Kommentar

Planet gegen Kapital

Die Auseinandersetzung ums Klima hat erst begonnen

| Nicolai Hagedorn

Foto: Tommy Boom via flickr.com (Das Bild wurde bearbeitet - Lizenz: (CC BY-SA 2.0))

Spätestens mit den weltweiten „Friday For Future“-Massendemonstrationen ist eine Bewegung entstanden, die zu einer handlungsfähigen politischen Größe werden könnte. Der Kampf um die Bewohnbarkeit des Planeten wird manifest. Teile der Bewegung stellen zu recht längst die Systemfrage.

Niemand konnte vor dem Freitag damit rechnen, dass rund um den Planeten mehrere Millionen Menschen auf den Straßen marschieren würden. Der britische Guardian veröffentlichte eine Bildergalerie mit Fotos aus mehr als einem Dutzend Städte der Welt. Egal, ob London, Manila, Mumbai oder Nairobi: Überall waren die Straßen voller demonstrierender Menschen. Greta Thunberg twitterte eines der bewegendsten Fotos: Eine Klima-Demonstration in Kabul, angeführt von jungen Frauen.

In Deutschland beteiligten sich weit über eine Million Menschen an den Streiks, die von den hauptsächlich jugendlichen Akteuren der Fridays for future – Bewegung initiiert worden waren, während am gleichen Tag die Bundesregierung ihr so genanntes Eckpunkte-Papier zu Reduzierung der CO2-Emissionen vorlegte. Eine Vorlage, die an der Zurechnungsfähigkeit des Merkel-Kabinetts zweifeln lässt und erneut klar macht, dass die deutsche Regierung kaum mehr ist als Vollstreckerin deutscher Kapitalinteressen und damit in erster Linie der deutschen Automobilindustrie weisungsgebunden. Mehr als Symbolpolitik ist darin nicht zu finden, sodass selbst der Hofberichterstatter der deutschen Industrie, der „Spiegel“, sich wunderte: „Pendler werden steuerlich entlastet, durch eine um fünf Cent höhere Pauschale ab dem 21. Entfernungskilometer. Wie das dem Klima helfen soll, erschließt sich nicht. Die Regelung belohnt ja schlicht Menschen mit einem langen Arbeitsweg, ganz gleich ob sie mit der U-Bahn ins Büro fahren oder mit dem SUV.“

Überrascht dürften von dieser Offenbarung aber die wenigsten gewesen sein. Vielmehr wird an der krassen Diskrepanz zwischen der Größe des Problems und der Radikalität der eigentlich notwendigen Maßnahmen einerseits und den lächerlichen Beschlüssen der Bundesregierung andererseits deutlich: Die bürgerlich-kapitalistischen Demokratien in ihrer derzeitigen Verfasstheit sind schlicht nicht in der Lage, angemessen auf die Anforderungen des Klimawandels zu reagieren. Appelle an die angeblich so mächtigen Staatenlenker sind daher ebenso Zeitverschwendung wie Politiker-Beschimpfungen, auch wenn eine Figur wie Olaf Scholz, immerhin Finanzminister und Vizekanzler  am Samstag allen Ernstes twitterte: „Ich danke @FridayForFuture, dass durch die ihre #Demos endlich einiges auf den Weg gebracht werden konnte, was notwendig war, um den von Menschen gemachten #Klimawandel aufzuhalten“ und offenbar den Verstand verloren hat.

Mit dieser Form der Politik und vor allem der ökonomischen Organisation, in der ein paar wenige Kapitalisten, die nichts im Sinn haben, als plus zu machen, darüber entscheiden, wie produziert wird, ist – und das war auf den Demonstrationen durchaus keine Außenseitermeinung – weder ein rascher Ausstieg aus der Kohleverstromung, noch ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, und schon gar keine über nationale Grenzen hinausgehende Klimagerechtigkeit durchzusetzen. Im Gegenteil drohen unter dem kapitalistischen Regime bei jeder Verschlechterung der Standortbedingungen Abwanderung von Arbeitsplätzen. Und die notwendige Reduzierung von Konsum und Produktion, also eine Schrumpfung der Warenproduktion, bedeuten bei geltendem Wertgesetz automatisch und unhintergehbar Rezession und Massenarbeitslosigkeit.

