kleine unterschiede

Zivilcourage gegen den russischen Angriffskrieg

Feminist Anti-War Resistance (FAR) aus Russland

| Lea Heuser

Seit 1988 zeichnet der Aachener Friedenspreis e.V. alljährlich Menschen und Gruppen aus, die sich von unten her und oft aus benachteiligten Positionen für Frieden und Verständigung einsetzen. Der Preis, über den die gesamte, rund vierhundertköpfige Mitgliedschaft des Vereins entscheidet, ehrt vor allem unbekannte Projekte oder Personen, die durch die öffentliche Aufmerksamkeit meist mehr Unterstützung erfahren als durch das Preisgeld von jeweils 2.000 Euro. Auch 2023 möchte der Aachener Friedenspreis seinen Preisträger*innen mehr Strahlkraft verschaffen und sie so vor Repressionen und Gewalt schützen, denn beide Gruppierungen, die den Preis am 1. September in Aachen erhalten werden, sind mit schwierigen Bedingungen konfrontiert.Ausgezeichnet werden Feminist Anti-War Resistance (FAR) aus Russland und der Human Rights Defenders Fund (HRDF) aus Israel/Palästina. Beide stehen für aktuelle Konflikte und können von Schutz durch Aufmerksamkeit nur profitieren. In dieser GWR stellen wir aufgrund von Platzmangel nur die FAR vor. (GWR-Red.)

Queerfeministisch gegen den Krieg

Der Feministische Antikriegswiderstand konstituierte sich bereits am 25. Februar 2022, dem zweiten Tag des Krieges, mit einem Manifest gegen den russischen Überfall auf die Ukraine. Aktivist*innen verbreiteten das Manifest über den in Russland populären Messengerdienst Telegram. Getragen wird die neue soziale Bewegung vom gemeinsamen Bekenntnis zu Frieden, Empathie, Vielfalt und zu den Menschenrechten. Die Aktivist*innen sehen sich selbst als neue politische Kraft in Opposition zu Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. FAR setzt sich zudem für Toleranz und die Pluralisierung von Lebensstilen und gegen sogenannte „traditionelle Werte“ und die heterosexuelle Norm ein, die Putins Russland mit seinem extrem konservativen Bild von Geschlecht und Familie durch drastische Verbote und Repressionen gegen die LGBTQ+ Community durchsetzt.
Im Manifest heißt es: „Als russische Bürgerinnen und Feministinnen verurteilen wir diesen Krieg. Feminismus als politische Kraft kann nicht auf der Seite eines Angriffskrieges und einer militärischen Besetzung stehen. […] Krieg bedeutet Gewalt, Armut, Zwangsvertreibung, zerstörte Leben, Unsicherheit und das Fehlen von Zukunft. Er ist unvereinbar mit den wesentlichen Werten und Zielen der feministischen Bewegung. Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wirft die Errungenschaften der Menschenrechte um viele Jahre zurück. Krieg bringt nicht nur die Gewalt von Bomben und Kugeln mit sich, sondern auch sexuelle Gewalt: Wie die Geschichte zeigt, steigt während des Krieges das Risiko, vergewaltigt zu werden, für jede Frau um ein Vielfaches. Aus diesen und vielen anderen Gründen müssen russische Feministinnen und alle, die feministische Werte teilen, entschieden gegen diesen von der Führung unseres Landes entfesselten Krieg Stellung beziehen.“
Im März 2022 hatten sich bereits 151 Personen dem Manifest angeschlossen und FAR stand an der Spitze der ersten Antikriegsproteste in mehr als 100 Städten. Mittlerweile zählt die Telegram-Gruppe mehr als 41.000 Abonnent*innen und ist damit in Russland die größte Initiative gegen den Krieg. Lange sah die russische Regierung Feminist*innen nicht als Gefahr an. Erst im Dezember 2022 wurde FAR vom russischen Staat in die Liste der so genannten „ausländischen Agenten“ aufgenommen. Seitdem werden Aktivist*innen verhaftet, kriminalisiert und entweder in der Psychiatrie oder im Gefängnis eingesperrt. Um dies zu vermeiden, handelt FAR meist anonym. Bekannt sind nur die Namen weniger, im Ausland lebender Aktiver. Die Bewegung legt großen Wert auf ihre horizontale Struktur und die hierarchiefreie Zusammenarbeit ohne Führungspersonen.

Die Feminist Anti-War Resistance setzt sich zudem für Toleranz und die Pluralisierung von Lebensstilen und gegen sogenannte „traditionelle Werte“ und die heterosexuelle Norm ein, die Putins Russland mit seinem extrem konservativen Bild von Geschlecht und Familie durch drastische Verbote und Repressionen gegen die LGBTQ+ Community durchsetzt.

Zu den kreativen Protestformen von FAR gehörte z. B., auf Preisschildern in Supermärkten über die Zahl gefallener Soldat*innen und ziviler Opfer zu informieren. Hierfür drohen einer Aktivistin bis zu zehn Jahre Gefängnis. Zum Weltfrauentag am 8. März legten Aktivist*innen aus Protest Blumen in den ukrainischen Farben auf die Straßen. Seitdem werden Frauen, die sich mit Blumen im öffentlichen Raum aufhalten, allein für diese Tatsache festgenommen.
Neben der Organisation von Protesten gibt FAR die russischsprachige Online-Zeitung „Zhenskaya Pravda“ (Wahrheit der Frauen) heraus, die mit ihrer Berichterstattung über den russischen Krieg in der Ukraine der staatlichen Propaganda entgegenwirken will. Zudem sensibilisieren die Aktivist*innen die Öffentlichkeit zu den Themen der (sexualisierten) Gewalt gegen Frauen und Kinder, kämpfen für die Menschenrechte politischer Aktivist*innen in Russland und verfassen Petitionen und Briefe. Sie organisieren psychologische und emotionale Unterstützung für Personen, die direkt oder indirekt von der russischen Aggression in der Ukraine betroffen sind. So unterstützen sie beispielsweise in Belarus Ukrainer*innen auf der Flucht.
FAR handelt über Grenzen hinweg und versteht sich als Akteurin der globalen Zivilgesellschaft. „Zellen“ in mehreren Ländern sensibilisieren die lokale Öffentlichkeit durch eigene Antikriegsaktionen. Anfang Januar 2023 wurde beispielsweise von einer Aktivistin der Gruppe vor der Sonntagsschule der Russisch-Orthodoxen Kirche in Aachen ein Graffiti mit dem Text „Wer das Imperium anbetet, kreuzigt Christus“ angebracht.
Für ihren Mut, ihre Zivilcourage und den unermüdlichen Einsatz gegen den Krieg erhalten die Aktivist*innen des Feministischen Antikriegswiderstands den Aachener Friedenspreis 2023. Internationale Öffentlichkeit soll die Aktivist*innen persönlich schützen und ihrem Anliegen mehr Gehör verschaffen.

Die Preisverleihung an Vertreter*innen beider Gruppen findet am 1. September 2023 ab 19 Uhr in der Aachener Aula Carolina statt. Die Veranstaltung ist öffentlich und kostet keinen Eintritt. Seit der Pandemie gibt es die Verleihung auch im Livestream und anschließend auf Youtube, zu finden unter https://www.aachener-friedenspreis.de/.
Weiterführende Quellen:
https://en.wikipedia.org/wiki/Feminist_Anti-War_Resistance
Telegram-Kanal der Initiative: https://t.me/femagainstwar
https://wave-network.org/64-days-of-war/

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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