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„Querdenker“-Demos in schwarz-weiß-rot

Antimilitarist*innen stellen sich gegen Corona-Verschwörungsmythen und nach rechts offene Demos

| Wolfram Beyer, Internationale der Kriegsdienstgegner*innen (IDK, www.idk-info.net)

Foto: Leonhard Lenz / CC0

Der im September 2020 auf Seite 10 f. der Graswurzelrevolution Nr. 451 erschienene Artikel „Corona-Leugnung und Neue Rechte“ von Andreas Kemper ist lesenswert! Ich möchte ihn hier um ein paar Randnotizen ergänzen.

Am 29. August 2020 demonstrierten ca. 38.000 Menschen in Berlin gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, u.a. mit der Forderung nach Aufhebung sämtlicher Corona-Schutz-Maßnahmen. Dieser von der Initiative „Querdenken 711“ verantwortete Aufmarsch ähnelte den kleineren und größeren Demos von „Corona-Rebellen“ in der nahen Vergangenheit an verschiedenen Orten der Republik. Weitere Demos aus diesem verschwörungsmythischen Spektrum sind angekündigt. Uns treibt die Frage um, wie diese Demos zu bewerten sind, weil wahrnehmbar ein buntes politisches Spektrum von Menschen dort vertreten war.

Auffallend waren:

  1. Parolen für „Freiheit, Frieden, Selbstbestimmung“ und „Verteidigung der Demokratie und des Grundgesetzes“.
  2. pazifistische Symbole: Regenbogenfahne mit PACE-Schriftzug, das Peace-Zeichen und das Gandhi-Portrait.
  3. Reichskriegsfahnen und andere rechtsextremistische Symbole und markante Neonazi-Typen neben bunt gekleideten Menschen, darunter Meditierende und Personen mit Dreadlock-Frisuren. Es gab Kommentare, dass die „Schwingungen auf der Demo friedlich und gut“ waren.
  4. Linke Organisationen und linke Einzelpersonen positionierten sich für die Demo und sprachen von einer „Demokratie-Bewegung“.
Zu 1:

Die Parolen an sich könnten sympathisch sein. Wenn wir diese aber in Bezug setzen zur Demo-Realität und den politischen Reden auf den Demos, dann stehen die Parolen in Bezug auf ein verschrobenes Weltbild. Die Initiator*innen der Demos und viele Redner*innen sprachen nämlich von einem sogenannten „Corona-Regime“ oder von einer „Corona-Diktatur“.

Wenn wir rational-argumentativ über die Einschränkungen der Grundrechte diskutieren wollen, die es unzweifelhaft in der Pandemie gibt, dann finden wir aus radikal-demokratischer Sicht bei der Humanistischen Union die passenden Argumente und Reflexionen dazu. Zum Beispiel sind verfassungsrechtliche Diskussionen über Menschenwürde versus Gesundheitsschutz wichtig und auch notwendig. Das kann auch ein philosophischer Maßstab für libertär-sozialistisches Handeln sein. Eine politische Streitkultur ist wichtig und diese gibt es, obwohl Demo-Initiatoren und Redner*innen das bestreiten.

Zu 2:

Das Zeigen von pazifistischen Symbolen fordert natürlich eine pazifistisch-antimilitaristische Organisation heraus. Dazu müssen wir nüchtern feststellen, dass es Friedensfreund*innen gibt, die entweder unkritisch bei den Demos dabei waren, bewusst nach rechts offen sind oder Rechtsextremisten nicht erkennen wollen. Wir stellen bei jeder Demo die kritischen Fragen nach den Initiator*innen und den Bündnispartner*innen. Alle Friedensfreunde*innen, die bei den Demos dabei waren, wären gut beraten, wenn sie sich an Organisationen wie zum Beispiel der Internationale der Kriegsdienstgegner*innen (IDK), der DFG-VK oder der Zeitschrift Graswurzelrevolution orientieren würden, die nämlich den Demos fern waren und niemals mit Rechtsextremisten gemeinsame Sache machen würden. Zum gezeigten Portrait von Gandhi müssen wir konstatieren, dass Gandhi als Referenzperson für gewaltlosen Widerstand verwendet werden kann. Aus gewaltfrei-pazifistischer Sicht kritisieren wir das Zusammengehen mit Nationalisten.

