Minimalistische Zeichnungen, komplexe Themen

Das Alltagsleben aus der Perspektive einer feministischen Comiczeichnerin

| Tinet Elmgren

Emma: Ein anderer Blick – Feministischer Comic gegen die Zumutungen des Alltags. Unrast-Verlag, Münster 2020, 224 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-89771-330-7

Der Comic Du hättest nur fragen müssen der französischen Zeichnerin Emma ging 2017/2018 viral. Emma beschrieb anhand von Beispielen aus dem Alltag, wie es bei der Carearbeitslast der Frauen nicht nur um die Arbeit an sich geht, sondern auch um deren Planung und Beauftragung. Auch wenn Männer Carearbeit im gemeinsamen Haushalt übernehmen, erwarten sie oft, dass ihre Partnerinnen für die Arbeit verantwortlich sind: Sie sollen alles planen und ihrem Partner sagen, was er wann und wie tun soll. Der Comic war ein Aha-Erlebnis für viele. Das 2020 auf Deutsch erschienene Buch beinhaltet Du hättest nur fragen müssen und elf andere Comics über verschiedene Aspekte von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus, oft ausgehend von Emmas eigenen Erfahrungen im Alltagsleben.
Die Zeichnungen sind wirklich schlecht. Sie sehen aus, als ob sie mit der Maus in MS Paint mal schnell hingerotzt wurden. Schöne, detaillierte, künstlerisch herausfordernde Zeichnungen würden aber von der Botschaft dieser Comics ablenken. Leser_innen können sich besser mit der Erzählerin identifizieren, wenn die Zeichnungen einfach und bescheiden sind.
Für die ursprüngliche Onlineveröffentlichung wurden die Comics in Ein anderer Blick in einem langen Stapel Panels von oben nach unten formatiert, und die Umsetzung in Buchform ist sehr luftig, meist mit zwei oder drei Panels pro Seite. Das Ergebnis ist ein recht dickes Buch mit verhältnismäßig wenig Inhalt, was aber durch die zum Nachdenken anregenden Themen ausgeglichen wird.
Die Geschichten sind 2016 bis 2017 entstanden, und einige beziehen sich auf aktuelle Geschehnisse oder zu der Zeit aktuelle Themen. Die „Entdeckung“ der wahren Ausmaße der Klitoris war damals (mal wieder) in aller Munde (könnte man hoffen, zumindest!) und ist auf jeden Fall etwas, das auch durch Emmas Comic Mach den Vulva-Check immer wieder wiederholt werden sollte – für den Fall, dass es irgendwo noch Menschen gibt, die die Klitoris und was sie alles kann nicht kennen.
Emma erklärt und analysiert viel rund um feministische Themen, während zwei Comics über rassistische Polizeigewalt in Frankreich kaum Analyse beinhalten, sondern nur die tatsächlichen Geschehnisse beschreiben. Das ist ein interessanter Unterschied und hängt vielleicht damit zusammen, dass die Autorin zur ethnischen Mehrheit gehört, also nicht aus eigener Erfahrung sprechen kann. Sie verzichtet aber auch darauf, Analysen von anderen Personen zu zitieren. In diesen Fällen ist es durchaus auch wichtig, einfach nur zu beschreiben, was wirklich passiert ist, weil die Wahrheit in den Medien und Gerichtsverfahren vertuscht wurde.
Der Comic Zeig her deine Brüste, ein Kommentar zum rassistischen Kopftuch-Verbot in Frankreich, ist wiederum eine Allegorie mit einem fiktiven Land, in dem es normal ist, dass Menschen aller Geschlechter ihre Brust nicht bedecken. Das Alter Ego der Autorin zieht als politische Geflüchtete aus Frankreich in dieses Land, und sie und ihre Tochter versuchen, mit der lokalen Kultur klarzukommen.
Der vielleicht interessanteste und zugleich frustrierendste Comic ist Arbeite! (Warum?). Emma beschreibt, wie sinnlos die Arbeitswelt im Kapitalismus organisiert ist und wie sie auf Kosten der Menschlichkeit geht. Arbeiter_innen schuften ihr Leben lang in Jobs, die zu einem großen Teil völlig unnötig sind (z. B. Herstellung und Verkauf von Produkten, die niemand braucht). Der Profit aus ihrer Arbeit geht in die Taschen der Eigentümer_innen, während die Arbeiter_innen mit Hungerlöhnen hingehalten werden. Stattdessen, meint Emma, sollten Fabriken dazu da sein, unsere Bedürfnisse zu decken. Sie sollten nicht einer Person gehören, sondern der Gemeinschaft – „in etwa so wie bei selbstverwalteten Betrieben.“ Wenn einmal alle sinnlosen Jobs abgeschafft sind, können alle weniger arbeiten und mehr Zeit mit Dingen verbringen, die tatsächlich nützlich für uns alle sind, wie Pflege, Bildung und Erziehung, während alle sinnvollen Dinge – „Wohnraum, Lebensmittel und Unterhaltung“ – nach wie vor hergestellt werden. Der Comic endet dort, und Emma schreibt, dass dies „nur so eine Art Intro“ war. Sie schlägt vor, nach Informationen über das bedingungslose Grundeinkommen zu googeln.
Auf die Frage, wie eine nicht auf Profit, sondern auf Nutzen für die Gesellschaft orientierte Wirtschaft aussehen wird, gibt es sehr viele verschiedene Antworten, die unter sich widersprüchlich sein können, aber trotzdem nicht falsch, und so kann es taktisch sinnvoll sein, die Detailfragen offenzulassen. Es wäre aber auch sehr wertvoll, in politischen Comics detailliertere Vorschläge zu machen – man muss ja nicht behaupten, dass man die beste und einzig richtige Lösung hat. Vielleicht in Emmas nächsten Band?

Wer der französischen Sprache mächtig ist, kann jedenfalls noch viel mehr Comics auf Emmas Webseite emmaclit.com lesen.