„No Lager, nowhere!“

Antirassistische Kampagne für dezentrale Unterbringung

| Wolfram Treiber

Hinter harmlosen Abkürzungen wie AnkER-Zentrum („Ankunft, kommunale Verteilung, Entscheidung und Rückführung“) verbergen sich Zwangsunterkünfte für Geflüchtete mit miserablen Lebensbedingungen. Gegen die Unterbringung in Lagern hat sich die Kampagne „Lager-Watch“ gegründet, die Wolfram Treiber für die Graswurzelrevolution vorstellt. (GWR-Red.)

„Lager bedeuten rassistische Gewalt, Entrechtung, Verwaltung, Isolation und Ausgrenzung. So darf es nicht weitergehen! Wir wollen Wohnungen für alle!“ Dies war der Kurzaufruf des bundesweiten Bündnisses „Lager-Watch“, mit dem das Bündnis am 9. Oktober 2021 zu einem ersten bundesweiten dezentralen Aktionstag mobilisiert hat, um Lagerstrukturen zu bekämpfen und abzuschaffen.
Ende September 2021 gab es bereits einen Aktionstag eines breiten Bündnisses unter dem Motto „AnkER-Zentren: Kein Ort für Kinder – kein Ort für Niemanden!“
„Aufnahmeeinrichtungen und AnkER-Zentren sind kein Ort für Kinder und kein Ort für Erwachsene. AnkER- und funktionsgleiche Einrichtungen sind Orte der Perspektivlosigkeit und der Angst – sie gehören abgeschafft. Statt Isolation und Entrechtung brauchen wir faire Asylverfahren und gleiche Rechte für alle Kinder, die in Deutschland leben“, heißt es im Aufruf.

Das Lagerunwesen beenden

Das Bündnis „Lager-Watch“ plant nun für 2022 eine Konferenz, um die Aktivitäten gegen das Lagerunwesen zu verstärken. Dabei sollen sowohl Menschen auf der Flucht als auch die Aktivist_innen von Organisationen und Initiativen, die zu Flucht und Migration arbeiten, erreicht und einbezogen werden. Leider ist es auch bei vielen Aktivist_innen, die zu dem Thema arbeiten, noch keine gemeinsame Grundlage, dass für alle Menschen weltweit globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte und das Recht auf ein gutes Leben gelten müssen. Dies ist das ideologische Einfallstor für das Geschwafel der neuen Koalition über „humane Abschiebungen“, dem dringend entgegengetreten werden muss.
Mit der verpflichtenden Lagerunterbringung soll vor allem auch die Abschiebung (neudeutsch: „Rückführung“) erleichtert werden. Thema auf der Konferenz sollen daher auch die zunehmenden Abschiebungen selbst in Kriegsgebiete wie Afghanistan sein.
Abschiebegefängnisse sind der zugespitzteste Ausdruck der deutschen Lagerpolitik. Nach dem „Geordnete Rückkehrgesetz“ von 2019 darf Abschiebegewahrsam z. B. bereits bei einer strafrechtlichen Verurteilung zu mehr als 50 Tagessätzen angeordnet werden. Dazu muss mensch wissen, dass in vielen Strafverfahren wegen angeblicher illegaler Einreise oft Strafbefehle von 90 bis 150 (!) Tagessätzen verhängt werden.

Regierungspräsidium Karlsruhe: Schaltstelle der „Flüchtlingsabwehr“

Das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe spielt weiterhin auch unter einem „grünen“ Ministerpräsidenten bei der Flüchtlingsabwehrpolitik eine besondere Rolle. Es ist die zentrale Abschiebebehörde für den süddeutschen Raum. Die Abteilung 8 z. B. organisiert die Abschiebeflüge, ordnet die Polizeieinsätze zur Vollstreckung der Abschiebemaßnahmen und Zwangsvorführungen bei Botschaften an. Die Behörde übt vielfältigen Druck auf Geflüchtete aus, an ihrer eigenen Abschiebung mitzuwirken. Wer nicht mitmacht, wird mit Arbeitsverbot, Leistungskürzungen und räumlichen Aufenthaltsbeschränkungen bestraft. Das RP Karlsruhe ist die unsichtbare Behörde hinter den sichtbaren Vollstrecker_innen ihrer Maßnahmen. Hier sitzen die Schreibtischtäter_innen. Bei allen Maßnahmen, die zur Abschreckung von Geflüchteten entwickelt wurden, wie z. B. Lagerunterbringung, Gutscheinen statt Bargeld, Residenzpflicht, spielte das RP eine Vorreiterrolle, oft sogar mit bundesweiten Auswirkungen.
Die Einrichtung von Massenlagern, Arbeitsverbote, Residenzpflicht bzw. Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Geflüchteten wurden ab 1980 unter der Federführung des RP Karlsruhe und der baden-württembergischen Landesregierung zur Abschreckung eingeführt und nach und nach bundesweit gesetzlich zur Norm erhoben. Viele erinnern sich gar nicht mehr daran, dass zuvor Menschen auf der Flucht hier arbeiten, bei Freund_innen oder Familienangehörigen wohnen oder sich eine eigene Wohnung nehmen konnten.

