so viele farben

“Schwarze Nele, nur du!”

Redebeitrag von Nele Müller auf einer Black-Lives-Matter-Kundgebung

| Nele Müller

Nele Müller - Foto: Jan Große Nobis / r-mediabase.eu

Zur Begrüßung zeigt man mir ohne Verdruss den Hitlergruß, als wär‘s ein nettes Kärtchen oder ein süßes Kätzchen, dann auch oft und gerne mit nem Hitlerbärtchen.

Alles gut, schon okay, ich kann im Kofferraum mitfahren, damit alle anderen genug Platz haben.

Den Pulli? Hab ich selbst gepflückt und sowieso! Ich werde im Sommer nicht dunkler, meine Haut ist es ja schon genug, ich habe einen Afro und komme aus Afrika, meine Muttersprache sind Knacklaute und ich friere sehr schnell. Im Dunkeln bin ich schlecht zu sehen und .. achso, ja, ich kiffe viel und höre nur Reggae.

Ich bin sieben Jahre alt, sitze in der Wanne, damals tägliches Programm: eine ordentliche Portion Seife und dann der Griff zum Schrubberschwamm. Ich schrubbe und schrubbe jedes Körperteil, um mich rein zu waschen, um endlich weiß zu sein. Mir steht nach einer Weile das Scheitern im Gesicht, denn „weiß sein“ das geht für mich nicht.

Greife kurz darauf das heiße Eisen und sage nun dieser unzähmbaren, krausen Grausamkeit den Kampf an. Nach stundenlangem Zischen und herunterziehen, Haar raus reißen bin ich nun zufrieden mit meinem, wenn nicht schon blondem, eben glattem Haar. Will am liebsten alles loswerden, diese dämlichen Auffälligkeiten, über die sich die Leute jeden Tag ungeniert vergnügen, weil sie glauben es sei schön. So schön exotisch und angenehm fremd, ich spreche ja schließlich deutsch. Aber dennoch:

„Wo kommst du eigentlich wirklich her?“ – „Aus Celle“, sag ich. „Ach echt? Na, das hätt‘ ich jetzt aber nicht erwartet. Na ja obwohl, so richtig schwarz bist du ja jetzt auch nicht.“ – „Ach echt? Fick dich!“ Denk ich, aber meine Schnauze, die halte ich dann doch. Ich bleibe einfach stumm und sage nichts dazu. Lache über Witze und bedanke mich für Komplimente und nicke und lächle und nicke und lächle und nicke und lächle und …

bin fast 18! Ein paar Stunden noch, dann bin ich entlassen In die bisweilen größte Freiheit, die mein Kopf sich lang ersehnte. Hab sie alle eingeladen, hab mich extra schick gemacht. Dann treten sie alle ein, nichtssagend während ihre grellen Outfits schreien. Fein gebastelt, selbst geschnitten, übergestülpte weiße Umhänge, die das Gesicht verdeckten und auch alles andere. Bloß zwei Löcher für die Augen und eine Spitze, die gefährlich bekannt in den Himmel ragt. Witzig, cool, Happy Birthday.

… und so wie ich mich immer weiter und weiter durch die Gegend lächelte und nickte, sah ich mich um und entdeckte, dass ich nicht alleine bin! Ich bin kein Einzelfall. Sehen wir mal genauer hin:

Da steht sie und wird abgefragt von einem alten Mann, muss historische Daten aufzählen, sich beweisen, um zu zeigen, dass sie wirklich aus Deutschland kommt. Erweckt Erstaunen über ihr gutes Deutsch, während sie fassungslos spricht und keiner das sieht.

Und dann steht da eine Frau vor ihrer Klasse und definiert ein Volk durch seine Negermusik, fragt sich warum man das Wort Neger nicht mehr benutzen darf, was das denn solle und dass sie ja nur mal das sind was sie sind: ein Negervolk.

Aber Ich bin nur ein kleiner Teil und Diskriminierung gegen Schwarze übernimmt bei weitem heutzutage nicht mehr den größten Anteil, also nehme ich jetzt wirklich mal Anteil an diesem Schicksal und an dieser Verantwortung, die getragen werden muss von diesen Weisen, ähh weißen, ähh, ich meine von diesen privilegierten, nicht stark pigmentierten Mitbürger*innen, die immer so fein Acht geben auf all diese kniffligen, aber viel zu korrekten Begrifflichkeiten, ich meine, das ist ja auch ein starkes Stück! Da wird man sich ja wohl mal Sorgen machen dürfen um die eigene Zukunft.

Denn da wo der eine Neger zur Tür rausgeht, da drückt er direkt dem nächsten die Klinke in die Hand!

Januar, Februar, März, April, die Rassismus-Uhr steht niemals still
Mai, Juni, Juli, August wecken uns den Fremdenhass
September, Oktober, November, Dezember und dann und dann
lassen wir das Ganze wieder von vorne beginnen?

Nele Müller

Nele Müller ist 25 Jahre alt und studiert in Münster Germanistik und Soziologie. Sie ist Referentin des autonomen BIPoC-Referats (Black People, Indigenous People and People of Color) der Uni Münster und Mitglied von SCHLAu, einer Initiative für queere Bildung. Sie vereint ihren politischen Aktivismus mit Poesie und Kunst als Poetry-Slammerin und Kunstschaffende am Theater.

 

Einen weiterer Beitrag von Nele Müller findet ihr hier.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.