Zu 3:

Der Bereich der Medizin und der alternativen Medizin wurde bereits von Andreas Kemper in der GWR Nr. 451 beleuchtet. Wir wollen nicht alternative Medizin an sich verurteilen. Allerdings sind in der alternativen Medizin z.B. auch Impfgegner*innen zu finden oder andere Leute, die ein einfaches und natürliches Leben wollen. Das ist an sich auch unproblematisch und gehört durchaus auch zum gewaltfrei-pazifistischen Gesellschaftsverständnis.

Es wird dann ein politisches Problem, wenn kritische Analysen und rationale Reflexionen zur Corona-Pandemie für Erklärungsmuster mit Feindbildern oder für Verschwörungs-Erzählungen aufgegeben werden. „Rechtspopulisten“, Rechtsnationalisten und andere autoritäre Politiker*innen sind weltweit an dieser politischen Haltung zu erkennen.

Wir möchten hier auf die Aktivitäten der Neuen Rechten hinweisen, die seit den 1970er-Jahren mit dem Aufkommen der Ökologiebewegung versuchen, ihr nationalistisches Gedankengut einzubringen. Sie verbinden eine Art Öko-Agrarromantik mit Esoterik, natürliches Leben mit völkischer Ideologie, gegen die moderne und liberale Gesellschaft der Großstädte gerichtet. Da passen dann auch die Verschwörungs-Erzählungen über angebliche Eliten hinein (etc.). Es gibt sie wieder verstärkt, die braune Esoterik und auch die völkische Landnahme. Die Aussteiger*innen von rechts betreiben ökologische Landwirtschaft, pflegen altes Handwerk und nationales Brauchtum, organisieren Landkaufgruppen und eigene Wirtschaftsnetzwerke, die bundesweit agieren. Sie bringen sich in örtlichen Vereinen ein, gehen in die lokale Politik, um Umweltschutz mit „Volksschutz“ zu verbinden. Und in diese Linie passt dann die Beteiligung gegen die Corona-Schutz-Maßnahmen.

Dagegen publizierte die IDK öko-pazifistisch-libertäre Perspektiven auch als Aufforderung zur Wachsamkeit und Kritik an Rechtspopulisten und neuen Nazis. (Vgl. Klimakiller-Krieg – … zum Klimawandel, IDK-Schriftenreihe Nr. 8, Januar 2020).

Zu 4:

Eine linke Organisation ist die in den sozialen Medien laut auftretende „KPD/Rote Fahne“ (Stefan Steins), die in der national-kommunistischen Tradition von Ernst Thälmann von einer Demokratiebewegung spricht. Zur Verteidigung der demokratischen Grundordnung und des Rechtsstaates gelte es diese Volksfront zu unterstützen. Sie sprechen von den NATO-Parteien des Corona-Regimes und fordern schon seit einiger Zeit den Austritt Deutschlands aus der NATO.

Die orthodoxe Linke trifft mit rechten Russland-Freunden zusammen. Aus der Partei Die Linke profilieren sich Christiane Reymann und Wolfgang Gehrcke mit Videos bei WeltnetzTV, dem „Roter Platz“ bei YouTube. Sie formulierten viel Verständnis für die „Sorgen“ der vielen unterschiedlichen Menschen auf der Corona-Demo und kolportieren die überhöhte Zahl der Demo-Teilnehmer*innen vom 1. August 2020, freuten sich über die Parolen „Frieden und Freiheit“ (dazu siehe 1.) und fördern eine Querfront-Politik, in der rechte und linke Politik zusammenwirkt. Zum Glück vertreten Reymann und Gehrcke eine Minderheitsposition in der Partei Die Linke.

Die IDK stellt klar: WeltnetzTV, Rubikon, KenFM etc. betreiben eine Medienpolitik, die niemals unsere Unterstützung und Zusammenarbeit finden kann. Bei den sogenannten Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen bleiben wir fern und/oder sind bei den Gegen-Demos dabei. Es gilt nach wie vor: keine Zusammenarbeit mit Nazis und keine Teilnahme an einer nach rechts offenen Demo.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.