Kein Schutz, keine Privatsphäre

Das deutsche Lagerkonzept ist auch mit die Blaupause für die (Internierungs-)Lager an den Außengrenzen der EU, die die Bundesregierung mit vorangetrieben hat und vorantreibt. Fluchtursachen sind vielfältig. Bei dem Versuch, ihr Leben zu retten, sterben täglich unzählige Geflüchtete. Überlebende, die es in ein EU-Land schaffen, erwartet dort nicht etwa ein geschützter und menschenwürdiger Lebensraum. Sie müssen in Zelt-Camps wie Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos ausharren und werden in Deutschland in so genannten AnkER-Zentren, Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, die eines gemeinsam haben: Es sind Lager! Orte, an denen Menschen entrechtet werden. Durch die Wohnsitzauflage müssen sie im Lager leben.
Es gibt dort oft keine Privatsphäre, keinen Schutz und keine Möglichkeit zur eigenständigen Organisation des Alltags oder zur Integration. Stattdessen willkürliche Personen- und Zimmerkontrollen, zum Teil unter Anwendung von Gewalt durch Security-Personal und Polizist_innen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit Abschiebungen durchführen. Geflüchtete müssen mit der Angst als ständiger Begleiterin leben, Flashbacks und das Entstehen neuer Traumata sind die Folge. In vielen Lagern ist neben der psychischen auch die körperliche Gesundheitsversorgung unzureichend. In der Erstaufnahme gibt es nur eine gesundheitliche Notversorgung, der Zugang zu Fachärzt_innen und Therapien wird hier verwehrt. Häufig ist bedürfnisgerechte Ernährung ebenso wenig gewährleistet wie pandemiebedingt erforderlicher Infektionsschutz. Vielmehr setzen die Verantwortlichen auf „Durchseuchungspolitik“ in Kombination mit der vollständigen Isolation geflüchteter Menschen, beispielsweise durch Besuchsverbote.
Diese und weitere intensive Grundrechtseinschränkungen sind in Hausordnungen festgeschrieben. In Lagern wird „Migrationsmanagement“ betrieben, die Lagerunterbringung geflüchteter Menschen beruht auf einer politischen Kontinuität rechter Programmatik. Unter anderem die Änderung des Art. 16 Grundgesetz und das Dublin-Abkommen negieren das Asylrecht. Zahlreiche Betroffene haben weder die Möglichkeit noch die Mittel, Rechtsbeistand in Anspruch zu nehmen. All dies ist von Politiker_innen gewollt: Lager sollen der Abschreckung dienen. Aber niemand flieht freiwillig, und Migration ist kein vorübergehendes Ereignis, sondern wird immer zu unserem Alltag gehören. Geändert werden muss die Anerkennungs- und Unterbringungspolitik für Geflüchtete. Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht und gilt für alle Menschen, unabhängig von deren Aufenthaltsstatus.

Privatisierung verheißt Verschlimmerung

Die Bundesregierung plant mittlerweile eine Änderung des Sicherheitsgewerberechts. Der fertige Entwurf ist schon in den Startlöchern. Dieses Gesetz wäre ein weiterer Schritt, das Gewaltmonopol des Staates in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen aufzulösen und wichtige „Sicherheitsfragen“ an private, profitorientierte Sicherheitsfirmen abzugeben, und muss von uns verhindert werden.
Lager-Watch fordert: „Es darf keine Privatisierung einer Unterbringung von Geflüchteten in Sammellagern geben! Es bedarf neuer Konzepte für die Aufnahme von Menschen auf 
der Flucht, die sich nicht an einer europäisch/deutschen Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik orientieren. Es darf keine Grundrechtseinschränkungen bei der Unterbringung geben, das Grundrecht der Handlungsfreiheit, der Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung muss für alle Menschen gelten, auch für Geflüchtete im Asylverfahren sowie mit einer Duldung. Als erster Schritt muss die Wohnsitzauflage in Sammellagern aufgehoben werden! Das politische Konzept der Abschreckung (…) darf es nicht länger geben.“
Für die Schließung aller Lager, bezahlbaren Wohnraum für alle sowie gleichen Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Für den sofortigen Stopp aller Abschiebungen. Globale Bewegungsfreiheit und ein gutes Leben für alle!

Wolfram Treiber
Antirassistische Initiative Grenzenlos Karlsruhe

Der Artikel wurde auf Grundlage von Materialien von Lager-Watch (lager-watch.org) sowie der Antirassistischen Initiative Grenzenlos und der IL Karlsruhe erstellt.

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