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Berührend und aufschlussreich

Mely Kiyak: Frausein

| Antje Schrupp

Mely Kiyak: Frausein. Hanser, München 2020, 1287 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-446-26746-6

Was es bedeutet, eine Frau zu sein, ist derzeit wieder einmal Gegenstand handfester Kämpfe und Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen feministischen (und anderen) Strömungen. Ein Grund für die Unfruchtbarkeit dieser Debatten liegt darin, dass versucht wird, Geschlechtlichkeit und Frausein zu definieren. Also auf einer abstrakten und theoretischen Ebene logisch einzugrenzen, was zum Frausein gehört und was nicht. Das führt aber unweigerlich zu Missverständnissen und Ausschlüssen, denn Frausein lässt sich auf diese Weise nicht einhegen und zähmen.
Frausein ist vielmehr eine persönliche Erfahrung, eine biografische Tatsache, und es muss daher in Geschichten erzählt werden. Daran erinnert Mely Kiyak mit dem Titel ihres neuen Buches. Denn beim Lesen fragt man sich irgendwann, wann es denn endlich wirklich ums „Frausein“ geht, denn eigentlich erzählt Kiyak doch nur aus ihrer eigenen Lebensgeschichte. Aber genau das ist der Witz: Frausein besteht aus nichts anderem, als aus den Lebenserfahrungen und Geschichten von Frauen, die eben diese – ihre eigenen – Geschichten in dem Bewusstsein erzählen, dass sie eine Frau sind.
Mely Kiyak, 1974 geborene deutsche Schriftstellerin und Kolumnistin, wuchs in einem türkisch-kurdischen Elternhaus auf. Sie erzählt von ihrer Kindheit (in der das Frausein weniger Bedeutung hatte als das Kindsein, weil die entscheidende Differenz zwischen Menschen in ihrem Alter, in ihrer Generationenzugehörigkeit lag und nicht in der Geschlechterdifferenz), von der Beziehung zu ihren Cousinen, mit denen zusammen sie Sexualität entdeckte. Sie erzählt von den Fremdheitsgefühlen in den ersten Jahren an der Universität, dem Mangel an selbstverständlicher Zugehörigkeit, den sie als Kind aus der migrantischen Arbeiterschaft angesichts des deutsch-bürgerlichen Habitus dort verspürte. Sie erzählt von ihrem Leben, in dem das Schreiben die erste Priorität hat, nicht Beziehungen.
Ein wunderbares, berührendes, literarisches und aufschlussreiches Buch – und eine große Leseempfehlung für Menschen aller Geschlechter.