berichtet Günter Knebel. Anne S. Respondek hat intensiv das Leben von Julie H. erforscht, die die Nazis wegen ihres unangepassten Verhaltens verfolgten und ermordeten. In ihrem Beitrag über die Kinder osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen, die durch systematische Vernachlässigung getötet wurden, schildert Bernhild Vögel auch die mühevollen Versuche, diese Opfer dem Vergessen zu entreißen. Daran anknüpfend beschreibt Bernd Drücke die Gedenkinitiativen für den von den Nazis zwangssterilisierten Antifaschisten Paul Wulf. Den Todesopfern rechter Gewalt nach 1945 in der BRD, aber auch der Politik des Verdrängens und Vertuschens widmet sich schließlich Thomas Billstein.
Weitere Artikel der Ausgabe befassen sich mit antirassistischen und anarchistischen Bewegungen in verschiedenen Ländern. Die Reihe zur 50-jährigen Geschichte der GWR, die wir im gesamten Jahr 2022 fortsetzen wollen, wird von Armin Scholl um eine kommunikationswissenschaftliche Perspektive bereichert. Einen weiteren kleinen Schwerpunkt bilden zwei Beiträge von Rüdiger Haude und Jens Kastner, die sich mit dem Konzept der Kulturellen Aneignung beschäftigen.
Unter dem Titel „panels und sprechblasen“ startet in dieser GWR eine neue Rubrik über Comics: Zum Auftakt untersucht Maurice Schuhmann die vielfältigen Bezüge zu jüdischer Kultur.
Drei Rezensionen geben einen kleinen Vorgeschmack auf die Libertären Buchseiten, die der GWR 467 im März beiliegen werden.

Eure GWR-Redaktion