Um überhaupt derartig durchgreifende Maßnahmen umsetzen zu können, geht kein Weg daran vorbei, die Produktionsmittel und damit die Warenproduktion unter demokratische Kontrolle zu bringen. Nur wenn gemeinsam darüber entschieden werden kann, was, wie viel, zu welchem Zweck, wo und unter welchen Bedingungen produziert wird, kann die notwendige radikale Klimapolitik umgesetzt werden. Es bleibt also dabei: Klimakampf ist Klassenkampf. Nur wenn sich die Klasse der Lohnabhängigen politisch und konfrontativ zu der Kapitalistenklasse organisiert, können die rasche Wende hin zu erneuerbaren Energien, einer Abschaffung des Individualverkehrs und einer klima- und umweltverträglichen Konsumsteuerung gelingen.

Die wichtigste Erkenntnis des vergangenen Freitags ist indes, dass die Klimabewegung ein transnationaler, weltweiter Aufstand ist, denn eine weitere unumgängliche Hürde auf dem Weg zu einer klimaschonenden Politik ist die Außerkraftsetzung der Staatenkonkurrenz. Solange Nationalstaaten gegeneinander um die besten Standortbedingungen für das Weltkapital konkurrieren müssen, ist es für die Kapitalisten ein Leichtes, die Menschen verschiedener Nationen gegeneinander auszuspielen und aufzuwiegeln.

Klimagerechtigkeit ist daher ein großes, wichtiges Wort, das auch materielle Gerechtigkeit einschließt. Laut einer Oxfam-Studie sind die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung, also in erster Linie wir Bewohner der kapitalistischen Zentren, für 50 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, während die ärmere Hälfte der Menschheit gerade einmal 10 Prozent der Emissionen verursacht. Die weltweite Klassensolidarität ist und bleibt daher Bedingung der Möglichkeit einer Überwindung des weltzerstörenden Kapitalismus.

Es ist also Zeit, sich zu organisieren, in erster Linie dort, wo wirksam politischer Druck auf die Kapitalistenklasse und die ihr angeschlossenen Regierungen erzeugt werden kann, also dort, wo das Kapital auf die Fügsamkeit der Lohnabhängigen angewiesen ist, der einzige Ort, wo sich Kapital überhaupt bilden lässt: Bei der Arbeit. Auch hier nichts Neues: Ohne menschliche Arbeitskraft keine Wertproduktion, kein Mehrwert, keine Wertakkumulation und letztlich auch kein Kapitalismus. Nur wenn der Arbeitszwang als einziger Zugang zur Partizipation an dem produzierten Reichtum durch eine demokratisch organisierte Verteilung der produzierten Waren und Güter ersetzt wird, kann die Menschheit handlungsfähig auch über die Produktionsbedingungen selbstbewusst entscheiden.

Darüber hinaus zeigte sich am 20.September auch, wie stark und mit welch einfachen Mitteln das ohnehin überlastete Verkehrssystem der Großstädte mit gewaltfreien Aktionen wie Blockaden großer Straßenkreuzungen ins Chaos zu stürzen ist.

Um also aus dem „Streik“ vom Freitag einen politischen Streik ohne Anführungszeichen zu machen, um wirksam etwas an den Verhältnissen zu ändern, ist eine Massenorganisation nötig, die solidarisch mit Arbeitslosen und allen Betroffenen der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte, wie Rentnern, Kranken, Arbeitsunfähigen sowie denen, die die Leidtragenden der hemmungslosen Profitgier des Kapitals sein werden, den Kindern und Jugendlichen,  die Konfrontation mit den Ausbeutern und Akkumulateuren wagt und die Friday for future-Proteste zu einer weiterhin gewaltfreien, aber entschlossenen Eskalationsstrategie ausbauen.

Es ist Zeit für Revolution.

 

Das Medienkollektiv Frankfurt dokumentiert die Demonstration in Frankfurt:

Quelle: Youtube

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos der monatlichen Printausgabe zum Kennenlernen gibt es hier